Bill Cunningham, der älteste und bekannteste Street-Style-Fotograf der Welt, verstarb am 25. Juni 2016 im Alter von 87 Jahren in New York. Er verwandelte die Modefotografie in eine kulturelle Anthropologie des Alltagslebens, wie es im Nachruf der New York Times heißt, die er 40 Jahre lang mit seinen Fotos belieferte.
Ständig war er mit dem Fahrrad unterwegs – er soll über 30 verbraucht haben – und fotografierte Menschen, deren Kleidung ihm in irgendeiner Weise bemerkenswert erschien: stylisch, gewagt, farbenfroh, zeitlos elegant oder alltäglich nett. In ihrer Gesamtheit bilden seine Fotos die Chronik einer Stadt, die sich ständig wandelt; die Kleidung der Menschen ist das deutlichste Zeichen für politische und soziale Umbrüche, Veränderungen und Stimmungen.
Er war der erste Modefotograf, der nicht nur die Laufsteg-Schauen ablichtete, sondern auch die bunten Vögel, die vor den Eingängen warten und auch wahrgenommen werden wollen. Cunningham liebte diesen Straßen-Karneval, wie er es nannte, den schrägen und schrillen Gegensatz zu den kommerziellen Laufsteg-Veranstaltungen der New York Fashion Week.
Es gab in den letzten Jahrzehnten kein großes Society-Ereignis in New York, bei dem er nicht die Reichen, die Schönen und die Semi-Prominenten in ihren teuren Hüllen fotografiert hätte. Aber er knipste auch Sonntagsausflügler im Central-Park und stand an der Strecke des New York Marathon und fotografierte Teilnehmer und Zuschauer in ihren neonfarbenen Outfits. Sein wichtigstes Revier war die Straße, hier war er in seinem Element. Seine Foto-Kolumne – On the Street – und sein Videoblog in der New York Times spiegelten die gesellschaftlichen Veränderungen wider. In seinen Fotos ging es um weit mehr als ästhetische Vorlieben der Stadtbewohner und neue modische Trends.
Seine Fotostrecken behandelten Themen wie: Schottenkaros, breitkrempige Hüte, sonnengelbe Kleidung, Plissees, Männer in sehr kurzen Shorts und Frauen in bauchfreien Oberteilen, die Piercings und Tattoos freilegen. Über Jahre dokumentierte er, wie sich die Vorstellung von dem, was akzeptabel und schön ist, veränderte.
Eine seiner letzten Fotostrecken für die New York Times zeigt Menschen jeden Alters und Geschlechts und jeder sozialer Stellung in Jeans mit Rissen und Löchern – auf der Straße und bei großen gesellschaftlichen Ereignissen wie dem jährlichen Ball des Metropolitan Museum of Art.
Bei der Arbeit trug er meistens eine blaue Arbeiterjacke und schwarze Sneakers. Noch im hohen Alter war er schnell, wendig – und wählerisch. Er hat nicht wahllos geknipst.
Bei der Fashion Week in New York im September 2014 konnte ich ihn beobachten, wie er kam, sah und fotografierte – oder auch gelangweilt vorbeiging, wenn ihm etwas oder jemand zu uninteressant erschien. Hier ein paar Impressionen.
An dieser jungen Frau hat Bill Cunningham kein Interesse. Er unterhält sich lieber freundlich mit einem Kollegen und den Polizisten, die die Szene bewachen.
Cunningham bemerkt ein lohnenswertes Objekt – es ist Anna dello Russo, sogenannte Mode-Ikone, die bei keinem einschlägigen Ereignis fehlt, nebenher für die japanische Vogue tätig ist und für H&M eine Accessoires-Kollektion entwarf.
Cunningham wird erkannt, und Anna dello Russo posiert gern.