Christian Dior: Designer of Dreams
Victoria and Albert Museum, London
> 02.02. – 14.07. 2019
Den Namen Dior kennt jeder. Wer sich für Mode und Prominente interessiert, kann unmöglich dem Product Placement des Modehauses entgehen. Selbst wer nicht weiß, welcher Designer gerade bei Dior die glamourösen Roben entwirft, in denen Rihanna, Nicole Kidman oder Lupita Nyong’o über den Roten Teppich schreiten – oder wie Jennifer Lawrence stolpern – , hat bestimmt schon einmal vom „New Look“ gehört, dem Modestil, der Christian Dior (1905-1957) weltberühmt machte. Die Werbung für Dior-Parfüms ist allgegenwärtig.
Dior ist heute neben Chanel das letzte der alten Pariser Modehäuser von internationaler Bedeutung. Es gehört zum Luxuskonzern Moët Hennessy Louis Vuitton.
Die Dior-Retrospektive im Victoria and Albert Museum ist als Hommage an den Modeschöpfer und sein Haus konzipiert. Bereits der Titel „Christian Dior: Designer of Dreams“ verspricht Eskapismus. Zu sehen sind 200 wunderschöne Haute-Couture-Kreationen, Chiffon, Seide, Spitze, feinste Stickereien und Swarovski-Kristalle in Hülle und Fülle, alles meisterlich verarbeitet und in einer grandiosen Kulisse arrangiert. Außer den Modell-Kleidern sind rund 300 weitere Objekte ausgestellt, darunter Accessoires, Miniatur-Modellkleider und Parfüm-Flakons sowie Fotografien, die Christian Diors Lebensstationen dokumentieren. Die Szenerie wird von Christian Diors Original-Modellen beherrscht. Alle seine Modelinien von 1947 bis 1957 sind vertreten. Sie dienen den Dior nachfolgenden Kreativ-Direktoren – sechs bis heute – als Quelle der Erleuchtung und als Verpflichtung für die Weiterentwicklung des Erbes.
Von Anfang an unterschied sich das Maison Dior von anderen Pariser Modehäusern durch einen hohen Grad an Ausdifferenzierung. Bereits im Jahr 1947 wurde das Parfüm „Miss Dior“ auf den Markt gebracht, es folgten Strümpfe und Schmuck, für deren Produktion und Vertrieb weltweit Lizenzen verkauft wurden. Dior stand für einen modischen Total-Look. Der Vorteil der breiten Produktpalette bestand darin, dass Frauen, die sich kein Haute-Couture-Modell leisten konnten – also fast alle – sich mit einem erschwinglicheren Erzeugnis des Modehauses trösteten.
Die Londoner Schau basiert auf der Ausstellung des Pariser Musée des Arts Décoratifs mit der 2017 an den 70. Jahrestag des „New Look“ erinnert wurde. Die meisten Exponate stammen aus der Dior Héritage collection Paris von Moët Hennessy Louis Vuitton. Gegenüber der Pariser Schau kommt im Victoria and Albert ein Kapitel über Christian Diors Beziehung zum Vereinigten Königreich hinzu.
Den Auftakt des Ausstellungs-Parcours macht das „Bar“-Kostüm – gedacht für den vorabendlichen Cocktail an der Hotelbar. Es ist das bekannteste Modell aus Diors Debüt-Kollektion, die im Februar 1947 wie ein Meteorit in die Nachkriegs-Modewelt einschlug. Die Jacke ist aus elfenbeinfarbener Shantung-Seide, der weitschwingende Rock aus vier Metern schwarzem, plissiertem Wollstoff reicht fast bis zum Knöchel.
Mit dem „New Look“, wie Diors Stil fortan hieß, wurde der sparsame und praktische Modestil der Kriegszeit mit seinen geschlechtsneutralisierenden Tendenzen und Anklängen an Uniformen verabschiedet. Das „Bar“-Ensemble wurde zum Inbegriff des „New Look“, dessen Kennzeichen sanft abfallende Schultern, runder Busen, Wespentaille und gepolsterte Hüften waren. Er war hyperfeminin und verlangte nach einem Korsett sowie weiteren stützenden Unterbauten. Hosen sah der „New Look“ nicht vor.
Die augenfällige Herausstellung des „Bar“-Kostüms in der Ausstellung geht nicht mit einer Einordnung in die sozial-kulturellen Gegebenheiten seiner Entstehungszeit einher, die die Aufregung über den „New Look“ überhaupt erst verständlich machen. Die Befreiung von Paris lag gerade drei Jahre zurück, das Kriegsende kaum zwei Jahre. Noch immer bestimmten Mangel, Entbehrung und Unsicherheit über die Zukunft den Alltag, die Stimmung war gedrückt, die politischen Gräben in Frankreich tief. Weil die Drucker streikten, blieb die französische Presse im Februar 1947 weitgehend stumm. Die englische Presse hielt sich wegen anhaltender Rationierung im Textilbereich mit der Berichterstattung über den „New Look“ zurück, um nicht unerfüllbare Wünsche zu wecken. Das war die Stunde der amerikanischen Modemagazine Harper´s Bazaar und Vogue, die begeistert über Diors Kollektion berichteten, obwohl in den USA die Designerin Claire McCardell (1905-1958) mit einer unkomplizierten, bewegungsfreundlichen Mode Erfolge feierte. Doch ihr fehlte der Paris-Nimbus; McCardell produzierte ausschließlich erschwingliche Ready-to-wear-Mode.
Mit Diors Debüt-Kollektion war Paris zurück im Zentrum der internationalen Modewelt. Über den Initiator und Finanzier von Diors Geschäftseröffnung, den Textilfabrikanten Marcel Boussac, wird in der Ausstellung nicht berichtet.
Dass der „New Look“ nicht auf ungeteilte Begeisterung traf, wird einzig durch ein kleines Foto dokumentiert, das in einer Vitrine mit ansonsten ausschließlich positiven Äußerungen zum „New Look“ kaum auffällt. Ende des Jahres 1947 sah sich Christian Dior in Chicago einer Gruppe Frauen gegenüber, die Schilder mit der Aufschrift „Mr. Dior, we abhor dresses to the floor“ hochhielten und den immensen Stoffverbrauch sowie die unpraktischen langen Röcke kritisierten. Auch in Frankreich wurde das in Diors Mode zum Ausdruck kommende Frauenbild kritisiert, vor allem von Frauen aus der Arbeiterklasse und Intellektuellen wie Simone de Beauvoir. Sie gehörten jedoch nicht zu Diors Zielgruppe, und der „New Look“ setzte sich letztlich durch.
In den 1950er Jahren war Großbritannien nach den USA und Frankreich der drittgrößte Absatzmarkt für das Modehaus. Den Damen der britischen High Society zeigte Dior seine Kollektionen bei privaten Modenschauen in traditionsreichen Landsitzen wie dem Blenheim Palace – Geburtsort von Winston Churchill –, wo auch Prinzessin Margaret mehreren Vorführungen beiwohnte.
Für die Ausstellung wurde ein Salon dieses Palais` nachgebildet, einschließlich Säulen, Bodenfliesen und Fototapeten-Ausblick auf den Park. Die Kleider in diesem Teil stammen aus den Beständen britischer Museen. Glanzpunkt ist das Ballkleid zu Prinzessin Margarets 21. Geburtstag. Im Vergleich zu Cecil Beatons fotografischer Inszenierung im Palast-Ambiente mit der erwartungsvoll in die Zukunft blickenden Prinzessin, wirkt das reale Ballkleid unspektakulär.
In Sälen mit Titeln wie „Historizismus“, „Reisen“ oder „Gärten“ geht die Ausstellung auf Diors Inspirationsquellen ein. Hier stehen Original-Modelle Diors und solche der ihm folgenden Kreativ-Direktoren nebeneinander. Auf einen Blick lässt sich erkennen, was sie miteinander verbindet und worin sie sich unterscheiden.
Für Dior war die Belle Époque die wichtigste stilprägende Epoche, eine Zeit der Opulenz und stabiler, eindeutig definierter Geschlechterverhältnisse. Von Diors Nachfolgern spielte vor allem John Galliano mit Stil-Elementen aus dieser Ära.
Den sechs Chef-Designern wird zusätzlich jeweils ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem vor ihren überdimensionierten Porträt-Fotos typische Entwürfe arrangiert sind. John Galliano (1997-2011) übertönt mit schrägen, operettenhaften und manchmal grotesken Kostümen alle anderen. Sein Stil ist unverwechselbar und bringt Erfrischung in die überwiegend weihevolle Atmosphäre der Ausstellung. Gallianos Rauswurf bei Dior wegen anti-semitischer Ausfälle wird auf einer Informationstafel euphemistisch als „Kontroverse“ umschrieben, die zur Trennung geführt habe.
Nachfolger Gallianos wurde Raf Simons (2012-2015), dessen klarer, schnörkelloser Stil an Marc Bohan (1961-1989) erinnert. Größere Gegensätze als Galliano und Simons sind schwer vorstellbar. Man hätte gern etwas über die Überlegungen erfahren, die den Konzern bewogen, nach dem exaltierten Briten den zurückhaltenden Belgier Simons zu engagieren. Als Simons nach drei Jahren das Haus Dior auf eigenen Wunsch verließ, übte er Kritik an überzogenen Erwartungen über die Anzahl der Kollektionen pro Jahr. Auf einer Informationstafel heißt es lediglich, Simons habe sich auf seine eigene Modelinie konzentrieren wollen.
Seit 2016 ist Maria Grazia Chiuri Chef-Designerin bei Dior und liefert eine als feministisch deklarierte Mode. Sie schickte Models in T-Shirts mit der Aufschrift „We should all be feminists“ auf den Laufsteg; ihre Kollektion für Frühjahr/Sommer 2019 steht unter dem Motto „Sisterhood is global“. Diese Slogans finden sich auf den in der Ausstellung gezeigten Modellen nicht, stattdessen etliche mit großen Logos, Mode für eine markenbewusste Klientel.
Der Höhepunkt der Ausstellung ist der Ballsaal mit Drehbühne, Klang-Teppich und einer Lichtregie, die die Abendroben in wechselnde Farben taucht. Auf einer Seitenbühne sind Roben aufgereiht, die von Auftritten auf Roten Teppichen bekannt sind. Vor diesen Exponaten ist das Gedränge besonders groß. Auch das Kleid, in dem Jennifer Lawrence ins Stolpern geriet, kann bewundert werden.
Die Ausstellung könnte von Moët Hennessy Louis Vuitton selbst konzipiert worden sein. Der kuratorische Beitrag des Victoria and Albert Museums, immerhin eines der wichtigsten Kunstgewerbemuseen der Welt, wird nicht deutlich genug.
Mode fällt nicht einfach vom Himmel, sie wird von Menschen in einer bestimmten Zeit entworfen, und sie ist immer auch Ausdruck ihrer Zeit, manchmal ist sie sogar der Inbegriff einer bestimmten Epoche, wie es der „New Look“ seinerzeit war. In den 70 Jahren seines Bestehens hat sich die Welt um das Modehaus herum verändert, und diese gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln sich in der konkreten Organisation und Produktpalette von Dior wider. In der Ausstellung erfährt man jedoch wenig darüber, welche Kräfte auf das Modehaus einwirken, welche Abhängigkeiten bestehen, wie es um die kreative Autonomie der Chef-Designer bestellt ist, welche Bedeutung heute der Prominenten-Kult für das Geschäft hat.
Bereits zwei Wochen nach Eröffnung waren die Online-Tickets komplett ausgebucht. Die Ausstellung ist eine perfekt inszenierte Unterhaltungsschau und ein großer Publikumserfolg. Für ein Museum mit dem Renommee des Victoria and Albert reicht es jedoch nicht, ausschließlich die schöne Seite der Mode zu inszenieren, ohne einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Im Musée des Arts Décoratifs in Paris waren Olivier Gabet und Florence Miller für das Konzept zuständig, im Victoria and Albert Oriole Cullen, die Szenografie stammt von Nathalie Crinière. Swarovski ist Sponsor.
Titelfoto: Yves Saint Laurent 1960, Raf Simons 2012, Christian Dior 1955, Dior Héritage collection, Paris. Foto © Rose Wagner