Als Karin in dem Blumenladen in Berlin-Charlottenburg auftauchte, fiel das sofort auf. Auf einmal waren die Blumen nicht mehr verhalten an die Fassade gedrückt, sondern großzügig auf dem Bürgersteig ausgebreitet. Wie Eliza Doolittle brachte sie neuen Schwung in den Laden.

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Den stärksten Eindruck machte Karins Art sich zu kleiden auf mich. Ihre Garderobe wirft gängige Vorstellungen von Mode, Geschmack und Stil über den Haufen; sie ist eigenwillig, kühn und auf originelle Weise in sich stimmig. Karin charakterisiert ihren Stil als Mixed Pickles.

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In ihrer Jugend war sie ein Punk, und ein Hang zum Unkonventionellen und Bizarren ist ihr geblieben, auch die Punker-typischen Vorstellungen von Konsumverzicht teilt sie weiterhin. Recycling ist toll, sagt sie.

Karin ist die einzige Frau, die ich kenne, die fast ausschließlich das trägt, was andere aussortiert haben. Sie findet ihre Garderobe in abgestellten Kartons am Straßenrand, auf denen Zum Mitnehmen steht, und in Wertstofftonnen. Steht doch drauf, dass es etwas wert ist, sagt sie.

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Kundinnen bringen ihr abgelegte Kleidung. Wieso sollte es schwierig sein, von anderen etwas zu tragen? Getragenes ist nicht unrein, sagt sie.

Karin ist gelernte Gärtnerin und Floristin. Die Gärtnerei sei eine Mischung aus meditativ und langweilig, sagt sie. Man habe nur wenig Kontakt zu Menschen. Das sei im Blumenladen anders. Da sei auch mehr Kreativität gefragt.

Nicht alle Blütenträume ihres Lebens reiften.

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Eines meiner ersten Fotos von Karin entstand im Spätsommer 2012. Die bunte Bluse auf dem Foto oben hat sie aus der Wertstofftonne im Hof geangelt.

Ohne Kopfbedeckung geht sie nie aus dem Haus. Ohne Hut fühle ich mich nackt, sagt sie.

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Lange Zeit war dieser Hut nebst Schal im Leo-Print ihr Favorit.

Die Kundinnen freuen sich, wenn Karin die Kleidungsstücke aufträgt, die sie selbst nicht mehr anziehen können oder wollen. In einen Altkleider-Container werfen sie ihre Garderobe nicht so gern, weil sie dann nicht mehr nachverfolgen können, was daraus wird.

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Dass die Kundinnen den Mut aufbringen, einer Blumenverkäuferin Altkleider zu bringen, liegt an dem Eindruck, den Karins Patchwork-Outfits vermitteln. Sie sehen nach Kleiderkammer aus und wirken auf eine kühne Weise zusammengestoppelt. Die Mischung der Muster und Farben ist allerdings nicht völlig regellos.

Karins Art, sich zu kleiden, regt die Fantasie der Kundinnen an. Karin nimmt für sie die Funktion einer Anziehpuppe ein, einer Projektionsfläche für geschmackliche Experimente. Die meisten Kundinnen, die Karin über Jahre hinweg mit gebrauchter Kleidung bedenken, haben ein Gespür dafür entwickelt, was ihr gefallen könnte und was sich in ihren Mode-Kanon integrieren ließe.

Selbst bei Kleidungsstücken, die sie gar nicht mag, wie Ballonröcke oder Adler-Flanell-Hosen, sagt Karin sich, vielleicht gibt es ja doch eine Möglichkeit, sie lustig zu kombinieren. Scheußliches kann auch lustig sein.

Sie liebt Kombis, so nennt sie die Zusammenstellung von Teilen, die nach gängiger Auffassung nicht zusammengehören. Mich erinnert das an den Ugly Chic von Miuccia Prada, der das Glatte und Gängige infrage stellt und nach neuen Formen des Ausdrucks sucht.

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Manchmal scheppert es richtig, sagt Karin selbst über manche ihrer Kreationen.

Sie wird oft auf ihre ungewöhnliche Kleidung angesprochen, immer in positiver Weise; das freut sie. Sie passen aber lustig rein in die Blumen, sagte ein Kunde, und ein anderer meinte: Sie sehen ja heute selber wie eine Blume aus. Karin findet, dass ein Zusammenhang zwischen der verschwenderischen Fülle der Blumen und ihrer Art, sich zu kleiden besteht.

Eine Zeitlang hat sie in einem Blumenladen gearbeitet, in dem schwarze Kleidung vorgeschrieben war. Die Blumen stehen im Vordergrund, nicht das Personal, hieß es. Karin findet dagegen, als Verkäuferin macht man die Show. Da, wo sie jetzt arbeitet, kann sie ihren modischen Stil ausleben.

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Außer im Hochsommer ist es im Laden kalt, deshalb gehören Strumpfhose, Schals und Halstücher zu jedem Outfit. Im Winter trägt sie manchmal drei Strumpfhosen übereinander.

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Oft trägt sie Stulpen oder fingerlose Handschuhe. Das hat wärmehaushaltstechnische Gründe, sagt sie.

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Auch diese fingerlosen Handschuhe sind ein Geschenk.

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Für diese roten Stulpen hat Karin Filzstreifen, die für die Verzierung von Blumentöpfen gedacht sind, zweckentfremdet. Befestigt werden sie mit Naturbast, wie er zum Binden von Blumensträußen verwendet wird.

Karin liebt Schmuck. Ich habe sie noch nie ohne Halskette und Armreifen gesehen.

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Die Keramikkette mit den Blüten brachte jemand aus Moldawien mit.

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Die zarte schwarze Kette auf diesem Foto ist das Geschenk einer Kundin. Die silbrige Kette, die an Schneekristalle erinnert, fand Karin in einer Grabbelkiste und erstand sie zu einem Superpreis.

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Auch der Gürtel ist das Geschenk einer Kundin. Karin liebt Schmetterlinge.

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Auch sämtliche Teile dieses Outfits stammen von Kundinnen. Den Wickelrock hat eine Kundin selbst genäht.

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Die grüne Haremshose stammt von derselben Kundin.

Es sind nicht nur Modemut und Freude am Experiment, die Karins Kleidungsstil bestimmen. Es ist auch eine Frage des Geldes, denn als Blumenverkäuferin verdient sie nicht viel. Doch ihr unkonventioneller Stil würde sich wahrscheinlich selbst dann nicht ändern, wenn plötzlich ein Professor Higgins auftauchte und ihr die feinste Kleidung zu Füßen legte.

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alle Fotos © Rose Wagner