Ausstellung:
Manus X Machina. Fashion in an Age of Technology
New York > 05. 05. – 05. 09. 2016, The Metropolitan Museum of Art

Buchbesprechung:
Bolton, Andrew: Manus X Machina. Fashion in an Age of Technology. Fotos von Nicholas Alan Cope. Ausstellungskatalog The Metropolitan Museum of Art, New York. New Haven u. London, Yale University Press, 2016

In der Ausstellung Manus X Machina, die bis zum 05. September 2016 im Metropolitan Museum of Art (MET) in New York läuft, ist atemberaubend Schönes, handwerklich Perfektes, modernistisch Kühles und nostalgisch Opulentes zu sehen. Es geht um die Techniken bei der Herstellung hochwertiger Mode – Hand, Maschine und eine Symbiose aus beidem – und die Relevanz der anhaltenden Trennung zwischen Haute Couture und Prêt-à-porter. Wer nicht die Möglichkeit hat, die Ausstellung zu besuchen, dem bleibt als Trost der Katalog.

Dieses Mal ist er besonders verschwenderisch ausgefallen und vermittelt nicht nur visuell, sondern auch taktil das Thema der Ausstellung. Der gestanzte Karton-Einband erinnert an die Lochkarte für einen Jacquard-Webstuhl. Das Buch ist fadengeheftet und wird von einem Schutzumschlag aus festem, transparentem Plastik umhüllt. Verschiedene Druckverfahren – traditionelle und hochmoderne – kamen zum Einsatz, und je nach inhaltlichem Bezug wurden unterschiedliche Papiersorten und Folien verwendet, und selbst die Tinte – mal schwarz, mal silberfarbenen – wechselt je nach Kontext. Dieses bedeutungsvolle Spiel mit Materialien und Techniken des Buchdrucks verweist auf die grundlegende These von Ausstellung und Katalog: Handarbeit und Maschinenarbeit sind gleichwertig, und in ihrem Zusammenwirken kann Wunderbares entstehen.

Manus X Machina ist die erste Ausstellung von Andrew Bolton – Brite, Anthropologe und Kunsthistoriker – seit er zum Leiter des Costume Institute am MET berufen wurde. Es geht vor allem um Technik als Verfahren und Werkzeug, nicht als Endprodukt.

Sponsor von Ausstellung und Katalog ist das Hightech-Unternehmen Apple, dessen Produkte demonstrieren, wie schnell sich neue Technologie im Alltag durchsetzt und als unentbehrlich empfunden wird. Mit der Apple Watch hat das Unternehmen die Modewelt als Zielgruppe fest im Blick.

Der intellektuelle Unterbau von Manus X Machina ist bemerkenswert. Prägender Einfluss ging von der Enzyklopädie von Denis Diderot und Jean le Rond d’Alembert aus – veröffentlicht zwischen 1751 und 1772. Sie hatte dem Handwerk den gleichen Rang eingeräumt wie der Wissenschaft und der Kunst. Mit Titel und Untertitel von Ausstellung und Katalog spielt Bolton zudem auf Werke von Fritz Lang und Walter Benjamin an. Langs expressionistischer Stummfilm Metropolis (1927) geht von einer spannungsgeladenen Beziehung zwischen Hand und Maschine aus, die nur durch eine dritte Instanz – das Herz – überwunden werden kann. Bolton überträgt diese Vorstellung auf den Bereich der Mode. Der Titel Manus X Machina soll diese Zweiteilung, aber auch ihre Überwindung durch versöhnende Verbindung zum Ausdruck bringen. Der Untertitel Fashion in an Age of Technology ist eine Referenz an Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit aus dem Jahr 1935. Darin wird die Veränderung von Sehweisen analysiert, die durch neue Technologien wie Film und Fotografie hervorgerufen wurde. Für Benjamin verliert ein Kunstwerk durch Reproduktion seine Aura der Einmaligkeit.

Diese Vorstellung vom Verlust der Aura wendet Bolton auf Haute Couture und Prêt-à-porter an. Entsprechend dem Diktum Benjamins besitzt ein Haute-Couture-Modell eine Aura, ein Prêt-à-porter-Kleid jedoch nicht, denn ersteres ist ein Unikat, letzteres ein vielfach Reproduziertes. Für Bolton ist Benjamins apodiktische Sichtweise jedoch überholt, denn die Konvergenz von Hand- und Maschinengefertigtem in unserem technischen Zeitalter führe zu einer veränderten Sinneswahrnehmung: a new aesthetic is emerging – one of exacting beauty and unfettered imaginings (S. 13).

Iris van Herpen, Haute Couture,  Herbst / Winter 2013/14. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Iris van Herpen, Haute Couture,
Herbst / Winter 2013/14. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

In seiner Einführung zeichnet Bolton die komplexe Beziehung zwischen Handgefertigtem und maschinell Hergestelltem nach und sondiert die Mythen, die sich darum ranken. Handarbeit wird mit der Haute Couture gleichgesetzt, in der ein perfekt sitzendes Kleid in vielen Arbeitsstunden für eine einzige Kundin angefertigt wird, und gilt traditionell als Inbegriff höchster Qualität. Haute Couture wird mit Genie und Fantasie, aber auch mit Elite, Reichtum und Überfluss assoziiert.

Yves Saint Laurent, Haute Couture, Herbst / Winter 1969/70. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Yves Saint Laurent, Haute Couture, Herbst / Winter 1969/70. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Die serielle Fertigung von Kleidung nach Standardmaßen – Prêt-à-porter – wurde lange mit seelenloser Massenproduktion und mangelnder Kreativität in Verbindung gebracht, doch auch mit einer Demokratisierung der Mode. Prinzipiell konnte sich jede/r ein maschinell gefertigtes Kleidungsstück leisten. Die Sicht auf Prêt-à-porter hat sich gewandelt, aber immer noch gilt die Haute Couture als etwas Besseres.

Tatsächlich gab es nie die absolute Polarität von Handarbeit versus Maschinenarbeit. Die Anfangszeit der Haute Couture fiel mit der Verbreitung der Nähmaschine zusammen, und Modeschöpfer wie Charles Frederick Worth und Jacques Doucet nutzten bereits intensiv die neue Technik.

Ziel von Ausstellung und Katalog sind die Überwindung starrer und überholter Zuschreibungen und der Beweis, dass neue technische Verfahren und Materialien die Mode voranbringen können. Das wird überzeugend am Beispiel von Chanel-Kostümen demonstriert.

Karl Lagerfeld für Haus Chanel, Haute Couture, Herbst / Winter 2015/16.  Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Karl Lagerfeld für Haus Chanel, Haute Couture, Herbst / Winter 2015/16.
Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Die neuesten Kostüm-Jacken für das Modehaus ließ Karl Lagerfeld im 3-D-Druck mit Quilt-Optik – wie bei den Taschen – fertigen und verlieh damit dem Klassiker neue Frische. Dagegen wirken die traditionellen Chanel-Jacken aus Woll-Bouclé nahezu altbacken.

Gabrielle Chanel, Haute Couture, 1963-1968. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Gabrielle Chanel, Haute Couture, 1963-1968. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Die ruhigen, ganzseitigen Fotos von Nicholas Alan Cope zeigen jedes Kleid in einer Gesamtansicht und in einem Detail-Ausschnitt. Die Bilderstrecke wird mit den Fotos von zwei Kleidern eröffnet, die mustergültig die Irrelevanz der Etikettierungen – Haute Couture und Prêt-à-porter – belegen. Ein Hochzeitskleid von Karl Lagerfeld für Chanel bezeichnet Bolton als Inspiration für die Ausstellung. Der Entwurf wurde von Hand gezeichnet, das Neopren-ähnliche Material skulptural auf einer Büste geformt und das Stickmuster – nach einem Barock-Motiv – für die meterlange Schleppe am Computer verfremdet, um einen Pixel-Effekt zu erzielen. In mehreren Phasen, in denen sich Handarbeit und Maschinenarbeit abwechselten, wurde das Muster auf den Stoff aufgebracht, vergoldet und mit Strass bestickt. Allein für die Herstellung der Schleppe waren 450 Arbeitsstunden nötig. Diese Robe stellte auch ein Glanzstück der Ausstellung Karl Lagerfeld. Modemethode in der Bundeskunsthalle Bonn im Jahr 2015 dar.

Karl Lagerfeld für Haus Chanel, Haute Couture, Herbst / Winter 2014/15. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Karl Lagerfeld für Haus Chanel, Haute Couture, Herbst / Winter 2014/15. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Für die Prêt-à-porter-Mode, in der sich ebenfalls Handarbeit und Maschinenarbeit im Sukzessiv-Verfahren abwechseln, steht beispielhaft ein aufwendig gearbeitetes Cocktail-Kleid von Nicolas Ghesquière für Louis Vuitton vom Frühjahr / Sommer 2016. Auf einem maschinengenähten Baumwoll-Unterkleid bauscht sich eine manuell mit Dutzenden von einzeln eingefärbten Zelluloid-Streifen beklebte Hülle aus Kunstseide.

Neben solchen Hybrid-Modellen sind auch Kleider aus ausschließlich manueller oder maschineller Herstellung zu sehen, ästhetische Glanzpunkte wie schrille Abirrungen gleichermaßen. Ein überwiegend in Handarbeit gefertigtes Hochzeitskleid aus Seidentüll und Organza von Lagerfeld für das Haus Chanel ist mit Kamelien-Blüten und Straußenfedern übersät. Diese süßliche, nostalgische Brautrobe war ebenfalls in der Bonner Lagerfeld-Schau ausgestellt.

Karl Lagerfeld für Haus Chanel, Haute Couture, Herbst / Winter 2005/6. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Karl Lagerfeld für Haus Chanel, Haute Couture, Herbst / Winter 2005/6. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Auf der Maschinenseite springt bei den Prêt-à-porter-Kollektionen eine geschwungene Polyurethan-Sprühschaum-Form in kalten Farben von Hussein Chalayan vom Frühjahr / Sommer 2009 ins Auge. Diese metallische Anmutung ruft ein Frösteln hervor. Etwas heiterer wirkt Chalayans Kaikoku Floating Dress vom Herbst / Winter 2011/12 aus einem goldmetallisch glänzenden Fiberglas-Guss, der mit Swarovski-Kristallen und flügelartigen Papierformen bestückt ist. Das Gehäuse-Kleid erinnert an eine Auto-Karosserie, zumal die Seitenteile wie Scharniere funktionieren und mittels digitaler Steuerung über eine Fernbedienung kontrolliert werden können.

Hussein Chalayan, Herbst / Winter 2011/12. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

Hussein Chalayan, Herbst / Winter 2011/12. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art

In Manus X Machina nimmt Bolton der Haute Couture den Nimbus der allein seligmachenden Spitzenleistung und lässt der Kreativität von Prêt-à-porter Gerechtigkeit widerfahren. Die Grenzen zwischen beiden Gattungen scheinen sich ohnehin aufzulösen.

Manus X Machina regt zu grundsätzlichen Fragen an: Was macht letztlich die Schönheit eines Kleidungsstückes und seinen Wert aus? Ist es die kreative Idee? Das Material? Die Herstellungstechnik? Der Arbeitsaufwand?

In Interviews mit Iris van Herpen, Miuccia Prada, dem bereits erwähnten Karl Lagerfeld und anderen erörtert Bolton das Verhältnis von Handarbeit und Maschinenarbeit sowie die Bedeutung neuer Materialien und Techniken wie 3-D-Druck, Sintern und Ultraschallschweißen. Die Gespräche drehen sich auch um die Relevanz der Unterscheidung zwischen Haute Couture und Prêt-à-porter.

Die inhaltliche Struktur des Katalogs folgt der Beschreibung des Schneiderhandwerks und unterstützender Gewerke in der Enzyklopädie. Behandelt werden Stickerei, Verarbeitung von Federn, Applikation künstlicher Blumen, Plissieren, Spitzenherstellung und Lederverarbeitung. Eine knappe Beschreibung von Historie, Techniken und aktueller Situation des Handwerks leitet jedes Kapitel ein. Der Anhang enthält neben einem Glossar eine Auflistung mit Adressen der wichtigsten Häuser, die noch die traditionellen Gewerke praktizieren. Es werden auch Unternehmen aufgeführt, die sich auf neueste Technik wie den 3-D-Druck spezialisiert haben.

Dieser Katalog ist etwas Besonderes. Wie schade, dass sich beim ersten Aufschlagen meines Exemplars der angeleimte Umschlag vom Buchkörper löste. Das hätte nicht passieren dürfen!

Buchcover

Buchcover

Titelfoto: Chanel-Kostüm im 3-D-Druck, Karl Lagerfeld für Haus Chanel, Haute Couture, Herbst / Winter 2014/15. Foto © Nicholas Alan Cope / The Metropolitan Museum of Art