Buchbesprechung:
Kaiser, Alfons: Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris. Biographie.
München, Verlag C.H. Beck, 2020. 383 S. 58 s/w Abb. ISBN 978-3-406-75630-6.

„Es fängt mit mir an, und es hört mit mir auf“. So sprach Karl Lagerfeld (1933-2019), der sich seiner Unvergleichlichkeit bewusst war. Sechseinhalb Jahrzehnte lang war er in der Mode tätig. Seine Produktivität war schwindelerregend. Er war Kreativdirektor mehrerer Modehäuser und arbeitete für eine kaum übersehbare Reihe weiterer Auftraggeber. Selbstironisch kommentierte er: „Mein Name ist Labelfeld“.

Er suchte die große Bühne, schützte jedoch sein Privatleben. Wesentliche Lebensdaten hielt er geheim und erfand fiktive Identitäten. Er wollte alles unter Kontrolle halten, auch sein Bild in der Öffentlichkeit. Mit Brille und Zopf modellierte er sein eigenes Profil zum Markenzeichen. Er gefiel sich in der Pose eines Rockstars, umgeben von einer Entourage junger und schöner Menschen. Dann wieder gab er sich als überkandidelter Dandy mit einer Birmakatze im Arm. Seinen Weltruhm verdankte er nicht zuletzt den effektvoll inszenierten Auftritten.

Mit seiner akribisch recherchierten Biographie will Alfons Kaiser zum Kern von Lagerfelds Persönlichkeit vordringen und hinter die Schichten der „Selbstmythisierung“ blicken. Kaiser ist bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) für das Ressort „Deutschland und die Welt“ sowie das monatliche Stil-Magazin verantwortlich und kennt sich in der Modeszene aus. Mit Lagerfeld war er lange bekannt.

Die Liste der Bücher über den Designer ist lang. Das Besondere an Kaisers Biographie ist der Bezug auf das „Deutsche“ und „Preußische“ an Lagerfeld: seine Herkunft und vor allem sein Arbeitsethos und seine rigorose Disziplin. Die Wurzeln dieser Wesensmerkmale sieht Kaiser im Familienhintergrund, einer Mischung aus hanseatischem Kaufmannsgeist und preußischem Beamtentum. „Im Grunde, das stimmt, bin ich eine preußische Natur“, sagte Lagerfeld einmal.

Sein Vater war weitgereist und sprach fünf Sprachen. Er war Kondensmilch-Fabrikant und erfand 1923 die Marke „Glücksklee“. Die belesene Mutter ließ sich von feministischen Ideen leiten. Sie war bestimmend, boshaft und fordernd. „Sie machte alle zu Sklaven“, urteilte ihr Sohn. In den Augen Kaisers wollte Lagerfeld Zeit seines Lebens der Mutter etwas beweisen.

Er wuchs in der norddeutschen Provinz auf. Er war anders als seine Klassenkameraden. Stundenlang zog er sich allein zum Zeichnen zurück. Ein Foto aus seiner Schulzeit zeigt ihn mit langer Hose, Krawatte und Siegelring unter burschikosen Gleichaltrigen. „Ich glaube, ich bin mit dem Schlips geboren“, witzelte er. Sein „Erweckungserlebnis“ hatte er 1949 beim Besuch einer Dior-Modenschau in Hamburg, als ihm bewusst wurde, dass Mode seine Bestimmung war. Er ging 1952 nach Paris. Die Stadt war erst 1944 von den Deutschen befreit worden und schon wieder die Welthauptstadt der Mode. Außerdem herrschte dort ein liberaleres Klima für Homosexuelle als in Deutschland.

Seine Modekarriere begann 1954 mit einem Preis für den Entwurf eines Mantels. Darauf folgten Stationen bei Balmain, Patou und Chloé. Von Fendi, dem römischen Luxuslabel für Pelzmode und Lederwaren, wurde er 1964 als Chefdesigner verpflichtet, und blieb es bis zu seinem Tod. Er erfand das markante Doppel-F-Logo der Marke. Die Brüder Wertheimer, Eigentümer von Chanel, engagierten Lagerfeld 1982 als ersten ausländischen – dazu noch deutschen! – Chefdesigner. Er läutete den Imagewandel und globalen Wiederaufstieg der angestaubten Marke ein.

Kostüm von Lagerfeld für Chanel, 1994, in der Ausstellung „Pink. The History of a Punk, Pretty, Powerful Color“, 
The Museum at FIT, September 2018 bis-Januar 2019. Links im Bild ein Modell von Azzedine Alaïa, ca. 1990. 
Foto © Rose Wagner

 

Kühn mischte er die Elemente des klassischen Chanel-Stils mit völlig anderen Komponenten. Punk und Hiphop tauchten auf, selbst Denim wurde in der Luxus-Couture verarbeitet. Mit großen Doppel-C-Logos gab er den Anstoß für die Logomanie der achtziger Jahre. „Er nahm die Tradition ernst und verspottete sie doch“, urteilt Kaiser.

Chanel-Handtasche aus Denim 2015 im Pariser Straßenbild. Foto © Rose Wagner

 

Im Jahr 1983 begann er für die nach ihm benannte Marke „Karl Lagerfeld“ zu arbeiten, die seit 2005 zu Tommy Hilfigers Modekonzern gehört.

Lange stand er im Schatten von Yves Saint Laurent (1936-2008). Erst als dieser sich 2002 zurückzog, stieg Lagerfeld zum „Zentralgestirn des seltsamen Paralleluniversums Mode“ auf, so Kaiser.

Als erster bekannter Modemacher entwarf er eine Kollektion für H&M und förderte den Trend zu Fast Fashion, während gleichzeitig seine Haute Couture der Inbegriff von Dauerhaftigkeit und Luxus war. Billigmode, Beschleunigung der Saisons, Globalisierung der Märkte, Vermarktung über das Internet, er beherrschte alles. Seine Birmakatze Choupette machte er zum Star und zur Werbe-Ikone und bediente so auch den Katzenhype auf Instagram. Für aktuelle Trends hatte er ein feines Gespür.

Die Birmakatze Choupette wirbt 2015 am Potsdamer Platz in Berlin für Opel und Lagerfeld. Foto © Rose Wagner

 

Für Chanel und Fendi realisierte er Defilees in spektakulären Settings: Grand Palais, Chinesische Mauer, Trevi Brunnen. Er verschmolz „Inhalt, Reflexion und Grandeur“ und gestaltete seine Modenschauen zu Gesamtkunstwerken, „die kapitalistische Interessen ästhetisch adelten“, wie Kaiser bemerkt. Unvergessen ist die Schau für Chanel 2014, die er als Supermarkt inszenierte. Lagerfeld legte sie als selbstreflexiven Kommentar zum hemmungslosen Luxuskonsum an, von dem er selbst profitierte.

Seine Vielseitigkeit zeigte sich nicht nur im Modedesign. Er war auch Fotograf, Bühnenbildner, Illustrator, Karikaturist, Sammler, Herausgeber und Verleger.

Der amerikanische Hiphop-Musiker Theophilius London. Für die Ausstellung „Little Black Jacket“ fotografierte Lagerfeld 
Prominente in Chanel. November 2012, Berlin. Foto © Rose Wagner

 

Lagerfelds Unterhaltungspotential war groß. Sein Ausspruch: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ wurde zum geflügelten Wort. Er konnte sich vieles erlauben. Ihn umgab der „Mythos der Unangreifbarkeit“, so Kaiser. Tierethische Kritik an seiner Pelzmode für Fendi tat er mit der Bemerkung ab: „Entschuldigt sich ein Schlachter für seine Arbeit?“ Kritik an Magermodels in seinen Schauen konterte er mit dem Argument, Übergewicht sei gesundheitsschädlicher als Untergewicht.

Seit den islamistischen Attentaten 2015 in Paris äußerte er sich dezidiert politisch. Er kritisierte die liberale Willkommenspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zwischen der Zahl muslimischer Einwanderer, Zunahme des Antisemitismus und dem Erstarken des Rechtspopulismus sah er einen direkten Zusammenhang. Kaiser zitiert Lagerfeld wie folgt: „Man kann nicht […], auch wenn mehrere Jahrzehnte dazwischen liegen, Millionen Juden umbringen und dann ihre ärgsten Feinde zu Millionen hereinlassen“. Für das Stilmagazin der FAZ zeichnete er Merkel in „migrantenfreundlichem“ Look. Für seine Verstöße gegen die politische Korrektheit erntete er wütende Kritik.

Kaiser bettet seine Biographie in die kulturellen und gesellschaftlichen Erscheinungen der Zeit ein. Besonders anschaulich ist das Kapitel „1952 bis 1982“ über den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Aufschwung in Frankreich, steigender Konsumfreude, sozialem Wandel und – beeinflusst von Simone de Beauvoir (1908-1986) – einem neuem Frauenbild. Die Frauen legten ihre alten Rollen und ihre alten Kleider ab – und wollten neue. Für die Modeindustrie begann eine Glanzzeit, die in einer explosiven Entwicklung der Luxusbranche gipfelte. Damit einher ging ein Statuswandel der Designer. Sie entwickelten sich „von Dienstleistern, die vor Frauen knieten, zu Stars, denen die Frauen zu Füßen lagen“, befindet Kaiser.

Hochzeitskleid von Karl Lagerfeld für Chanel, Haute Couture, Herbst/Winter 1990/91,
in der Ausstellung „Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination“, Mai bis Oktober 2018,
Metropolitan Museum of Art, New York. Foto © Rose Wagner

 

Lagerfeld hielt die Häuser Fendi und Chanel mit seinen Entwürfen, die den Zeitgeist trafen, in der Couture-Spitzengruppe. Er sorgte auch dafür, dass Chanel in Zulieferer-Betriebe investierte, um das Erfahrungswissen und die Fertigkeiten traditionsreicher Kunsthandwerke – etwa Handschuhmacher, Stickereien oder Plissier-Spezialisten – zu bewahren. Seine Métiers-d’Art-Kollektionen – handwerklich besonders aufwendig gestaltete Zwischenkollektionen – riefen bewunderndes Staunen hervor.

Goldschmiedearbeit, Weste mit geschliffenem Kristall, Perlmutt, Samtbändern, integriertem Doppel-C-Logo, 
Métiers-d’Art-Kollektion 2007/8, in der Ausstellung „Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination“,
Mai bis Oktober 2018, Metropolitan Museum of Art, New York. Foto © Rose Wagner

 

Kaiser liest sich flüssig und stellenweise sehr amüsant. Sein Respekt für die Lebensleistung des Designers wird deutlich, doch wahrt er eine leicht ironisch gefärbte Distanz. Er bringt uns den Menschen mit seinen Widersprüchen nahe. Zu Lagerfelds Stärken zählten Großzügigkeit, Interesse am unmittelbaren sozialen Umfeld, Witz und Schlagfertigkeit. Auf der Negativseite stehen Reizbarkeit, verletzende Bissigkeit und die abrupte Trennung von Menschen, die seinen Anforderungen nicht mehr genügten.

Die Biographie endet mit Anmerkungen zum „Nachleben“. Für den französischen Präsidenten Macron hatte die Modewelt mit Lagerfelds Tod „ihren berühmtesten Botschafter“ verloren. In Deutschland blieben die höchsten staatlichen Repräsentanten stumm. Immerhin hieß es aus dem Auswärtigen Amt, Lagerfeld habe „vermutlich mehr für die deutsch-französischen Beziehungen getan als viele Politiker“.

Wie geht es weiter mit den Marken, die Lagerfeld über Jahrzehnte geprägt hat? Design-Direktor bei „Karl Lagerfeld“ ist jetzt Hun Kim. Fendi benannte den Briten Kim Jones zum neuen Kreativdirektor.

Fendi-Zentrale in Rom. Foto © Rose Wagner

 

Bei Chanel folgt Virginie Viard nach, die lange Lagerfelds rechte Hand war. Die Frage ist, wie lange das Haus Chanel seine Unabhängigkeit bewahren kann. Bernard Arnault, Besitzer des größten Luxuskonzerns der Welt – LVMH, wozu auch Fendi gehört –, ist für seine Begehrlichkeit bekannt. — Im Straßenbild ist Chanel weiter sehr präsent.

Im Park mit Cap und Rucksack von Chanel. Foto © Rose Wagner