„Starker Auftritt! Experimentelles Schuhdesign“
Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig   >28.03. – 29.09.2013

Im Jahr 2013 finden in Europa und den USA ein gutes Dutzend hochkarätiger Schuhschauen statt. In der Leipziger Ausstellung geht es jedoch nicht um Fashion Statements, nach der Tragbarkeit wird nicht gefragt, und die Kulturgeschichte bleibt außen vor. Es geht um Schuhe als Kunstobjekt, Design und Gesellschaftskritik.Die meisten der ca. 220 Exponate sind nicht älter als zehn Jahre. Meist handelt es sich um Unikate oder Schuhe, die in Kleinserien für Modekollektionen, Messen oder Performances hergestellt wurden.

Mensch und Tier

In der Sektion  „Zweibeiner – Vierbeiner“ steht Ethik im Zeitalter der Massentötung von Tieren im Mittelpunkt. Wenn schon die Abfallprodukte der Fleischindustrie – Haut und Fell – verarbeitet werden, warum nicht auch die Kadaver geächteter Tiere verwenden? Was spricht dagegen, aus Maulwürfen Schuhe zu machen?

Ist es nicht ein Zeichen von Doppelmoral, wenn getötete Tiere beseitigt werden, statt sie nützlichen Zwecken zuzuführen? Warum verwenden diejenigen, die keine Vegetarier sind, nicht alles vom Tier, wie die umstrittene Berliner Tierkünstlerin Iris Schieferstein? Weltweite Bekanntheit erlangte sie durch bizarre Modelle für Lady Gaga.

Die Eröffnung wurde begleitet von Protesten der Tierschutzorganisation „Peta“, die die Präsentation von „Qualkunst“ kritisierte. Museumsleiterin Eva Maria Hoyer wies diesen Vorwurf scharf zurück und warf ihrerseits die Frage auf, ob „vegane Schuhe“ Schuhe immer unter umweltfreundlichen Bedingungen produziert werden.

Technologie, Material und Design

In den Themenfeldern „Der Schuh von morgen“ und „Material“ stehen neue Stoffe und Produktionsverfahren im Mittelpunkt. So wird der erste Couture-Schuh gezeigt, der aus dem 3D-Drucker kommt. Er ist in einem abfallfreien Materialkreislauf aus wieder verwertbarem Material gefertigt. Auch Hochtechnologie-Schuhe der Designerin Iris van Herpen sind zu sehen.

Kann die Umwelt mit den neuen rohstoffarmen Materialien und zeitsparenden Techniken geschont werden? Wie verändert sich die Produktion? Wie viele Schuhe braucht die Frau – denn um sie geht es –, wie viele sind sinnvoll? Das Modulsystem „My Shell“ der israelischen Designerin Sharon Golan beruht auf vier Formengruppen (Schalen, Muscheln, Ei und Erde), die variantenreich mit Silikonbändern kombiniert werden können, so dass letztlich 256 unterschiedliche Schuhe entstehen. Aber ist die Idee eines Schuh-Baukastens wirklich zukunftsweisend? Wer will sich täglich neue Schuhe basteln? Geht es bei der weit verbreiteten Schuhsammelleidenschaft nicht gerade um die Freude an möglichst vielen modischen Exemplaren, schön aufgereiht im Schrank?

Zwischen Material und Design besteht ein enger Zusammenhang. Wohin geht die Reise in ästhetischer Hinsicht? Kann es – in Anbetracht der unveränderlichen menschlichen Anatomie – überhaupt noch grundlegend Neues geben oder sind lediglich Abwandlungen des Bekannten und Retro-Moden zu erwarten? Neben dem althergebrachten Werkstoff Leder werden auch ungebräuchliche Materialien verarbeitet. Der afrikanisch-stämmige Künstler INSA formt Plateausohlen aus Elefantendung. Natürlich geht es nicht darum, dieses Abfallprodukt ernsthaft als Materialalternative ins Gespräch zu bringen, sondern um spielerisches Experimentieren. Etliche Künstler verwenden für ihre Schuhplastiken werkfremde Materialien wie Beton, Glas, Metall, Brotteig oder Kaugummi.

Unter dem Titel „Reduktion – Architektur – Skulptur“ geht es um Anregungen aus der Architektur für Design und Optik von Schuhen. Beispielhaft dafür ist das Werk „Mojito“ des Londoner Brückenbaukonstrukteurs Julian Hawkes, der seine Erfahrungen mit Statik und Belastbarkeit auf High Heels überträgt.

„Mojito“, Julian Hakes, Großbritannien 2011. Foto © Grassimuseum

„Mojito“, Julian Hakes, Großbritannien 2011.
Foto © Grassimuseum

Obsessionen, Kunst und Kommerz

In der Abteilung „Schuh – Fetisch“ dreht sich alles um Warenfetischismus und sexuelle Obsessionen. Der Fuß ist nicht nur der Körperteil, der das gesamte Gewicht des Menschen trägt, sondern auch eine erotisch besetzte Zone, und (Frauen)Schuhe sind seit alters her ein mit sexueller Bedeutung aufgeladenes Utensil, wobei die Absatzhöhe entscheidend ist und die Farbe Rot Signalwirkung hat. Hierzulande gibt es wohl kein Schuhgeschäft mehr, ob am Hamburger Jungfernstieg oder im City Center eines Provinzortes, in dem nicht hochhackige Schuhe mit Fesselriemchen und Glitzerbesatz und Overknee-Stiefel – oft aus Lack – ausliegen. Was Alice Schwarzer einst als „Porno-Chic“ geißelte, ist längst Mainstream. Die Sexualisierung der Gesellschaft, Schönheitsideale und Zwänge werden in der Ausstellung vielfach reflektiert. Kobi Levi spielt mit seinem Modell „Blow“ auf aufblasbare Ersatzfrauen an.

„Blow“, Kobi Levi, Israel 2010. Foto © Grassimuseum

„Blow“, Kobi Levi, Israel 2010. Foto © Grassimuseum

Es sind sogar Schuhe zu sehen, die als erotisches Spielzeug zum Einsatz kommen, beispielsweise die „Soulless Shoes“ von Betony Vernon, deren konkrete Verwendungsweise sich durch einen aufklärerenden Videofilm erschließt.

In der Sektion „Kunst – Konvention – Kitsch“ dominieren Verfremdung und Auseinandersetzung mit Konventionen. Die dadaistische und surrealistische Bewegung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhob den Gebrauchsgegenstand Schuh in die Sphäre der Kunst. Heute sind es Einflüsse aus der Popkultur – Musik und Film –, die selbst gewagte Kreationen alltagsfähig machen. Lady Gaga, Rihanna und Beyoncé wirken stilbildend. Die High Heels der Schuhfetischistin Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) aus dem Film „Sex and the City“ katapultierten Manolo Blahnik in die Topgruppe der Luxusschuhhersteller. Seine Stilettos, wie auch die von Jimmy Choo und Christian Louboutin, sind heute Statussymbole. Diese Designer sind in Leipzig nicht vertreten, dafür ist ein Modell von Nicholas Kirkwood, dem neuen Shooting Star der Luxus-High-Heel-Szene, ausgestellt. Es variiert Motive des Graffiti-Künstlers Keith Haring.

In die Kategorie Kitsch darf man wohl die Schuhe von Jeremy Scott einordnen, die vermutlich zu den wenigen ausgestellten Modellen gehören, die kommerziell erfolgreich sind und einen Markt bedienen, auf dem sich nicht nur Großverdiener tummeln. Von Scott werden rosa Pudel–Sneakers – einer der wenigen Schuhe für Männer in der Ausstellung – präsentiert, die auch in ausgewählten Adidas-Geschäften erstanden werden können.

Jeremy-Scott-Pudel. Foto © Rose Wagner

Jeremy-Scott-Pudel. Foto © Rose Wagner

In der Leipziger Filiale im schicken Einkaufszentrum „Höfe Am Brühl“ verkaufen sich die Scott-Schuhe gut – so der auskunftsfreudige Store Manager. Sie werden gern verschenkt oder „in die Schrankwand“ gestellt.

Jeremy-Scott-Schuhe an den Füßen der Kuratorin Liza Snook. Foto © Rose Wagner

Jeremy-Scott-Schuhe an den Füßen der Kuratorin Liza Snook. Foto © Rose Wagner

Bei der Eröffnung verglichen die Museumsleiterin und die Kuratorinnen Sabine Epple und Liza Snook aus Amsterdam vom „Virtual Shoe Museum“ ihre eigene mit der New Yorker Schau „Shoe Obsession“ und behaupteten: „In New York gibt es vielleicht mehr Glamour, aber Leipzig bietet mehr Experiment und Inhalt“. Sie haben wohl Recht.

Text © Rose Wagner
Fotos © Rose Wagner soweit nicht anders angegeben
Titelfoto: Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Schuh, <br />
ausgezeichnet vom Bundesverband der Deutschen Schuh- und Lederwarenindustrie mit dem HDS Junior Award 2013
Überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung vom 09.04.2013 in Modesearch