Buchbesprechung

Modistinnen – auch als Hutmacherinnen oder Putzmacherinnen bezeichnet – wurden lange in die Nähe der Prostitution gerückt. Auch im Roman „Der Zauber eines frühen Morgens“ ist das der Fall. Es ist das jüngste Werk von Lesley Pearse, die mit ihren Liebesromanen seit Jahren britische Bestsellerlisten ziert. Im Nebenberuf ist sie Präsidentin des Britischen Kinderschutzbundes.

Alexandre Dumas machte das Motiv „Modistin und Prostitution“ mit seinem Roman „Die Kameliendame“ unsterblich. Darin avanciert eine Modistin zur umschwärmten Pariser Kurtisane. Sie siecht jedoch an der Schwindsucht dahin, einer weitverbreiteten Berufskrankheit von Putzmacherinnen im 19. Jahrhundert. Giuseppe Verdi vertonte das Thema in der Oper „La Traviata“. Junge, hübsche Frauen, die den Beruf der Modistin ausüben und sich prostituieren, finden sich in vielen literarischen Werken, etwa bei Honoré de Balzac, Arthur Schnitzler oder E.T.A. Hoffmann.

Nicht von ungefähr übten Frauen diesen Beruf aus. In Frankreich, England und Deutschland war das Schneiderhandwerk von Männern dominiert, oft auch nur diesen zugänglich. Frauen mussten sich mit der schlechter entlohnten Tätigkeit der Putzmacherin begnügen. Modische Veränderungen schlugen sich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts weniger im Kleiderschnitt als im Aufputz nieder. Das machte dieses Gewerbe für junge proletarische Frauen als Alternative zur Fabrikarbeit attraktiv. Doch ihre prekäre ökonomische Situation zwang viele, sich nebenher zu prostituieren. In seiner Kampfschrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ beschreibt Friedrich Engels ihr Los. Gerade in großen Städten wie Paris, London oder Wien nahm im 19. Jahrhundert die Zahl der Modistinnen, die abends Männer empfingen, rapide zu. Der soziale Status dieser „süßen Mädels“, „erfahren“ und „geschaffen zum Küssen“ (Schnitzler) war gering. Bis heute ist das öffentliche Bild der Hutmacherin klischeebehaftet. Die renommierte Berliner Modistin Fiona Bennett trifft noch immer auf Menschen, die Hutmacherinnen für „niedlich, aber strohdumm“ halten.

Der Roman „Der Zauber eines frühen Morgens“ ist voller Klischees, stattet die Heldin jedoch auch mit rebellischen Zügen und Verstand aus. Die schöne Belle, eine gebürtige Engländerin, arbeitet einige Jahre in einem Pariser Bordell und eröffnet anschließend in einem bürgerlichen Vorort von London einen Hutladen. Die Kundinnen lieben ihre Kreationen und genießen das Flair des eleganten Salons. Aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung hält Belle ihre Vergangenheit geheim.

Die Romanhandlung setzt im Frühjahr 1914 ein. Belle ist mit dem ehrbaren Jimmy Reilly verheiratet. Eines Tages taucht unerwartet der Franzose Etienne Carrera bei ihr auf, mit dem sie ein dunkles Geheimnis verbindet. Seine Raubtieraugen und muskulöse Gestalt strahlen etwas Gefährliches aus. Sie ist froh, als er schnell wieder verschwindet, denn seine Anziehungskraft ist so stark, dass sie um ihren inneren Frieden fürchtet. Der Erste Weltkrieg bricht aus. Belles Mann meldet sich als Freiwilliger zum Einsatz in Frankreich, und sie arbeitet im Lazarett an der Front. In einer Schlacht rettet Etienne ungeachtet der Gefahr edelmütig Jimmy das Leben. Vor dem Hintergrund des Kriegsgrauens erlebt Belle mit Etienne eine leidenschaftliche Liebesnacht und wird sodann von Schuldvorwürfen gepeinigt. Es folgen Entsagung und stilles Leid. Nach Kriegsende verschlägt es sie in eine Kleinstadt in Neuseeland, in der die Frauen sich noch recht hinterwäldnerisch kleiden. Belle glaubt wieder an eine Zukunft als Modistin. Beherzt nimmt sie ihr Leben selbst in die Hand. Und Liebesglück findet sie auch.

Der dicke Schmöker – 541 Seiten – enthält alle Merkmale eines Trivialromans: Erwartbarkeit der Handlung, schematische Struktur, einfache Sprache, Klischees und das Ansprechen der Gefühle. Aber vielleicht will man gar nicht immer Christa Wolf oder Ingeborg Bachmann lesen, genauso wenig, wie man im Fernsehen immer nur ARTE schauen will. Wer an Soap Operas Vergnügen findet, kommt bei Lesley Pearse voll auf seine Kosten. Der Titel des Buches ist allerdings unglücklich gewählt. Der Verlag hätte besser den Originaltitel „Belle“ beibehalten und auf eine geschmeidigere Übersetzung achten sollen.

Lesley Pearse: Der Zauber eines frühen Morgens. Bastei Lübbe Taschenbuch, 2013.

Titelfoto: Junge Frauen mit sommerlichen Hüten. Foto © Rose Wagner
Überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung vom August 2012 auf Modesearch