Buchbesprechung:
Elizabeth Hawes: Zur Hölle mit der Mode. Übersetzung Constanze Derham.
Berlin, Kooperation Schnatmeyer & Derham, 2019

Die amerikanische Designerin Elizabeth Hawes (1903-1971) hatte in den 1930er-Jahren den Ruf einer Rebellin. Sie führte ein unkonventionelles Leben, stand politisch links und zeichnete sich durch ein ausgeprägtes Talent zur Selbstinszenierung aus. Für Überraschungen war sie immer gut. Auf eigene Faust und ohne eingeladen zu sein, reiste sie 1931 nach Paris, um dort ihre Kollektion zu präsentieren. Im Jahr 1935 führte sie – dieses Mal auf Einladung – ihre Modelle in Moskau vor. Das schlug hohe Wellen, war die UdSSR doch erst Ende 1933 von den USA anerkannt worden.

Hawes war eine der ersten, die ein eigenes Label gründeten und in New York einen Haute-Couture-Salon eröffneten. Für betuchte Kundinnen schneiderte sie lässig elegante Kleider.

Modell „Ohne jeden Zweifel“, Seidenkleid mit roten Akzenten, Frühjahr/Sommer 1939. Foto © Rhode Island School of Design Museum

Modell „Ohne jeden Zweifel“, Seidenkleid mit roten Akzenten, Frühjahr/Sommer 1939.
Foto © Rhode Island School of Design Museum

Ihren Entwürfen gab sie fantasievolle Namen wie „Fünfjahresplan“, „Die Herzogin – Die Herzogin!“ oder „Gefülltes Törtchen“. Sie empfahl Hosen für Frauen und Röcke für Männer. Sie trug Jeans bei ihrer Hochzeit mit dem Filmregisseur Joseph Losey im Jahr 1937. Auf vielen Fotos sieht man sie in Hosen und mit flachen Schuhen. Ihr Credo lautete: Kleidung muss bequem sein.

Elizabeth Hawes, ca. 1941, nach einem Foto von Mary Morris Lawrence. Zeichnung © www.schnatmeyer.net/

Elizabeth Hawes, ca. 1941, nach einem Foto von Mary Morris Lawrence. Zeichnung © www.schnatmeyer.net/

Parallel zu ihrer Maßschneiderei arbeitete Hawes für Kaufhäuser und preisgünstige Bekleidungshersteller.

Zwischen 1938 und 1954 schrieb sie neun Bücher. Sie thematisierte ästhetische und emotionale Aspekte der Mode genauso wie ökonomische und politische. Ihr erstes Buch – Fashion is Spinach – war das mit Abstand erfolgreichste. Gut achtzig Jahre nach der Erstveröffentlichung liegt es jetzt unter dem Titel Zur Hölle mit der Mode auf Deutsch vor.

Das Buch ist zu gleichen Teilen Autobiografie, Polemik gegen die französische Modedominanz und Abrechnung mit der amerikanischen Konfektionsindustrie. Hawes wusste, wovon sie sprach. Sie hatte in unterschiedlichen Bereichen des Modesystems Erfahrungen gesammelt: als Designerin, Modezeichnerin, Journalistin, Zuarbeiterin für PR-Agenturen, Stylistin und Unternehmerin. Außerdem hatte sie sich aktiv an der Herstellung von Raubkopien französischer Haute-Couture-Kleider beteiligt.

Zweite von rechts Elizabeth Hawes, Aendkleid „Raute und Hufeisen“, 1936, mittig Jessie Franklin Turner, Abendensemble, 1930. Ausstellung „American High Style“, 2010. Foto © Brooklyn Museum, New York

Zweite von rechts Elizabeth Hawes, Abendkleid „Raute und Hufeisen“, 1936, mittig Jessie Franklin Turner, Abendensemble, 1930. Ausstellung „American High Style“, 2010. Foto © Brooklyn Museum, New York

Hawes liebte die französische Haute Couture. Ihr Idol war Madeleine Vionnet (1876-1975), der das Buch auch gewidmet ist. Nach dem Abschluss ihres Ökonomie-Studiums am Vassar College – einer Elite-Universität für Frauen – war Hawes 1925 nach Paris gegangen, um alles über die französische Mode zu lernen. Sie blieb bis 1928, lang genug, um hinter die glänzende Fassade der Haute Couture blicken zu können und die Methoden der Fälschung und Vertuschung zu erleben, die angewendet wurden, um amerikanischen Kundinnen vermeintlich original französische Haute Couture zu verkaufen. Ihre Erfahrungen bestärkten Hawes darin, die von ihr so genannte „französische Legende“ zu entzaubern, die besagte: „Alle schönen Kleider entstehen in den Häusern der französischen Modeschöpfer, und alle Frauen wollen sie besitzen“.

Der Verkauf von Lizenzen für Haute-Couture-Modelle an amerikanische Kaufhäuser und Konfektionäre war Ende der 1920er-Jahre enorm angestiegen, zusätzlich nahm die Anzahl illegaler Kopien zu. So ästhetisch überzeugend und handwerklich perfekt original Pariser Haute Couture auch war, vieles von dem, was in den USA mit vermeintlich französischem Flair hergestellt wurde, war schlecht gemacht. Zudem untergrub die ungehemmte Vervielfältigung den Nimbus der Einzigartigkeit. Hawes stellt fest: „Die Franzosen brachten sich selbst zur Strecke, indem sie an Konfektionäre verkauften (…), indem sie es zuließen, dass das snobistische Element und ein großer Teil der Schönheit ihrer individuellen Entwürfe in der Massenproduktion verloren gingen“.

Dabei hielt Hawes die Massenproduktion von Kleidung für zukunftsweisend und die USA in technischer Hinsicht allen anderen Ländern haushoch überlegen. Doch auch in den USA gab es laut Hawes eine „Kleiderlegende“. Diese „große amerikanische Angeberei“ behauptete: „dass alle Frauen hier schöne Kleider besitzen können, weil wir die Massenproduktion beherrschen“. Trotz technisch hochentwickelter Konfektionsindustrie war das Resultat deprimierend: schlampige Verarbeitung, schlechte Passform und minderwertiges Material. Hinzu kamen fragwürdige Geschäftspraktiken der Branche: „das Kleiderstoffgeschäft in Amerika beginnt mit Ideenklau, Konkurrenz und Unterbietung und Bankrott“.

Nach Auffassung von Hawes war die amerikanische Lebensweise unbekümmerter, schneller und weniger traditionsverhaftet als die europäische. Das sollte auch in der Bekleidung sichtbar werden. Hawes propagierte eine genuin amerikanische Mode, worunter sie lässige, bequeme und funktionale Kleidung verstand. Dass es noch nicht so weit war, führte sie auf die Nachwirkung der „französischen Legende“ zurück und die unzureichende Förderung einheimischer Design-Talente. Die Namen der französischen Couturiers wurden stets genannt, sogar dann, wenn ein Kleid lediglich „nach Schiaparelli“ konzipiert war und nicht von Schiaparelli selbst stammte. Die Namen der amerikanischen Designer wurden dagegen bis weit in die 1930er-Jahre in Anzeigen mit keinem Wort erwähnt.

Hawes unterscheidet Chic, Stil und Mode. Chic sei typisch für „das Leben der europäischen müßiggängerischen Klasse“, für Frauen mit Geld, Geschmack und viel Zeit für die Anprobe maßgeschneiderter Kleidung. Stil zeichne sich durch ein Bewusstsein für gutes Design und Angemessenheit ab, unterliege keinem Modetrend und ändere sich „nur alle sieben Jahre.“ Modisch zu sein bedeute, den Einflüsterungen der Textilindustrie zu erliegen – und das sei typisch für Amerika: „Die modische Frau erblüht in großer Zahl nur in Amerika, diesem Land der in Massen produzierten Kleidung (…) Die modische Frau ist mit Haut und Haaren der französischen Legende verfallen“.

Mit neuen Schnittlinien, klarem Design, besseren Stoffen, pflegeleichtem Material und qualifizierten Designerinnen, die sich auch mit Maschinen auskennen, sei das Ziel, die amerikanische Frau mit stilvoller Kleidung zu versorgen, jedoch erreichbar.

Elizabeth Hawes, Abendkleid „Dry Goods Economist“, 1935. Zeichnung © www.schnatmeyer.net/

Elizabeth Hawes, Abendkleid „Dry Goods Economist“, 1935. Zeichnung © www.schnatmeyer.net/

Widersprüche in ihrem Verhalten redet Hawes nicht schön. Beflügelt von sozialistischen Ideen unterstützte sie die Forderungen der Gewerkschaften ‒ die hatten erst 1935 im Zuge von Roosevelts New Deal Organisationsfreiheit und Tarifhoheit erhalten ‒ nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Das hielt sie nicht davon ab, zeitweise in einer Fabrik ohne gewerkschaftliche Bindungen und mit niedrigem Lohnniveau fertigen zu lassen. Für ihr Vorankommen nutzte sie ihre Verbindungen zu einflussreichen und vermögenden Kreisen. Ihren ersten Salon in New York finanzierte der Vater einer Studienkollegin aus Vassar.

In ihrem Buch beschreibt sie aus Sicht des Jahres 1938 die Probleme, Komplexität und Widersprüche eines Modesystems. Auch wenn sich seitdem vieles verändert hat, sind Themen wie internationaler Modeaustausch, nationale Mode-Identität, Verführbarkeit durch Werbung, Produktqualität, Qualifikation von Designern und Arbeitsbedingungen weiterhin aktuell.  Wer sich für Modegeschichte interessiert, wird die Ausführungen über die französisch-amerikanischen Modebeziehungen und die Idee einer genuin amerikanischen Mode mit Gewinn lesen.

Hawes stellt ihr Licht nicht unter den Scheffel: „ich kann alles entwerfen, ausgenommen Motoren“. Das ist erfrischend selbstbewusst.

Ihre Erzählweise ist amüsant und der Text großzügig mit Anekdoten gewürzt. Das macht ihn leider auch weitschweifig und ermüdend und verleitet zum Überspringen ganzer Passagen.

Das Buch erscheint im neuen Berliner Verlags-Start-up von Susanne Schnatmeyer und Constanze Derham in der Reihe Texte und Textilien.

Constanze Derham (li.) und Susanne Schnatmeyer. Foto © Rose Wagner

Constanze Derham (li.) und Susanne Schnatmeyer. Foto © Rose Wagner

Constanze Derham hat ihrer Übersetzung ein hilfreiches Personen- und Sachregister angehängt und informiert in einem Nachwort über den weiteren Werdegang von Elizabeth Hawes. Sie starb 1971 an den Folgen jahrzehntelangen übermäßigen Alkoholkonsums.

Titelfoto: Straßenschilder im Fashion District, Manhattan, New York. Foto © Rose Wagner