Buchbesprechung

Barbie ist wahrscheinlich die am meisten verkaufte Puppe der Welt. Kleine Mädchen spielen mit ihr, Modeinteressierte sammeln sie, anderen dient sie als Blitzableiter. Als im Mai 2013 der Spielzeugkonzern Mattel in Berlin die Wanderausstellung „Barbie Dreamhouse“ mit 2500 Quadratmetern Verkaufs- und Aktionsfläche eröffnete, hagelte es Proteste. Sogar eine „Occupy-Barbie“-Kampagne wurde ins Leben gerufen. In die Demonstration gegen die Dreamhouse-Ausstellung reihten sich linke Jugendorganisationen und einige Dutzend farbenfroh gekleideter Menschen ein. Viel Cross-Dressing und Pink waren zu sehen.

Die Barbie-Ausstellung lieferte den Anlass, ganz allgemein ein Ende struktureller Benachteiligungen von Frauen sowie ein Verbot sexistischer Werbung zu fordern, und mit Rollenklischees soll auch Schluss sein. Letzteres forderte vor allem die Initiative „Pink Stinks“, die sich gegen die Zuweisung limitierender Geschlechterrollen durch Spielzeug wendet. Den Höhepunkt des Protesttages bildete eine Aktion von „Femen“, bei der eine barbusige Aktivistin Spiritus über eine gekreuzigte Barbiepuppe goss, sie entzündete und die lodernde Fackel himmelwärts reckte.

Als der Schlachtenlärm sich gelegt hatte, kamen die Besucher. Die gepfefferten Preise schienen selbst solche sozialen Schichten, die sonst nicht ins Museum finden, nicht von der Besichtigung des überdimensionierten pinkfarbenen Puppenhauses abzuhalten. Die Besucher schoben sich an Vitrinen voller Barbies vorbei, drückten Knöpfe in der rosaroten Plastiknachbildung einer Hightechküche, bestaunten den begehbaren Kleiderschrank von der Größe einer Sechs-Zimmer-Altbauwohnung und ließen sich an einem der vielen Schminktische nieder.

Barbie-Dreamhouse-Küche. Foto © Rose Wagner

Barbie-Dreamhouse-Küche. Foto © Rose Wagner

Die andere Barbie

Eine andere Seite des Barbie-Phänomens ist Gegenstand der Publikation „Busy Girl. Barbie macht Karriere“. Dabei handelt es sich um das Begleitbuch zu einer Wanderausstellung, die seit dem Jahr 2004 in 21 Städten gezeigt wurde und noch immer unterwegs ist. Die Druckkosten für das Begleitbuch wurden aus Mitteln der Kulturförderung des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert.

Karin Schrey und Bettina Dorfmann sind ausgewiesene Sachverständige für Puppen. Die Exponate der Wanderausstellung stammen aus ihrem Privatbesitz. Bettina Dorfmanns Barbie-Sammlung ist mit 15.000 Exemplaren die größte weltweit. Die Autorinnen wollen die Barbiepuppe vom „Klischee des blonden Dummchens“ befreien und ihr Potential „als perfektes Rollenspielzeug“ und „Identifikationshilfe für kleine Mädchen – auch für deren künftige Berufswahl“ (S. 6) verdeutlichen. In fünf Kapiteln erzählen sie die Geschichte Barbies und welche Erwerbsfelder sie sich in den vergangenen Jahrzehnten „erobert“ hat. Die Entwicklung der Berufstätigkeit der Frauen in den letzten fünfzig Jahren wird dazu in Relation gesetzt, Berufsbilder werden mit einfachen Worten beschrieben und mit Fotos bekannter Vertreterinnen prestigeträchtiger Professionen komplettiert. Abbildungen von Barbies in Berufskleidung illustrieren die breite Palette von Erwerbstätigkeiten, die der Hersteller der Puppe andichtet.

Von der Hausfrau zur Präsidentschaftskandidatin

Die erste Barbie wurde im Jahr 1959 vorgestellt. Mit ihr kam erstmals in großer Menge eine Puppe mit den Formen einer erwachsenen Frau auf den Spielzeugmarkt. Kinder sollten sich damit in neue Lebensrollen einüben können. Bis dahin spielten sie mit Babypuppen.

Babypuppen um 1950, Heimatmuseum Northeim. Foto © Rose Wagner

Babypuppen um 1950, Heimatmuseum Northeim. Foto © Rose Wagner

Von Anfang an wurde die Barbiepuppe mit Accessoires und Zubehörteilen verkauft.

Puppen aus den 1950er Jahren, rechts im gestreiften Einteiler die erste Barbie, Puppenmuseum Coburg. Foto © Rose Wagner

Puppen aus den 1950er Jahren, rechts im gestreiften Einteiler die erste Barbie, Puppenmuseum Coburg. Foto © Rose Wagner

In ihren ersten Jahren repräsentierte die Puppe die gut versorgte Hausfrau. Sie stand mit adretter Cocktailschürze am Herd, traf sich nachmittags im selbstgestrickten Twinset – das Modell wurde mit Strickkörbchen, Nadeln, Wollknäueln und Anleitungsbüchlein geliefert – mit Freundinnen und machte sich abends hübsch für ihren von der Arbeit heimkehrenden Mann. Zur Barbie-Garderobe jener Zeit gehörten auch elegante Nachmittags- und Abendkleider. Modische Avantgarde war Barbie nie.

Im Jahr 1960 betrat die erste „berufstätige“ Barbie die Bühne: als Ballerina mit weißem Tüll-Tutu und Satinballettschuhen. Ein Jahr später erschien sie als Stewardess, angetan mit einer schicken blauen Uniform. Danach wurde sie Schauspielerin, Fashion Editor und Lehrerin. Der Reiz ihrer berufstypischen Kostüme wurde durch das Beiwerk gesteigert, zum Beispiel eine Miniaturkamera für die Modejournalistin.

Die Tätigkeitsfelder erweiterten sich in den 1970er Jahren durch verschiedene medizinische Berufe, für die neben entsprechender Kleidung auch Beiwerk wie OP-Hauben, Mundschutz oder Stethoskop angeschafft werden konnte. Die erste Barbie in Armeeuniform rückte 1989 ein. Anfang der 1990er Jahre startete Mattel die Marketingstrategie „We Girls can do anything“, in deren Folge militärische Berufe für Frauen propagiert wurden. Jetzt waren Tarnmuster, Helme und Kampfstiefel en vogue.

Barbie als Fallschirmspringerin. Foto © B. Dorfmann / K. Schrey

Barbie als Fallschirmspringerin. Foto © B. Dorfmann / K. Schrey

Aus Modellbezeichnungen wie „Desert Storm Barbie“ (1992) oder „Boot Camp Barbie“ (2000) wird deutlich, auf welche politischen und militärischen Entwicklungen mit diesen Barbie-Variationen reagiert wurde. Die Autorinnen beschränken sich jedoch auf  Zahlenangaben und affirmierende Bemerkungen wie „als ´Paratrooper` springt sie seit 2001 über Kriegsgebieten ab“ (S. 88) oder „In der Stars ´n  Stripes-Serie von 1991 trägt Barbie die schmucke Uniform der Navy“ (S. 87).

Mittlerweile ist Barbie in fast jedem Beruf tätig, von der Archäologin bis zur Zoologin. Seit dem Jahr 2000 gibt es eine Barbie als Präsidentschaftskandidatin, die wie Hillary Clinton aussieht und auch so gekleidet ist.

Barbie als Präsidentschaftskandidatin. Foto © B. Dorfmann / K. Schrey

Barbie als Präsidentschaftskandidatin. Foto © B. Dorfmann / K. Schrey

Namhafte Designer (z.B. Lacroix, Marc Jacobs, Dolce & Gabbana) entwarfen Modelle für Barbies. Für diese Sammler-Puppen existiert ein eigener Markt. Die Attraktivität liegt in den niedlichen Kleidern aus edlem Material und den kostspieligen Accessoires für die Puppe mit der Wespentaille sowie der Exklusivität der limitierten Auflage. Für das Kinderzimmer sind sie nicht bestimmt.

Affirmation statt Kulturkritik

Eine kulturkritische Deutung des Phänomens Barbie wird mit dem Buch weder angestrebt noch geleistet, und auch das fragwürdige Schönheitsideal, das Barbie verkörpert, wird von den Autorinnen nicht thematisiert. Puppen für das Einüben von Berufsrollen sind kein neues Phänomen, die extreme Betonung eines bestimmten Körperbildes dagegen schon.

In dem Buch wird deutlich, dass Barbie nicht ausschließlich auf Kosmetik, Küche und Konsum reduziert werden kann, wie von den Berliner Anti-Barbie-Demonstranten behauptet. Ob die Vielfalt an Berufsrollen der Puppe und die dazu passenden hübschen Outfits Mädchen motivieren, in Männerdomänen einzubrechen und massenhaft Pilotin oder Feuerwehrfrau zu werden, darf allerdings auch bezweifelt werden. Ein Buch, das als Ratgeber für die Berufswahl junger Mädchen dienen möchte, sollte weibliche Berufsrollen nicht nur nach der Attraktivität der Kleidung beurteilen, sondern auch nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz und Sinnhaftigkeit. Sonst kann Barbie nicht vor feministischer Verdammung gerettet werden, wie es die Autorinnen doch beabsichtigen.

Schrey, Karin, und Bettina Dorfmann: Busy Girl. Barbie macht Karriere.  2. überarb. Aufl. 2008. Arachne Verlag, 103 S., zahlr. Ill.

 

Titelfoto: Barbiepuppen im Puppenmuseum Coburg 2013
Text © Rose Wagner
Fotos © Rose Wagner, soweit nicht anders angegeben