Ausstellung:
Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung
Bauhaus Museum Dessau
Mies-van-der-Rohe-Platz 1, 06844 Dessau-Roßlau
Zu den innovativsten und ökonomisch erfolgreichsten Werkstätten der Bauhaus-Designschule gehörte die Weberei. Von deren Avantgarde-Potential scheint in der Ausstellung des neuen Bauhaus-Museums in Dessau nur ein matter Abglanz auf. Es mangelt an Erläuterungen, die eine Einordnung des Gezeigten in einen größeren Kontext ermöglichen.
Das Staatliche Bauhaus wurde 1919 in Weimar gegründet. Politische Gründe erzwangen 1925 den Umzug nach Dessau und von dort 1932 nach Berlin. Ein Jahr später setzten die Nationalsozialisten die endgültige Schließung der Institution durch.
Grundidee des Bauhauses war die „Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen“, wie der Gründungsdirektor Walter Gropius (1883-1969) programmatisch formulierte. Bei der Gestaltung des Alltagslebens sollten neue Wege beschritten werden, nicht nur beim Design, sondern auch gesellschaftlich. Ideologische Auseinandersetzungen – intern wie extern – blieben nicht aus.
Obgleich die Reform-Schule nur vierzehn Jahre in Betrieb war, entwickelte sich die „Bauhaus-Idee“ zum wichtigsten deutschen Kultur-Export. Heute steht das Bauhaus für Funktionalität, sachlich-nüchterne Architektur und schnörkelloses Design. Im Jubiläumsjahr 2019 wurden in Weimar und Dessau neue Museen eröffnet.
Die äußere Hülle des Dessauer Bauhaus-Museums besteht aus einem langgezogenen Glasriegel. Der Ausstellungstrakt im ersten Stock ist ein dunkler Schlauch, dem durch Trennwände, quergestellte Glasvitrinen und ein hohes Stahlregal in Orange-Rot ein Element von Strukturierung zuteil wird. Typische Bauhausprodukte wie Stahlrohrmöbel und Leuchten sind aufgestapelt. Ein Gefühl von Baumarkt stellt sich ein.
Anhand von gut 1000 Objekten und Dokumenten wird die Geschichte des Bauhauses nachgezeichnet. Nach eigenen Angaben besitzt das Dessauer Museum – nach dem Bauhaus-Archiv in Berlin – mit etwa 49.000 Objekten die zweitgrößte Sammlung zum Bauhaus weltweit. Der Grundstock wurde in der DDR mit einem großen Ankauf im Jahr 1976 gelegt. Anlass war damals die Wiedereröffnung des alten Bauhausgebäudes in Dessau.
Beim Blick auf die überschaubare Anzahl textiler Objekte in der Ausstellung reibt man sich verwundert die Augen. Weltweit zweitgrößte Sammlung von Bauhaus-Objekten? Und dann so wenig Textil? In der Gesamtheit der Exponate wirkten die ausgestellten Textilien auf mich wie Beiwerk.
Trotz des progressiven Anspruchs standen die „Bauhaus-Frauen“ lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen, denen Abteilungen wie Architektur, Tischlerei oder Metall vorbehalten waren. Textiles Gestalten wurde mit dem „Femininen“ schlechthin assoziiert und schien deshalb weniger bedeutungsvoll als die „männlichen“ Handwerke. Mittlerweile werden die Frauen der Weberei in einer Reihe von Einzelausstellungen, Publikationen und Filmen gewürdigt.
Die Dessauer Jahre gelten als die wichtigsten des Bauhauses. In der Textilwerkstatt wurde gegenüber der Zeit in Weimar eine klare Trennung zwischen freiem Werk und Gebrauchsstoffen vorgenommen, und es erfolgte die Teilung in einen Lehr- und einen Produktivbetrieb. Die kommerzielle Verwertung der Produkte wurde forciert.
In der Ausstellung sind ein paar Teppiche, Läufer und Wandbehänge zu sehen, dazu Webmuster – manche in der Größe einer Postkarte –, auf Pappe aufgeklebte Garnproben sowie Entwurfszeichnungen. Typisch für viele Fadengebilde aus der Textilwerkstatt sind Streifenmuster, die für den Webvorgang besonders geeignet sind. Für industriell zu produzierende Meterware kamen nur Entwürfe mit regelmäßiger Musterwiederholung infrage. Die meisten Textilien in der Ausstellung sind Unikate.
Von 1926 bis 1931 war Gunta Stölzl (1897-1983) Leiterin der Weberei und die einzige Frau am Bauhaus in einer solchen Führungsposition. Stölzl webte komplexe Solitäre für die Innendekoration und entwickelte daneben Gebrauchsstoffe für die industrielle Fertigung sowie Bespannungen für Stahlrohr-Sessel. Dafür verwendete sie ein neuentwickeltes Eisengarn, eine mit Paraffin behandelte Baumwolle, die starr, abwaschbar und widerstandsfähig war. In Fach-Aufsätzen behandelte sie die Eigenschaften unterschiedlicher Garne und deren geordneten Einsatz, um Fadengebilde mit einer ganz bestimmten Wirkung zu erzielen. Nach internen Konflikten und antisemitischen Anfeindungen wegen ihres jüdischen Ehemannes verließ sie das Bauhaus und emigrierte in die Schweiz.
Ein Glanzstück unter den ausgestellten Textilien ist Stölzls Wandbehang in Jacquard-Webtechnik aus dem Jahr 1928, der visuell und technisch einen Höhepunkt in ihrem Werk darstellt. Er wird in einer Neuwebung präsentiert. Von Stölzl sind außerdem ein quergestreifter Läufer aus dem Jahr 1929 zu sehen sowie Webproben und Zeichnungen.
Es überrascht, dass im Textil-Bereich der Ausstellung Grete Reichardt (1907-1984) dominiert. Sie spielt in der Geschichte der „Bauhaus-Frauen“ eine zwiespältige Rolle. Bei den Angriffen gegen Gunta Stölzl tat sie sich besonders hervor ‒ was in Dessau nicht thematisiert wird. Dass die Arbeiten von Gunta Stölzl und Grete Reichardt kommentarlos nebeneinander gezeigt werden, finde ich irritierend.
Grete Reichardt ist die Bauhaus-Textilhandwerkerin mit den meisten und den höchsten staatlichen Auszeichnungen. Im Jahr 1933 gründete sie in ihrer Heimatstadt Erfurt eine Handweberei. Sie war Mitglied der Reichskulturkammer, nahm an vielen Ausstellungen teil und gewann wiederholt Preise. Auch in der DDR war sie als Handweberin erfolgreich und wurde mehrfach ausgezeichnet. Reichardts Wohn- und Atelierhaus in Erfurt ist heute ein Museum. Vielleicht ist die starke Präsenz dieser Weberin in der Ausstellung mit der räumlichen Nähe zu ihrer letzten Wirkungsstätte und den Ankäufen aus der DDR-Zeit – diese bilden den Grundstock der Dessauer Sammlung – zu erklären. Gern wüsste man mehr über die Hintergründe der kuratorischen Entscheidungen.
Eine Reihe von Tafeln dokumentiert Reichardts Experimente mit unterschiedlichen Garnmaterialien und ihre Entwürfe für Stickereien. Außerdem werden Läufer und Teppiche von ihr präsentiert sowie Entwurfszeichnungen und Webproben.
Ihr Entwurf für einen Kinderzimmer-Teppich hat es in sich. Reichardt spielt mit den typischen Formelementen des Bauhauses – Kreis, Quadrat, Rechteck –, weist ihnen jedoch andere Farben zu, als die Meister Johannes Itten und Wassily Kandinsky in ihrer Form- und Farbenlehre vorsahen.
Das Bauhaus war kein Ort des Mode-Designs. Die wenigen erhaltenen „Bauhauskleider“ wurden ausschließlich für den privaten Gebrauch entwickelt. Eine dieser Raritäten ist in Dessau zu sehen. Grete Reichardt hat den Stoff für das kurze, gerade geschnittene Kleid aus dunklem Wollstoff mit weißem Musterschuss selbst entworfen und genäht. Es wirkt wie eine Mischung aus einem frechem Flapper Dress der Zwanziger Jahre, strenger Lebensreform-Kleidung und einer Stickmuster-Übung im Handarbeitsunterricht.
Ich stelle mir vor, wie die damals 21-Jährige in diesem Kleid die Treppe im Bauhausgebäude in Dessau hoch eilt, mit Bubikopf, wie ihn damals fast alle Bauhausstudentinnen trugen. Auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahr 1927 ist ein Dutzend Studentinnen der Weberei auf der Treppe zu sehen, unter ihnen Grete Reichardt und Gunta Stölzl. Oskar Schlemmer (1888-1943) soll von diesem Foto zu seinem berühmten Bild der Bauhaustreppe inspiriert worden sein.
Das Leben dieser jungen Frauen änderte sich mit dem Erstarken der Nationalsozialisten auf dramatische Weise. Einige arrangierten sich mit den neuen Machthabern und nutzten die Möglichkeiten, die sich ihnen boten, andere wurden ins Exil gedrängt oder sogar – wie die Bauhaus-Weberin und Textilkünstlerin Otti Berger (1898-1944) – im Konzentrationslager ermordet.
Zu denen, die emigrieren mussten, gehörte Anni Albers (1899-1994), die international bekannteste Textilkünstlerin des Bauhauses. In der Ausstellung hielt ich vergeblich Ausschau nach ihren Arbeiten, im Museumsladen des alten Bauhausgebäudes wurde ich fündig.
Im überbordenden Angebot von Bauhaus-Produkten springen die Teppiche in ihrem Design sofort ins Auge.
Gemessen an der Bedeutung und dem Umfang der Dessauer Sammlung enttäuscht die Anzahl der textilen Objekte in der Ausstellung. Dennoch sind bemerkenswerte Stücke zu sehen. Schade, dass die Beschriftungen allzu spärlich ausfallen und ausführliche Erläuterungen zur Einordnung des Gezeigten in einen größeren Kontext fehlen. Trotzdem ist die Ausstellung sehenswert. Andere Bauhaus-Gesamt-Ausstellungen präsentieren noch weniger Textiles.
Alle Fotos © Rose Wagner
Quellen:
Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar (2019): 100 Jahre Bauhaus, https://www.bauhaus100.de, Abruf: 25.10.2019
Judith Raum (2017): Bauhausraum, Künstlerische Recherche für die IFA-Tourneeausstellung The Event of a Thread / Das Ereignis eines Fadens. Globale Erzählungen im Textilen, Dresden
MDR Kultur (2019): Frauen am Bauhaus: Warum Weberin Margaretha Reichardt das Bauhaus verließ, https://www.mdr.de/kultur/bauhaus-frauen-margaretha-reichardt-100.html, Abruf: 25.10.2019
Titelfoto: Gunta Stölzl, 1928; Neuwebung Katharina Jebsen, 2019