Elisabeth Prantner hat eine wunderschöne Idee. Sie will der Wegwerfmentalität etwas entgegensetzen, indem sie alte Kleidung wachküsst und aus abgelegten Stücken etwas Neues kreiert. Also gründet sie ein Veränderungsatelier und nennt es Bis es mir vom Leibe fällt. Sie steckt viel Herzblut und Geld in die Sache. Das Veränderungsatelier ist für sie ein Ort der politischen Bildung, an dem gesellschaftlich erwünschte Nachhaltigkeit praktiziert wird.
Bei meinem ersten Besuch demonstriert sie gerade zwei zwölfjährigen Mädchen am großen Zuschneidetisch hinter der Empfangstheke, wie aus langweiligen alten T-Shirts etwas ungewöhnliches Neues entstehen kann. Schnipp, schnapp, entschlossen werden die Teile mit einer großen Schere diagonal zerschnitten.
Wie sie so dasteht – groß, schlank, lange offene Haare – wirkt Elisabeth Prantner mädchenhaft jung, dabei ist sie über 30 Jahre im Geschäft.
Bevor sie die Mode entdeckte, hatte die Österreicherin in Graz Mathematik, Kunst und Theater studiert und als Lehrerin gearbeitet. Während eines längeren USA-Aufenthaltes kam sie auf die Idee, Kleider zu bemalen, erhielt Aufträge und verkaufte schließlich an die großen New Yorker Modekaufhäuser. Ungeplant hatte sich ein neues Betätigungsfeld aufgetan.
Nach ihrer Rückkehr aus den USA ging Elisabeth Prantner 1984 nach Berlin. Damals herrschte – modisch gesehen – noch Ödnis in der geteilten Stadt. Doch es entwickelte sich gerade eine Szene, die für Unkonventionelles und Wildes offen war. Elisabeth Prantner gründete das Mode-Label Lisa D und veranstaltete unter diesem Namen auch Performances, die sich an der Schnittstelle von Mode und Aktionskunst bewegten. Sie wurde ein Star der Berliner Mode-Avantgarde.
Graz und seiner Kunst- und Literaturszene blieb sie verbunden, dort fanden auch ihre ersten Mode-Performances statt. Westberlin bot andere Reize als die steirische Landeshauptstadt. In Berlin war die Party, erinnert sich Elisabeth Prantner, es war ziemlich undergroundig. Ihre Mode aus dieser Zeit beschreibt sie als Mischung zwischen Punk, Voodoo und Schamane. Die Kleider waren bunt und skulptural, und alles wurde verkauft, selbst Kreationen, die wie ein Schneckenhaus gestaltet oder mit Stacheldraht bestückt waren. Die achtziger Jahre waren extrem wild. Mann, o Mann, was wir da gemacht haben!
Auch in der Wende- und Nachwendezeit, als Künstler, Designer und Abenteurer nach Berlin strömten, war fast alles möglich. Elisabeth Prantner tat sich 1989 mit der zehn Jahre jüngeren Hutmacherin Fiona Bennett – sie kam aus Brighton – zusammen. Die erste gemeinsame Veranstaltung hieß Oh! Die Sinnlichkeit des Untragbaren. Im darauffolgenden Jahr organisierten die beiden das Kirmes-Spektakel Mode in der Geisterbahn, was wörtlich zu nehmen ist, denn es fand tatsächlich in einer Geisterbahn statt. Die Sache wurde ein großer Erfolg. Sieben Jahre lang sprudelten die Einfälle des Mode-Duos Prantner/Bennett, dann trennten sich ihre Wege.
Das Label Lisa D wuchs und gedieh; die Performances wurden größer und politischer. Es ging um Geschlechterstereotype: Siegfrieds Lust – Tarnung und Täuschung, 1994, um Frauenbilder: Ladies Only, Burgtheater Wien, 2004, oder um die Produktionsbedingungen von Fast Fashion: Boat People – Das Label ist schön, 2007.
Lisa D war der Goldesel, der im Jahr 2011 die Eröffnung des Veränderungsateliers Bis es mir vom Leibe fällt ermöglichte. Es war und ist für Elisabeth Prantner Herzenssache und politisches Anliegen gleichermaßen. Auf einem Flyer zur Eröffnung heißt es: Nichts ist nachhaltiger, als die Dinge so lange wie möglich im Gebrauch zu halten (AKWs mal ausgenommen). An anderer Stelle wird Reparatur als Mittel zur Veränderung in einer reparaturbedürftigen Welt beschrieben.
Elisabeth Prantner ließ sich mit dem Veränderungsatelier in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte nieder, wo sich bereits das Ladenlokal von Lisa D befand. Doch die guten Zeiten waren bald vorbei. Der Umsatz von Lisa D ging zurück, und im Jahr 2015 lief der Verkauf so schlecht wie nie zuvor, das wirkte sich auch auf Bis es mir vom Leibe fällt aus, das am Tropf des Labels hing.
Elisabeth Prantner zog die Reißleine. Sie kündigte die Mietverträge für die beiden Ladenlokale in den Hackeschen Höfen, reduzierte das Personal und bezog kleinere Räume in der Frankenstraße in Berlin-Schöneberg.
Sie war nicht die einzige Designerin, die Mitte den Rücken kehrte; darunter waren auch Fiona Bennett und Kosta Murkudis.
Das Vordringen der internationalen Modeketten sowie die steigenden Mieten machten vielen Kreativen der ersten Stunde einen Verblieb in Mitte schwer. Die Mode-Designer sind auf neue Kunden angewiesen, denn die treue Stammkundschaft allein reicht nicht aus, um die hohen Betriebskosten zu decken und Gewinn zu erzielen. Doch die Touristen, die sich in den trendigen Straßen von Mitte drängen, werden nur selten zu guten Neukunden der kleinen Berliner Labels.
Jetzt arbeiten in der Frankenstraße fünf Schneiderinnen und eine Schnittmeisterin sowohl für das Mode-Label Lisa D als auch für Bis es mir vom Leibe fällt. In ihrem Veränderungsatelier beschränkt sich Elisabeth Prantner nicht auf die liebevolle Restaurierung getragener Kleidung. Das Angebots-Spektrum reicht von einfachen Änderungen über anspruchsvolle Instandsetzung bis zu aufwendigen Neu-Kreationen aus alten Stücken. Da wird eine zu enge Bluse durch Einsätze aus Spitze weiter, aus drei alten Hosen entsteht ein maßgeschneidertes Kleid und einem Kunden wird wunschgemäß aus einem alten Täschchen eine würdige Hülle für seine Bibel angefertigt.
Es geht um Emotionen, Erinnerungen, Therapie und Trauerarbeit. Eine Frau überlegt, einen Pullover ihres verstorbenen Bruders in ein Kleid einarbeiten zu lassen, um ihn für immer bei sich zu behalten. Eine andere lässt nach einem schweren Unfall den Mantel, in dem sie aus dem Fahrzeugwrack geschnitten wurde, neu zusammennähen.
Derartige Reparaturarbeiten stellen eine besondere Herausforderung dar: es muss vom Fehler aus gearbeitet werden. Der Zeitaufwand für Beratung, Anproben und Änderungen ist höher als für das Nähen eines neuen Kleides nach einem Schnittmuster. Jedes Stück ist ein Unikat. Elisabeth Prantner deutet auf eine aufwendig verzierte Hose. Als Preis waren 300 Euro vereinbart, doch die realen Arbeitskosten stiegen wegen mehrfacher Anproben und neuer Änderungswünsche auf 1000 Euro. Ein einmal vereinbarter Preis muss jedoch gehalten werden, denn sonst bleiben die Kunden weg. Es ist paradox: Maßarbeit und solide Handwerksarbeit werden gewünscht, doch die wenigsten sind bereit, den angemessenen Preis dafür zu zahlen.
Deshalb ist Bis es mir vom Leibe fällt bis heute ein Zuschussgeschäft. Elisabeth Prantner kann ihren Schneiderinnen nur den Mindestlohn zahlen. Kein Schneider kriegt das, was er verdient, sagt sie; die Kunden lieben das Veränderungsatelier, aber wir kriegen es nicht in die Gewinnzone. Das Kundenaufkommen steigt, und die Schneiderinnen kommen mit der Arbeit kaum noch nach. An die Einstellung zusätzlichen Personals ist jedoch angesichts der angespannten finanziellen Situation nicht zu denken. Das Label Lisa D trägt sich noch, aber an eine Quersubventionierung des Veränderungsateliers ist nicht mehr zu denken.
Im Jahr 2012 wurde Bis es mir vom Leibe fällt mit dem deutschen Bundespreis ECO Design ausgezeichnet. So schön und motivierend diese Anerkennung ist, existenzsichernd ist sie nicht. Man fragt sich, warum es einer Stadt wie Berlin, die sich als globale Fashion City versteht und mit den Modemessen Ethical Fashionshow und Green Showroom die Speerspitze des Öko-Design bildet, nicht möglich ist, einem kreativen Unternehmen wie Bis es mir vom Leibe fällt unter die Arme zu greifen, bis es sich selbst trägt. Zalando erhält Subventionen in mehrstelliger Millionenhöhe.
Doch Elisabeth Prantner wartet nicht, bis ein weißer Ritter herangeritten kommt und sie rettet. Sie wird einen Verein gründen, auf diese Weise die Mehrwertsteuer sparen und gemeinsam mit Kunden und einem Förderkreis die Verantwortung für Bis es mir vom Leibe fällt schultern.
Lisa D Shop & Atelier / Bis es mir vom Leibe fällt
Frankenstraße 1
D-10781 Berlin
Titelfoto: Ladenfront in der Frankenstraße