Ausstellung:
The Ephemeral Museum of Fashion
Museo della Moda e del Costume > 14.06. 2017 – 22.10.2017
Palazzo Pitti, Florenz
Über dieser Modeausstellung liegt ein Hauch von Melancholie; überall finden sich Zeichen von Vergänglichkeit und Verfall. Doch auch ein Abschied kann bittersüß sein und hinreißend inszeniert werden. Da ist zum Beispiel das zarte, champagnerfarbene Morgenkleid von Madeleine Vionnet aus dem Jahr 1933. Dessen Seidengewebe ist so brüchig, dass es nicht mehr auf einer Puppe drapiert werden kann; es muss flach und still in einer gläsernen Vitrine ruhen, wie Dornröschen in seinem gläsernen Sarg.
Doch anders als Dornröschen kann dieses Seiden-Negligé nicht mehr wachgeküsst werden, und kein Restaurator der Welt wird es wieder zum Leben erwecken. Zerschlissen wie es ist, muss es sein zukünftiges Dasein im Dunkeln liegend und vor jeder Berührung geschützt in einem Museumsdepot verbringen. Dieses feine Morgengewand – einst getragen und geliebt – wird in der Ausstellung The Ephemeral Museum of Fashion zum letzten Mal der Öffentlichkeit gezeigt.
Die Ausstellung beschäftigt sich mit folgenden Fragen: Wie soll ein Modemuseum aussehen und was soll es leisten? Was soll restauriert werden, was nicht? Sollen auch die Zeichen von Verfall gezeigt werden? Wie sollen Kleider präsentiert werden, die ohne den menschlichen Körper auskommen müssen, den sie einst umhüllten und schmückten? Was sind Kleider ohne diesen Körper mit seinen Bewegungen? Was können statische Modeausstellungen der Lebendigkeit von Laufsteg-Präsentationen entgegensetzen?
The Ephemeral Museum of Fashion steht im Zusammenhang mit einer Neu-Ausrichtung des Florentiner Modemuseums, das nicht die Anerkennung genießt, die angesichts seiner bedeutenden Sammlung zu erwarten wäre. Deshalb sollen in den nächsten drei Jahren Sonderausstellungen neue Wege weisen und für Aufmerksamkeit sorgen. Die gegenwärtige Ausstellung wird von Olivier Saillard ‒ Direktor des Pariser Modemuseums Palais Galliera ‒ kuratiert. Dass ein Franzose mit der Leitung beauftragt wurde, passt in die Strategie des italienischen Kulturministeriums, das eine stärkere Internationalisierung anstrebt. Mitorganisatorin der Modeausstellung ist die Gallerie degli Uffizi, deren Direktor – Eike D. Schmidt – Deutscher ist.
Die Eröffnung von The Ephemeral Museum of Fashion fand parallel zum Auftakt der Herrenmodemesse Pitti Immagine Uomo statt. Während der Messe ist Florenz noch lauter und voller als sonst, und männliche Pfauen mit Bärten, Mokassins – natürlich ohne Socken getragen – und bunten Strohhüten posieren bereitwillig für die Fotografen. Von der Hektik draußen ist in der ruhigen Atmosphäre des weitläufigen Renaissance-Palastes nichts mehr zu spüren. In 18 prachtvollen Sälen des Modemuseums sind rund 200 Kleidungsstücke – darunter lediglich zwei Herrenanzüge – und Accessoires zu sehen, die einen zeitlichen Bogen vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart spannen. Ein großer Teil der Objekte wurde noch nie in einer Ausstellung gezeigt, sondern verbrachte ‒ geschützt vor Staub, Licht und Erschütterung ‒ sein museales Dasein in den Kartons, Kisten oder Schubladenschränken des Depots.
In der Ausstellung sind große alte Namen vertreten – wie Worth, Fortuny und Schiaparelli –, bekannte neuere Labels – wie Prada, Galliano und Dolce & Gabbana – und allerneueste wie Kostas Murkudis und Bernhard Willhelm.
Jeder Saal steht unter einem bestimmten Motto. Sleeves are the wings of the heart macht den Anfang, mit Hüten und Fächern aus den Federn anmutiger Vögel, die längst nicht mehr fliegen; die Accessoires, für die sie ihr Leben ließen, werden nicht mehr getragen. Sie dienen als hübsche Dekorationsgegenstände.
Das Motiv der Flüchtigkeit und der Vergänglichkeit zieht sich durch alle Säle und schlägt sich auch in der Art und Weise der Präsentation nieder. Manche Kleider sind auf Puppen drapiert; andere liegen – von Seidenpapier umrahmt – auf dem Boden; sie baumeln auf Kleiderbügeln oder hängen – gespenstisch an torkelnde Betrunkene erinnernd – an Kleiderhaken.
Im Saal The garment, negative and positive image of the body sind Herrenjacketts – sie stammen aus dem Privatbesitz des Kurators – scheinbar achtlos über Stühle geworfen. Obwohl es leere Hüllen sind, erinnern sie doch an lebendige Körper. Zwischen ihnen erhebt sich – gehüllt in ein langes Couture-Kleid von Azzedine Alaïa – eine Puppe ohne Kopf und Gliedmaßen, die wie ein Torso in Abendrobe wirkt.
Im Saal The rebirth of costumes stehen Aspekte der Restaurierung und Konservierung wertvoller Textilien im Vordergrund. In einer Vitrine ist ein zerlegtes Abendkleid von Worth zu sehen. Die beiden Teile sind mit kleinen gläsernen Gewichten beschwert; das Ganze wirkt wie die Vorbereitung zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung. In der Möglichkeit, den Urzustand wiederherzustellen und ein Kleidungsstück für die Zukunft zu bewahren, liegt etwas Tröstliches. Nicht alles ist unwiederbringlich verloren.
In den Sälen The blues of the sky, Ephemeral green und Where have all the flowers gone? sind Tableaus mit Kleidern arrangiert, die durch den Nuancenreichtum der Farben Blau, Grün und Rot bestechen.
Die allgegenwärtigen ausrangierten Stühle und Beistelltische – abgedeckt mit transparenter Plastikfolie –, die alten Holzleitern, zerbrochenen Bilderrahmen und blinden Spiegel verstärken das Gefühl von Vergänglichkeit und Endlichkeit beim Rundgang durch die Ausstellung.
Es drängt sich die Vorstellung an Keller und Dachböden auf, in denen abgelegte Kleider lagern, die in Vergessenheit geraten sind, bis plötzlich ein Lichtstrahl hineindringt und sie wieder ans Licht geholt werden.
Großzügig wie ein Geschenk in transparente Plastikfolie gewickelt, fällt im Saal Clouds of faille ein voluminöses Hochzeitskleid aus blass pinkfarbenem Seidentaft ins Auge. Der Gegensatz von edler Seide und Plastikverpackung verleiht der Installation eine besondere ästhetische Spannung. Die üppige Seidenkreation war das erste Haute-Couture-Modell von Christian Lacroix.
Ein Hauch von Melancholie durchweht die Ausstellung. Es gibt Schönheit zu bewundern und die Genialität von Modeschöpfern, präzise Schnitttechnik, Handwerk auf höchstem Niveau und kostbare Materialien, und alles wird eindrucksvoll und durchdacht präsentiert. Und doch bleibt am Ende ein Gefühl des Verlustes. Allen diesen wunderschönen Kleidern fehlt der lebendige Körper aus Fleisch und Blut. Wenn ein Kleid ins Museum gegeben wird, weicht das Leben aus ihm – eine andere Art des Daseins beginnt. Im Titel der Ausstellung klingt das an.
Wie ein zeitgemäßes Modemuseum in zehn, zwanzig Jahren aussehen wird – wer kann das heute schon sagen?
Alle Fotos © Rose Wagner, mit freundlicher Genehmigung des Museo della Moda e del Costume Titelfoto: Nachmittagskleid, ohne Etikett, Seidensatin, um 1935; Palais Galliera