Schuhmuseum Weißenfels Dauerausstellung
Schloss Neu-Augustusburg, Weißenfels

Von der Schuhindustrie der DDR ist außer Erinnerungen, Industrie-Ruinen und einer Ausstellung nicht viel geblieben. Diese Ausstellung wurde 1985 im Schloss Neu-Augustusburg in Weißenfels eröffnet und blieb bis heute im Wesentlichen unverändert – und gerade das macht sie sehenswert.

Schloss Neu-Augustusburg. Foto © Rose Wagner

Schloss Neu-Augustusburg. Foto © Rose Wagner

Die Schuhausstellung ist Teil des städtischen Museums, das 1964 im Westflügel des Schlosses untergebracht wurde und von 1969 bis 1990 als Schuhmuseum der DDR fungierte. Heute beherbergt das Museum eine Ausstellung zur Stadtgeschichte und zum Herzogtum Sachsen-Weißenfels sowie eine der bedeutendsten Schuhsammlungen Deutschlands, wie es in einer Broschüre des Fremdenverkehrsvereins heißt. In Besucherzahlen schlägt sich das allerdings nicht nieder.

Eingang zum Museum. Foto © Rose Wagner

Eingang zum Museum. Foto © Rose Wagner

Die Ausstellung ist weniger Modepräsentation denn Lehrstunde in Marxismus-Leninismus am Beispiel von Schuhen. In ihrer unverstellt ideologischen Ausrichtung zeichnet sie das Bild einer sozialistischen Gesellschaft, in der Fußbekleidung auf höchstem technisch-wissenschaftlichem Niveau produziert wird. Die Ausstellung verströmt den Charme einer Leistungsschau der Leichtindustrie. Ein stärkerer Kontrast zu den gängigen Schuhausstellungen mit ihrem Glamour und der Betonung von Design, Erotik und Marke ist nicht vorstellbar.

Schuhe und Klebemittel. Foto © Rose Wagner

Schuhe und Klebemittel. Foto © Rose Wagner

Die Tradition der Schuhherstellung in der Region Weißenfels reicht bis ins Mittelalter zurück. Im Barock erlebte die Stadt eine kulturelle Blütezeit, als von 1680 und 1746 die Herzöge von Weißenfels-Sachsen im neugebauten Schloss residierten. Zur höfischen Prachtentfaltung gehörte erlesenes Schuhwerk von kunstfertigen Hofschuhmachern.

Damenschuhe, ca. 1700. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Damenschuhe, ca. 1700. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Etabliert wurde das Museum Weißenfels im Jahr 1910. Die Gründerzeit hatte dem Ort Industrie, Wohlstand und die Entwicklung eines Bildungsbürgertums gebracht, das mit Schenkungen nicht geizte.

Vivatbänder aus der Sammlung des Schlosses Neu-Augustusburg in Weißenfels. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Sammlungsschwerpunkte waren für die Gründerzeit typische Objekte aus Eisenguss sowie Vivatbänder, außerdem völkerkundliche Fußbekleidung und Schuhwerk aus der Barockzeit. Diese Schuhe wurden in den letzten Jahren aufgearbeitet; sie sind in der Ausstellung nicht zu sehen, Fotos können jedoch im Museum Digital betrachtet werden (http://www.museum-digital.de/).

Nach eigenen Angaben verfügt das Museum Weißenfels heute über 8000 Objekte.

Die industrielle Fertigung von Schuhen nahm seit dem späten 19. Jahrhundert in der Umgebung von Weißenfels einen schnellen Aufschwung. Im Nationalsozialismus wurden die Betriebe jüdischer Besitzer arisiert; nach Kriegsende demontierte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) zahlreiche Fabrikationsstätten; verbliebene Schuhfabriken wurden später von der SED in Volkseigentum überführt. Zu diesem Themenkomplex bleibt die Ausstellung vage.

Die SMAD bestimmte Weißenfels zum Zentrum der Schuhindustrie in ihrem Besatzungsgebiet. Nach Gründung der DDR wurde in der Stadt die Zentrale des neuentstandenen VEB Kombinat Schuhe angesiedelt, dem schrittweise die enteigneten privaten Schuhfabriken eingegliedert wurden. Zum Kombinat gehörten drei Dutzend Betriebe mit fast 140 Produktionsstätten, darunter der gesamte Vorstufenbereich vom Schuhmaschinenbau bis zur Leder-, Gummi- und Leistenherstellung, eine Ingenieurschule, eine Berufsschule sowie der VEB Zentraler Forschungs- und Rationalisierungsmittelbetrieb Weißenfels, der eine bedeutsame Rolle für die Schuhfabrikation der DDR spielte.

Karte mit den Standorten der Betriebe des VEB Kombinat Schuhe. Foto © Rose Wagner

Karte mit den Standorten der Betriebe des VEB Kombinat Schuhe. Foto © Rose Wagner

Die wichtigste Schuhfabrik des Kombinates war der VEB Banner des Friedens in Weißenfels, der auch Leitbetrieb für Kinderschuhe war. Der VEB Paul Schäfer – benannt nach einem kommunistischen Politiker, vormals Lingel-Schuhfabrik – war in der DDR der größte Produzent für Damenschuhe; täglich wurden bis zu 25.000 Schuhe gefertigt. Der VEB Vereinigte Hausschuhwerk Hartha spezialisierte sich auf Haus- und Sportschuhe, der VEB Granit Schuhfabrik Storkow auf Arbeits- und Berufsschuhe und so fort. Durch die Spezialisierung sollte die Produktivität gesteigert werden.

Zur DDR-Zeit waren zeitweilig bis zu 47.000 Menschen in der Schuhindustrie beschäftigt, allein 6.000 im Banner des Friedens. Die Schuhbetriebe überlebten die Einführung der Marktwirtschaft nicht. Zum 1. Juli 1990 wurde der VEB Kombinat Schuhe aufgelöst. In der DDR war die Herstellung von Schuhen – vor allem solche für Kinder – subventioniert; auch das war vorbei.

Kleinstkinder-Stiefel, VEB Banner des Friedens, 1974-1975. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Kleinstkinder-Stiefel, VEB Banner des Friedens, 1974-1975. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Die Schuhausstellung umfasst zwei Teile: einen völkerkundlichen – er wurde Mitte der 1990er Jahre überarbeitet – sowie einen wesentlich größeren, der von der Schuhherstellung in der Sklavenhalterbewegung, die Entwicklung der Zünfte, die Formierung der Schuharbeiterbewegung bis zur Schuhproduktion in der DDR reicht, auf die alles zuläuft. Texttafeln klären über die Bedeutung der verschiedenen SED-Parteitage für die Produktion von Fußbekleidung auf sowie über das fruchtbare Wirken sozialistischer Brigaden. In den Vitrinen, die teilweise noch aus den 1960er Jahren stammen, befinden sich Schuhe, Sohlen, Werkzeuge sowie Dosen mit Klebemitteln.

Der VIII. Parteitag und die Schuhproduktion. Foto © Rose Wagner

Der VIII. Parteitag und die Schuhproduktion.
Foto © Rose Wagner

Komplette Schuhpaare sind selten zu sehen, denn viele Kombinatsbetriebe stellten dem Museum lediglich Einzelschuhe zur Verfügung. Im Gesamtarrangement innerhalb der Vitrinen wirken diese Einzelschuhe verloren; einige sind von einer feinen Staubschicht überzogen; sie machen einen ärmlichen Eindruck. Wegen der vielen Begleitexponate kommen die Schuhe nicht genügend zur Geltung. Erfreulich ist, dass das Museum die Fotos vieler Schuhe – auch etlicher, die in der Ausstellung nicht zu sehen sind – bei Museum Digital eingestellt hat.

Die Ausstellung betont die technische Seite der Schuhherstellung. Man sieht Automaten und Maschinen zum Nähen, Zwicken, Kleben und Pressen. Ein klobiger Spritzgussautomat für PVC-Sohlen wird als Import aus der CSSR kenntlich gemacht; an einer wuchtigen Laserschneidanlage zum Schneiden von Maßschablonen befindet sich der Hinweis, dass sie anlässlich des XI. Parteitags der SED in Betrieb genommen wurde.

Maschinen für die Schuhproduktion. Foto © Rose Wagner

Maschinen für die Schuhproduktion. Foto © Rose Wagner

Die Maschinen sind nicht uninteressant;  der kleine Maschinenpark macht allerdings den Eindruck, als habe jemand etwas abgestellt, für das sich keine andere Möglichkeit der Lagerung fand.

Dass sich Ästhetik und Funktionalität nicht ausschließen müssen, zeigt ein vielgliedriges Riesengebilde. Es erinnert an ein Mühlrad und entpuppt sich als Radklebpressmaschine Modell Usurpator von 1940. Seit um 1910 der erste brauchbare Schuhklebstoff erfunden wurde, konnte das zeitintensive Zusammennähen, Nageln und Schrauben von Sohle und Oberleder entfallen. Stattdessen wurden die beiden Teile mittels Druck in den einzelnen Kammern von Radklebpressmaschinen miteinander verbunden.

Radklebpressmaschine für Schuhsohlen, 1940. Foto © Rose Wagner

Radklebpressmaschine für Schuhsohlen, 1940.
Foto © Rose Wagner

Der Mangel an Rohstoffen trieb in der DDR die Suche nach Ersatz für Leder voran. Im nördlich von Weißenfels gelegenen Kombinat VEB Chemische Werke Buna in Schkopau1936 von den Nationalsozialisten als weltweit erstes Synthesekautschukwerk gegründet – wurden auch Schuhe hergestellt; sie fallen durch ihre Farbigkeit auf.

PVC-Sandaletten, VEB Chemische Werke Buna, Betriebsabteilung Wiehe, 1973. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

PVC-Sandaletten, VEB Chemische Werke Buna, Betriebsabteilung Wiehe, 1973. Foto © Museum Weißenfels,
Museum Digital Sachsen-Anhalt

In den Nachkriegsjahren gab es in modischer Hinsicht keinen Unterschied zwischen den Schuhen aus Ostdeutschland und solchen aus dem Westen.

Damen-Slipper, VEB Schuhfabrik Ernst Pretzsch „Rakete“, Weißenfels, 1954. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Damen-Slipper, VEB Schuhfabrik Ernst Pretzsch „Rakete“, Weißenfels, 1954. Foto © Museum Weißenfels,
Museum Digital Sachsen-Anhalt

Hochfrontpumps, VEB Schuhfabrik Bella, 1952. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Hochfrontpumps, VEB Schuhfabrik Bella, 1952. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Später hinkten die meisten der in der DDR produzierten Schuhe westlichen Modetrends hinterher.

Für große Teile der Bevölkerung blieb immer die Mode aus dem kapitalistischen Westen Vorbild und Wunschtraum. Die SED propagierte eine demokratische Mode, die zur allseitigen Entwicklung der Persönlichkeit beitragen sollte. Diese Vorstellung blieb jedoch letztlich diffus.

Sandale aus Kunstleder, VEB Banner des Friedens, 1962-1964. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Sandale aus Kunstleder, VEB Banner des Friedens, 1962-1964. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Eine Broschüre von Nike Breyer im Auftrag des Museums aus dem Jahr 2010 – Ohne Schuhe läuft nichts…Schuhe (in) der DDR – beschäftigt sich mit Aspekten, die in der Ausstellung nicht thematisiert werden. Der jährliche Ausstoß an Schuhen war in der DDR hoch; allein im Jahr 1986 betrug er 83,5 Millionen Paar, darunter mehr als die Hälfte Straßenschuhe. Weil die Kritik an Qualität und Aussehen der Schuhe nicht nachließ, erhielt das westdeutsche Unternehmen Salamander 1976 die Genehmigung zur günstigen Lohnfertigung in der DDR. Im Gegenzug verblieb eine nicht unerhebliche Zahl von Salamander-Schuhen im Lande, außerdem wurden zusätzlich 500.000 Paar Schuhe jährlich aus der bundesdeutschen Salamander-Produktion importiert. Allein 1985 gingen fünf Millionen Paar Salamander-Schuhe in den staatlichen Exquisit-Läden über die Theke. In Intershop-Läden konnten gegen Devisen sogar italienische Import-Schuhe erstanden werden. Auch in der DDR waren bestimmte Schuhmarken ein Statussymbol.

Die Masse der Bevölkerung musste sich mit dem Angebot in den HO- und Konsum-Läden zufriedengeben.

Kartons mit Schuhen von Salamander, VEB Bella und VEB Goldpunkt, die dem Museum in den letzten Jahren geschenkt wurden. Foto © Rose Wagner

Kartons mit Schuhen von Salamander, VEB Bella und VEB Goldpunkt, die dem Museum in den letzten Jahren geschenkt wurden. Foto © Rose Wagner

Bereits vor der Gestattungsproduktion für Salamander wurden in einigen Betrieben Schuhe produziert, die in Form, Material und Preis aus dem üblichen Rahmen fielen. Sie mussten keinen Vergleich mit westlichen Modellen scheuen. In der Ausstellung sind sie nicht zu sehen, aber im Museum Digital. Der DDR-Bevölkerung wurde diese Seite der sozialistischen Schuhproduktion im Schuhmuseum vorenthalten.

Pumps aus Python-Schlange, VEB Schuhfabrik Bella, 1965. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Pumps aus Python-Schlange, VEB Schuhfabrik Bella, 1965. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Eine eigene Handschrift entwickelte die DDR bei Kinder- und Sportschuhen, bei denen besonders auf fußgerechte Form und Ausstattung geachtet wurde.

Lernlaufschuh BUMMI, VEB Banner des Friedens, 1967. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Lernlaufschuh BUMMI, VEB Banner des Friedens, 1967. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt

Zu anderen Aspekten, die in der Ausstellung ausgeblendet werden, gehört die Abhängigkeit von Technik- und Maschinenimporten. Da die Schuhproduktion zentral gesteuert wurde und Planvorgaben folgen musste, war eine schnelle Reaktion auf modische Trends schier unmöglich. Neue Mode bedeutete: neues Material, neue Formen, neue Maschinentypen und die Umstellung innerbetrieblicher Prozesse. Eine Broschüre der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes mit dem Titel Das MfS in der Schuh-Industrie – Autor: Johannes Kunze – befasst sich mit Bespitzelung durch die Stasi im VEB Banner des Friedens in den 1970er Jahren. Die SED förderte und finanzierte den – stets geheim gehaltenen – Import westlicher Technik. Mehrere Ingenieure wurden in diesem Zusammenhang wegen angeblicher Sabotage jahrelang inhaftiert. Mittlerweile sind sie rehabilitiert.

Weißenfels ist heute nicht mehr die Stadt der Schuhproduktion sondern der Schweineverwertung. Bis zu 20.000 Schweine täglich werden im Minutentakt in der Fleischfabrik Tönnies zerlegt. Ein attraktives Aushängeschild ist das nicht, und so besinnt sich die Stadt zur Förderung des Tourismus auf das Schloss mit seinem höfischen Leben sowie die Schuhsammlung.

In einer Neukonzeption des Schuhmuseums soll Fußbekleidung aus dem Barock und aus Weißenfelser Fertigung im Mittelpunkt stehen. Interaktive Erfahrungen sollen ermöglicht werden, die Rede ist sogar von sinnlichen Erlebnissen des Ausstellungsbesuches. Das bedeutet eine radikale Abkehr vom alten Ausstellungskonzept mit seinen dogmatischen Vorgaben für die Interpretation und der wenig ansprechenden Art der Präsentation. Und doch wünscht man sich, dass nicht alles ausgekehrt wird und inhaltliche Beliebigkeit einzieht, die sich in Mitmach-Aktionen erschöpft.

Bevor der Geist der neuen Zeit ins Schloss Neu-Augustusburg einzieht, wird noch viel Wasser die Saale hinabfließen. Die Neueröffnung der Ausstellung ist für 2019/20 geplant. Ein Schlossflügel muss zuvor noch saniert werden. Sponsoren werden gesucht.

Titelfoto: Herren-Freizeitsandaletten, VEB Chemische Werke BUNA, Betriebsabteilung Wiehe, 1974. Foto © Museum Weißenfels, Museum Digital Sachsen-Anhalt