Thierry Mugler – Couturissime
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung
München (D) > 03.04. – 30.08.2020
Thierry Muglers Mode ist das Gegenteil von Zurückhaltung und politischer Korrektheit. Sie strömt explosive Sexualität aus und spiegelt unbekümmerten Hedonismus wider. Mit seinen textilen Entwürfen erzählt Mugler Geschichten von Lust, Obsession, Dominanz und Unterwerfung.
Mugler ist phantasievoll, innovativ und provokant. Er versprüht schrägen Witz und phantasiert über eine maschinengesteuerte Zukunft mit Androiden und merkwürdigen Zwitterwesen. Doch es gibt auch auch Zartes und sogar Poetisches im Mugler-Kosmos, etwa wenn sich der Meister von der Natur inspirieren lässt wie in seiner Kollektion „Les Insectes“ aus dem Jahr 1997.
Die Münchner Mugler-Retrospektive Couturissime zeigt rund 150 Prêt-à-Porter-Kleider, Haute-Couture-Modelle und Bühnenkostüme. Die Schau umspannt fast vierzig Jahre von Muglers Schaffen, von Mitte der 1970er-Jahre bis 2014.
Neben den textilen Arrangements – der Ausdruck Kleidungsstück scheint nicht immer passend – sind Accessoires und Entwurfszeichnungen zu sehen. In Endlosschleife läuft das Musikvideo „Too Funky“ nach dem Song von George Michael aus dem Jahr 1990, für das Mugler die Kostüme entwarf und in dem die bekanntesten Models dieser Zeit auftraten.
Das Ganze wird von etwa 100 großformatigen Modefotografien umrahmt. Helmut Newton, Ellen von Unwerth, Jean-Paul Goude, Guy Bourdin, Steven Meisel und andere, die für ihre sexuell konnotierten und provokanten Bilder bekannt sind, setzten Muglers Kreationen in Szene. Auch der Designer selbst hat sich als Modefotograf einen Namen gemacht; einige seiner Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Mugler ist für spektakuläre Szenerien bekannt. So platzierte er beispielsweise ein Model auf einer Eisscholle in Grönland.
Couturissime ist auch eine Ausstellung über Motive und Inszenierungen in der Modefotografie und sich wandelnde Schönheits- und Körper-Ideale. Man begegnet Models wie Pat Cleveland – das erste international bekannte farbige Model –, Linda Evangelista, Jerry Hall, Naomi Campbell, Claudia Schiffer und Nadja Auermann wieder.
Thierry Mugler wurde 1948 in Straßburg geboren. Nach einer Ausbildung zum Balletttänzer wechselte er zum Mode-Design und gründete 1974 das Unternehmen „Thierry Mugler“. Seine große Zeit waren die 1980er- und 1990er-Jahre.
Eine seiner besten Kundinnen war Ivana Trump, damals Ehefrau des Mannes, der eines Tages Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden sollte. Als sich die Zeiten und die Mode änderten und statt Opulenz und Schulterpolstern Minimalismus gefragt war, sank Muglers Stern. Er verkaufte 1997 die Markenrechte an den Kosmetikkonzern Clarins. Heute gehört „Thierry Mugler“ zu L’Oréal. Muglers Parfüm „Angel“ – in der Ausstellung sind frühe Flakons zu sehen – ist noch immer gefragt.
Seit dem Verkauf seines Modehauses konzentriert Mugler sich auf Entwürfe für Tourneen, Revuen und solche Events, bei denen Glitzerndes, Bizarres und Aufwendiges erwartet wird. Mugler schuf Bühnenkostüme für Diana Ross, Lady Gaga, Céline Dion und Beyoncé. Sogar seine alten Kreationen machen heute noch Furore. Prominente wie Kim Kardashian leihen sich ikonische Mugler-Hüllen für ihre großen Auftritte aus. Bei den Grammy Awards 2019 stahl die Rapperin Cardi B. in Muglers Venus-Kleid – nach Botticellis Gemälde „Die Geburt der Venus“ – allen die Schau. Dieses Kleid ist jetzt in München zu sehen.
Heute nennt sich Mugler „Manfred“. Bodybuildung, radikale Umstellung der Ernährung und plastische Chirurgie haben – zumindest äußerlich – einen neuen Menschen aus ihm gemacht. Die New York Times beschreibt Manfred Mugler als „utterly bizarre character“.
Viele der in München ausgestellten Kleiderstücke sind schräg, überladen und witzig – und manchmal auch irritierend. Die Schnitte sind körperbetont und präzise; der Spiegel bezeichnete Mugler einmal als den „Maschinenbauer unter den Modedesignern“.
Muglers Bewunderung für die Konstrukteure schnittiger amerikanischer Automobile der 1950er-Jahre schlug sich 1989 in der Kollektion „Hiver Buick“ nieder.
Der Designer verwendet ungewöhnliche Materialien: von Plexiglas, Latex, Leder, Vinyl und Kunstpelz ist alles dabei. Doch er greift auch auf klassische Couture-Ingredienzien wie Seide, Spitze und Stickerei zurück.
Muglers Accessoires sind ausgefallen – wie beispielsweise eine Handtasche in Form eines Kotflügels oder Kopfbedeckungen, die die ausladenden, gestärkten Hauben (Cornettes) der Vinzentinerinnen zitieren.
Mit manchen Kreationen bzw. Konstruktionen ruft Mugler die Vorstellung von Cyborgs, Androids und Maschinenmenschen hervor.
Gelegentlich nimmt er Anleihen bei der katholischen Ikonographie auf. In München ist eines seiner ’katholischen‘ Kleider zu sehen, die 2018 in der Ausstellung „Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination“ im Metropolitan Museum of Art in New York Bewunderung hervorriefen.
Es gibt auch eine dunkle Seite: streng, schwarz, mit viel Lackleder und Anleihen bei der Fetisch-Szene. Diese Kreationen lösten bei mir verstörende Erinnerungen an Pier Paolo Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ und an Dominas, die Sexsklaven an der Hundekette führen, aus. Die Bilderwelt der Nazis schob sich in mein Gedächtnis.
Aus seiner Bewunderung für Leni Riefenstahl hat Mugler nie einen Hehl gemacht.
Couturissime wurde vom Montreal Museum of Fine Arts übernommen, das auch die Jean-Paul-Gaultier-Ausstellung konzipiert hatte, die 2016 in der Münchner Kunsthalle zu sehen war und die zeitweilig an Überfüllung litt. Das ist bei der Mugler-Ausstellung anders. Wegen der Corona-Pandemie wurde Couturissime mit wochenlanger Verspätung eröffnet, und die Anzahl der Besucher ist zahlenmäßig beschränkt.
Sowohl die Gaultier- als auch die Mugler-Ausstellung wurde von dem Franko-Kanadier Thierry-Maxime Loriot kuratiert. Loriot hat augenscheinlich eine Vorliebe für die große Geste und das Extrovertierte, genau wie Mugler selbst. Der Glamour-Faktor von Loriots Ausstellungen ist immer hoch.
Couturissime ist eine Wanderausstellung. Vor München war sie in der Kunsthal Rotterdam zu sehen. Nach München zieht sie weiter über den ganzen Globus. Die Kunsthalle München verfügt nicht über eine eigene Sammlung. Die Übernahme von Wanderausstellungen hat Vor- und Nachteile. Zu den negativen Aspekten gehört, dass mit dem Ankauf einer vorfabrizierten Ausstellung in der Regel auch deren Weltsicht übernommen wird. Ausstellungen wie Couturissime sind so konzipiert, dass sie überall auf der Welt ankommen. Sie sind Teil eines globalen Popkultur-Zirkus.
Bei aller Überdrehtheit und trotz der aufwendigen Licht- und Ton-Effekte, hat Couturissime auch etwas Nostalgisches. Ich fühlte mich in die 1980er-Jahre und deren Vorstellungen von Zukunftsgläubigkeit und Futurismus zurückversetzt. Dass Fritz Langs „Metropolis“ im Hintergrund grüßen lässt, ist erwartbar und wirkt fast ein wenig abgeschmackt. Über Muglers Frauenbild hätte man sich vielleicht aufregen und womöglich die ganze Schau als provozierenden Beitrag zum Gender-Diskurs interpretieren können – wenn sie nicht ein so starkes Gefühl von Retro auslöste und sogar ein wenig aus der Zeit gefallen schiene.
Das heißt aber nicht, dass die Ausstellung langweilig wäre. Muglers Einfallsreichtum und überbordende Kreativität sind phänomenal, und sein Unterhaltungswert ist hoch. In diesen Corona-Zeiten war Couturissime für mich eine willkommene Abwechslung, und auch mein Begleiter, der überhaupt nichts mit Mode zu tun hat, amüsierte sich sehr.
Fotos © Rose Wagner Titelfoto: Entwurfszeichnungen von Mugler