Wie ist der sensationelle Erfolg der Ausstellung „Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination“ im Metropolitan Museum of Art (MET) in New York zu erklären, die zwischen Mai und Oktober 2018 mehr als 1,6 Mio Menschen anzog?
Dem MET ‒ eines der größten und bedeutendsten Kunstmuseen der Welt ‒ sind Superlative nicht fremd. Der Zuspruch für eine Schau über den Einfluss katholischer Bildwelten und Traditionen auf die Haute Couture überstrahlte jedoch alles.
Dabei barg die Ausstellung das Potential zur Provokation in sich, wegen der Missbrauchsskandale, die die katholische Kirche in eine tiefe moralische Krise stürzten, aber auch wegen der weltweit zunehmenden Politisierung und Instrumentalisierung von Religion. Obendrein ist das Zusammenbringen kirchlicher und weltlicher Kleidung in einer einzigen Schau absolut unüblich.
Der Ausstellung lag die These des amerikanischen Soziologieprofessors und Priesters Andrew Greely (1928-2013) von der „Catholic Imagination“ zugrunde, wonach sich der Katholizismus in einer spezifischen Weise des Geschichtenerzählens und reicher Symbolsprache entfaltet. Zu den typischen Symbolen zählen Strahlenkranz, Engelsflügel, Sterne, Himmelsschlüssel, Kreuze, Totenschädel, blutende Herzen und Dornenkronen – um nur einige zu nennen.
Zu sehen waren Schöpfungen von 55 Designern – fast ausnahmslos aus Europa und den USA –, die katholisch erzogen wurden. Cristóbal Balenciaga war sehr fromm; Alexander McQueen wütete gegen die Zwänge seiner katholischen Sozialisation; Elsa Schiaparelli wurde im Petersdom getauft, ein biografisches Detail, das in ihrer Couture bildhafte Wiederauferstehung feierte.
Nicht alle blieben Zeit ihres Lebens gläubige Katholiken; für alle aber gilt: die Theatralik von Liturgie und Riten, die Dramatik biblischer Geschichten und Heiligenlegenden, die Ordenstrachten und liturgischen Gewänder und der Zauber der sakralen Kunst entzündeten ihre Phantasie.
Verantwortlich für „Heavenly Bodies“ war der Chef-Kurator des Costume Institute im MET, Andrew Bolton, ein katholisch aufgewachsener Brite, dessen Lebensgefährte, der Designer Thom Browne ‒ ebenfalls katholisch sozialisiert ‒, zur Ausstellung beitrug.
Die Ausstellung erstreckte sich über drei Schauplätze: Costume Center und Mittelalterflügel des MET, beide im Hauptgebäude an der Fifth Avenue, sowie The Cloisters, eine Anlage, die aus den Teilen von fünf mittelalterlichen Klöstern besteht und im äußersten Norden Manhattans liegt.
Rund 150 Couture-Ensembles – bis auf zwei Ausnahmen ausschließlich Damenmode, frühes 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart – wurden in Sammlungen jahrhunderteralter sakraler Kunstwerke hineingestellt, um den Bezug zur katholischen Ikonografie und die Verbindung zwischen spiritueller Quelle und ihrer textilen Materialisierung zu verdeutlichen. So wurde ein Modell von Alexander McQueen aus Sperrholz mit einem mittelalterlichen Altarrelief über die Anbetung der Heiligen Drei Könige kontrastiert. Das verlieh der McQueen-Kreation geistige Tiefe, und das sakrale Kunstwerk wirkte geradezu modern.
Die Kreationen reichten vom Naheliegenden und Offensichtlichen wie bei Versace und Dolce & Gabbana mit ihrer bildreichen Deutlichkeit bis zum Unerwarteten und Zurückhaltenden wie bei schlichten Brautkleidern von Chanel und A.F. Vandehorst, die Kommunions- und Taufkleidern nachempfunden sind. Balenciagas tiefe Religiosität schlug sich in einem Brautkleid ohne sichtbare Naht nieder, eine ehrfürchtige Referenz an das Grabhemd Jesu, das – der Legende nach – keine Naht hatte und deshalb unauflöslich war, wie in der katholischen Lehre das Sakrament der Ehe.
Die Brautkleider von Christian Lacroix und Yves Saint Laurent wirkten dagegen durch Übersteigerung. Der eine dekorierte die Robe üppig mit Rosen und krönte sie mit einem Heiligenschein, der andere versah ein voluminöses Ensemble zusätzlich mit ausladenden Engelsflügeln.
Yves Saint Laurent und Riccardo Tisci (heute Burberry) waren auch mit Gewändern für den kirchlichen Gebrauch vertreten. Tiscis Kleid für die Madonna von Palagianelli ist über und über mit Swarovski-Kristallen bestickt; die Fertigstellung dauerte mehr als 3000 Stunden.
Auch für Haute-Couture-Kleider ist ein extrem hoher Arbeitsaufwand nicht ungewöhnlich. Der Unterschied zwischen Profanem und Sakralem liegt in der Bestimmung, nicht in Opulenz, Ästhetik oder Herstellungspraxis. Haute-Couture-Roben werden für eine Saison, für einen einzigen Anlass geschaffen, kirchliche Gewänder für die Ewigkeit.
Die spektakulärsten Kostüme waren in der großen Mittelalterhalle zu sehen, darunter solche von John Galliano, Alexander McQueen und Jean Paul Gaultier. Sie waren zeitweilig umlagert und ließen nur für kurze Momente eine ungestörte Betrachtung zu. Eine Musikkonserve mit abgehackten Streicherklängen in Endlosschleife ließ Sehnsucht nach klösterlicher Stille aufkommen.
Die gab es in The Cloisters. In den Kreuzgängen und kleinen Kapellen standen Couture-Modelle, die sich durch Zurückhaltung, Strenge und klare Linien auszeichneten. Ein Zusammenhang zwischen Inspirationsquelle und Design wurde deutlich – etwa bei Claire McCardell, Madame Grès und Anne Demeulemeester.
Eine samtene rote Abendrobe von Valentino spielte mit der Spannung zwischen Keuschheit und Begehren: schlichte Linie, keine Dekoration, tiefer Ausschnitt. Dieses Kleid gehörte zu den wenigen Beispielen, in denen religiöse und sexuelle Sphäre aufeinander bezogen wurden.
In den Räumen des Costume Institute waren rund 50 liturgische Gewänder (18.- 20. Jh.) nebst Beiwerk aus der Sakristei der Sixtinischen Kapelle zu sehen, von denen einige niemals zuvor den Vatikan verlassen hatten und weiterhin in Gebrauch sind. Um ein Gefühl für das Erhabene zu bewahren, hatte Rom um separate Präsentation gebeten, ohne Hinzufügung weiterer sakraler Kunst. Das Fotografieren war nicht erlaubt.
Den kostbaren, mit höchster Kunstfertigkeit gefertigten Exponaten war eine theologische Begründung aus der „Ästhetik der Herrlichkeit“ des Theologen Hans Urs von Balthasar (1905-1988) vorangestellt: In der Schönheit zeigt sich die Herrlichkeit Gottes. Das Schöne ist Ausdruck des Guten und Wahren.
Die ausgestellten Paramente spiegelten historische Phasen der katholischen Kirche wider und offenbarten Unterschiede bei den einzelnen Päpsten hinsichtlich ihrer Prachtentfaltung. Die glanzvollsten Gewänder und kostbarsten Tiaren trug Pius IX. (Pontifikat 1846-1878) – er muss der Dandy unter den Päpsten gewesen sein. Seit den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er Jahren übt sich die Römische Kurie in größerer Zurückhaltung: Wolle statt Seide, kaum Spitze, wenig Stickerei. Tiaren werden nicht mehr getragen.
Der sensationelle Erfolg von „Heavenly Bodies“ fiel nicht vom Himmel. Er wurde durch folgende Faktoren begünstigt:
- Werbung durch die MET Gala
- Wandel der Museen zu einem Ort der Massenunterhaltung
- Dramaturgie und Szenografie der Ausstellung
Kein anderes Kunstmuseum der Welt kann mit einer vergleichbar glamourösen Eröffnungsfeier für eine Ausstellung aufwarten. Die MET Gala – gedacht zur Einwerbung von Spenden für das Costume Institute – ist ein popkulturelles Event sondergleichen, sie stellt sogar das Staraufgebot bei den Oscars in den Schatten. Dieses Mal präsidierten neben Anna Wintour und Donatella Versace auch Amal Clooney sowie die als Päpstin kostümierte Rihanna.
Selbst renommierte Kunstmuseen wie das MET – derzeit gebeutelt von einer Finanzierungslücke von mehr als 40 Mio Dollar – müssen neue Zielgruppen ansprechen und die Besucherzahlen steigern. Das gelingt mit Modeausstellungen. Zu spektakulären Haute-Couture-Modellen kann jeder etwas sagen, und wenn der Faktor Prominenz hinzukommt, ist der Erfolg garantiert. Vor „Heavenly Bodies“ haben es bereits drei andere Modeausstellungen in die Top Ten des MET geschafft: „China: Through the Looking Glass“ (816.000 Besucher), „Manus X Machina“ (753.000) sowie „Alexander McQueen: Savage Beauty“ (660.000), sämtlich unter der Regie von Andrew Bolton.
In „Heavenly Bodies“ durften die Haute-Couture-Ensembles nach Herzenslust fotografiert werden; man musste ständig aufpassen, um niemandem ins Bild zu laufen. Wohl noch von keiner Modeausstellung wurden so viele Bilder auf Instagram gepostet. Das Museum hat sich von einem „Ort der sozialen Distinktion“ (Bourdieu) und kontemplativen Betrachtung zu einem Ort der Massenunterhaltung entwickelt. Das noch immer für Objekte im Museum geltende „Berühr-mich-nicht-Gebot“ wird durch die Foto-Erlaubnis aufgehoben. Das lässt sich als Demokratisierung werten.
„Heavenly Bodies“ stach durch seine Dramaturgie und Szenografie hervor. Die Verbindung von religiöser Kunst mit weltlicher Mode war aufschlussreich, selbst wenn manche Installation an die Grenze des Kitsches ging oder sie sogar überschritt. Das Sakrale verblasste in der Gegenüberstellung mit dem Profanen keineswegs, wenn auch nicht jeder Besucher ein Auge dafür hatte, sondern vom Gedränge und Spektakel in der großen Mittelalterhalle – es ging zu wie auf einem Marktplatz – und den grandiosen Fotomotiven absorbiert war.
In The Cloisters war das Publikumsaufkommen weitaus geringer, es schienen geradezu andere Menschen zu sein, die den weiten Weg in den Norden Manhattans auf sich nahmen, um dem Zusammenhang von religiöser Empfindung und Modedesign nachzuspüren. Die ausschließliche Konzentration auf das Sakrale im Costume Institute erlaubte wiederum ein anderes ästhetisches Erlebnis.
Die Vertreter der katholischen Kirche waren mit „Heavenly Bodies“ hochzufrieden und erkannten nichts Blasphemisches, wie besorgte Seelen zuvor befürchtet hatten. „Immer noch besser katholische Symbole in der Mode als solche des Römischen Imperiums“, scherzte Kurienkardinal Ravasi – Präsident des Päpstlichen Rates für die Kultur – bei der Ausstellungseröffnung (New York Times, 03.05.2018).
Die Ausstellung war ein visuelles Erlebnis – ganz im Sinn der Vorstellung von der „Catholic Imagination“, die ihr zugrundelag. Analytisch war sie nicht. Sie stieß Fragen an, die sie selbst nicht beantworten wollte oder konnte. Zum Beispiel diese: Warum schlägt sich das Katholische fast ausschließlich in der Haute Couture für Frauen nieder?
Titelfoto: Bewunderer vor Abend-Ensemble, John Galliano für Dior, 2005/6. Foto © Rose Wagner