„Die zweite Haut“. Kleiderinstallation von Silvia Hatzl.
Museum am Dom, Würzburg  > 21.04. – 22.07. 2012

In Würzburg werden Gewandobjekte der Künstlerin Silvia Hatzl ausgestellt, die sich außerhalb schnelllebiger Mode bewegen. Sie wirken zeitlos, und ihre Formen sind archaisch. Immer wieder taucht das Motiv des kreisförmigen Mantels und des Hemdes auf. Solche Formen sind noch heute im liturgisch-kultischen Bereich präsent. Bei manchen der ausgestellten Objekte denkt man an Reliquien; man glaubt gar, den “Heiligen Rock” vor sich zu sehen, bei dem es sich nach biblischer Überlieferung um das Untergewand Jesu handeln soll. Seit dem 12. Jahrhundert wird dieses dem Gekreuzigten zugeeignete Kleidungsstück als Reliquie im Trierer Dom aufbewahrt.

Archaische Form. Foto © Rose Wagner

Archaische Form. Foto © Rose Wagner

In der Haupthalle des Ausstellungsbereichs hängen an Trägergestellen dunkle Gewandkleider von monumentaler Größe. Sie sind bis zu 6,5 Meter lang. Aus der Distanz wirken die Objekte fast bedrohlich. In der Nahsicht, beim Spüren und Erfühlen der Stoffe, verschwindet das Gefühl der Beunruhigung. Denn die Besucher dürfen die Gewänder berühren, sie streifen, durch sie hindurchgehen. Man nimmt das Vibrieren der Gewänder wahr, die schon der leiseste Lufthauch in leichte Schwingung versetzt. Alle Hautsinne werden belebt; auf Gesicht und Schultern spürt man die Glätte der Seide und ihre Leichtigkeit.

Durchblick. Foto © Rose Wagner

Durchblick. Foto © Rose Wagner

Im Vorraum ist ein halbes Dutzend anmutiger, heller Kleiderhüllen mit schmalen Konturlinien arrangiert. Sie sind luftig, meist transparent und sehr feminin. Man könnte sich vorstellen, wie  die Elfenkönigin Titania in einem solchen Hauch von Kleid durch den Raum schwebt.

Objektarrangement. Foto © Rose Wagner

Objektarrangement. Foto © Rose Wagner

Andere Objektkleider wirken grob und kratzig, einige sind zerschlissen, manchmal sind Flecken zu erkennen. Ist es Blut? Rost? Erde? Selbst bei Betrachtung aus nächster Nähe lässt sich das nicht immer ergründen. Die Kleider scheinen ihre eigene Geschichte zu haben und tragen Spuren von gelebtem Leben.

Silvia Hatzl verwendet ausschließlich Naturmaterialien wie Seide, Leinen, Wolle, Baumwolle, Tierhäute, Hanf oder Papier, die sich durch Zeit und Gebrauch verändern, verschleißen und schließlich zerfallen. Der Rohstoff wird von der Künstlerin sorgsam nach haptischer Beschaffenheit und lichtmalerischer Fähigkeit ausgewählt und durchläuft bis zu 12 Arbeitsschritte. Hatzl hat dafür den Begriff der Dodekatechnik gefunden. Darunter fallen Verfahren wie Walken, Färben, Reißen, Zerknittern und Bemalen, die zum Teil mehrmals wiederholt werden.

Trotz der wenigen Grundformen und der farblichen Beschränkung sind die ausgestellten Gewandobjekte erstaunlich vielfältig. Durch Fältelungen und Steppnähte, die den Stoff in verschiedene Richtungen durchziehen, oder durch partielles Zusammenziehen des Stoffes mit groben Stichen wird die Variationsbreite nochmals gesteigert. Feine und glatte Gewebe kontrastieren spannungsvoll mit groben und rauhen, wodurch die spezifische Materialität des jeweiligen Stoffes deutlich hervor tritt.

Die textilen Installationen sind auf die hohe Museumshalle mit ihren unverputzten Sichtbetonwänden abgestimmt. Die Künstlerin hat die Mehrzahl der Objekte explizit für diese Umgebung geschaffen. Sie sind mit Metallhaken an den Wänden befestigt, stecken auf rostigen Metallständern oder hängen auf bastartigen, von der Decke baumelnden Bügeln. Erklärungen werden nicht gegeben. Die Besucher sollen das Gezeigte auf sich wirken lassen und selbst deuten.

Silvia Hatzl ist 1965 in Oberbayern geboren und lebt in Brüssel. Sie arbeitet für das Theater und setzt selbst ihre Gewandkleider bei Tanzperformances ein. Hatzl gehört zu den wenigen zeitgenössischen Künstlerinnen, die Textilien als autonomen Werkstoff behandeln. Gelegentlich fühlt man sich beim Betrachten ihrer Objektgruppen an textile Arbeiten von Louise Bourgeois erinnert. Auch Bourgeois verstand es meisterlich, mit ihren Objekten Stimmungen und Gefühlszustände eingefangen.

Man verlässt die Ausstellung nicht unberührt.

Fotos © Rose Wagner
Eine gekürzte Fassung erschien am 13.06.2012 unter dem Titel „Gewänder, die berühren“ in der Tauber-Zeitung Bad Mergentheim.