Ausstellung
Kurz, kess und Kult –
Sonja De Lennart und die Caprihose
Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg > 17.07. ‒ 20.09. 2015
Welche Vorstellungen waren mit dem Begriff Caprihose verbunden? Sind es heute andere als zu ihrer Entstehungszeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg?
Reclams Mode- und Kostümlexikon charakterisiert die Caprihose als modische Freizeithose für junge Frauen, knöchel- bis wadenlang, bequem geschnitten um die Hüften, extrem eng unterhalb der Knie, mit kleinem seitlichem Schlitz an den Hosenbeinen. Die Hose wurde nicht selten unter einem Rock versteckt, um gesellschaftsfähig zu sein (2011, S. 194).
Eine Ausstellung im Staatlichen Textil- und Industriemuseum (TIM) in Augsburg zeichnet die Geschichte der Caprihose nach und ehrt Sonja De Lennart als ihre Schöpferin. Lange Zeit wurde Emilio Pucci, der in seiner Boutique auf Capri den neuen Hosentyp verkaufte, fälschlich als dessen Erfinder angesehen.
Die Ausstellung wurde im Jahr 2014 von Tanja Roppelt für das Geburtshaus Levi Strauss Museum in Buttenheim kuratiert und nun vom TIM übernommen. Michaela Breil – Sammlungsleiterin des Textilbereichs im TIM – fügte Objekte aus ihrem Sammlungsbestand hinzu, da die Ausstellungsfläche in Augsburg wesentlich größer ist als in Buttenheim. Die Exponate illustrieren den kulturellen und sozialhistorischen Kontext der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Jahre des Wirtschaftswunders mit ihren Veränderungen der Alltagskultur und der Entstehung neuer Konsummuster.
Im Jahr 1945 ‒ die deutschen Städte lagen noch in Schutt und Asche ‒ stellte die in den Westen geflüchtete Breslauerin Sonja De Lennart (geb. 1920) ihre erste Kollektion vor. Sie bestand aus Mantel, Rock, breitem Gürtel, Bluse und Hut. Im Jahr 1948 wurde sie um die bewusste Hose ergänzt.
Die junge Textilingenieurin hatte zuerst im bayrischen Weilheim und später in München ein Modegeschäft eröffnet. Nach Kriegsende florierten die kleinen Schneidereien, doch wenige waren so erfolgreich wie die von Sonja De Lennart. Nachdem sich Prominente in ihren Modellen zeigten, entwickelte sich ihr Betrieb zu einem veritablen Modehaus, das nicht nur die Münchner High Society anzog.
Sonja De Lennart nannte ihr neues Sortiment Caprikollektion. Diese Bezeichnung kam nicht von ungefähr, denn die italienische Insel war ihr durch Ferienaufenthalte vertraut.
Nach Krieg, Mangel und Tristesse war das Bedürfnis nach Farbe und Lebensfreude groß. Die Caprikollektion mit dem weitschwingenden gelben Rock und dem roten Kunstledermantel stellte einen Gegenentwurf zur zweckmäßigen Kleidung der Kriegszeit dar, die in Schnitt, Farbe und Material oft an Uniformen erinnerte.
Die Mode nach Kriegsende war wieder sehr weiblich – Hosen blieben allerdings eine Rarität. Im Dritten Reich waren Frauen in Hosen nicht selten als Hosenweiber verunglimpft worden. Den ersten Prototyp der Caprihose ‒ die Wintervariation ‒ schneiderte Sonja De Lennart für sich selbst. Anders als Marlene-Dietrich-Hosen, die vereinzelte selbstbewusste und unabhängige Frauen – eben die Hosenweiber – sogar während des Dritten Reiches trugen, war das neue Beinkleid auf Figur geschnitten, was der zierlichen und kleinen Sonja De Lennart am besten stand. Sie versteckte jedoch das revolutionäre Kleidungsstück vorläufig in der Öffentlichkeit unter einem Mantel. Der nächste Schritt bestand in einer Sommervariante, mit der sie in den Ferien auf Capri einiges Aufsehen erregte. Damit die Hose beim Strandspaziergang nicht nass wurde, kürzte Sonja De Lennart sie noch mehr, versah den Saum mit einem Schlitz, und fertig war das Kleidungsstück, das als Caprihose in die Modegeschichte einging.
Der Reißverschluss wurde seitlich angebracht und nicht vorn, wie bei Männerhosen.
Mit der Benennung dieses neuen Hosentyps als Caprihose knüpfte Sonja De Lennart an eine tief im deutschen Kollektivbewusstsein verankerte Italiensehnsucht an. Das Wort rief die Vorstellung von Süden, Sonne und Unbeschwertheit hervor und markierte einen Kontrast zur Ruinenwelt der unmittelbaren Nachkriegszeit. Mit ihrem engen, körpernahen Schnitt setzte sie sich von bekannten Hosentypen deutlich ab. Für ihre Entstehungszeit war die Caprihose gewagt, doch die fünfziger und sechziger Jahre gehörten ihr.
Internationale Bekanntheit erlangte sie durch den Film Sabrina (1954) mit Audrey Hepburn, für den Hubert de Givenchy Kostüme beisteuerte. Brigitte Bardot trug die Caprihose und Jayne Mansfield, Grace Kelly und Ingrid Bergmann auch. Zu einem Mainstream-Kleidungsstück wurde sie, seit Jacqueline Kennedy sich in einem Modell mit Bügelfalte zeigte. Bald sah man Caprihosen auf der Straße, in Clubs und in Ferienorten, jedoch nicht im Berufsalltag. Dort waren Hosen für Frauen bis weit in die sechziger Jahre tabu. Eher wurde der Minirock geduldet als eine Hose.
Auf der Treppe, die zu den Ausstellungsräumen hochführt, sitzt ein gutes Dutzend Mädchen, 8. Klasse, fast alle tragen knappe Hot Pants. Sie warten auf ihre Lehrerin. Im TIM sollen sich die Schülerinnen mit Aspekten der Industrialisierung Augsburgs befassen. Ich frage: „Was sagt euch der Begriff Caprihose?“ Große Augen und Schweigen. Da erscheint – in Jeans in Destroyed Optik – die junge Lehrerin. Sie hat meine Frage gehört. „Das ist nicht ihre Zeit“, sagt sie mit Blick auf ihre Schülerinnen. „Wer unter 40 ist, kann mit dem Begriff nichts mehr anfangen“.
Das mag so sein, doch unter Bezeichnungen wie 3/4-Hose oder Cropped Pants behauptet sich der Hosentyp weiterhin. Und auch der Begriff Caprihose ist noch nicht ganz aus der Mode.
Die neuen Bezeichnungen sind funktional und haben nichts mehr mit dem bedeutungsgeladenen Begriff der Nachkriegszeit, in dem eine romantische Südlandsehnsucht mitschwang, zu tun. Ein Kleidungsstück ist manchmal mehr als eine textile Hülle. Es kann Symbolcharakter haben und über sich hinaus auf etwas anderes verweisen. Das war bei der Caprihose in ihrer Entstehungszeit der Fall. Diese Symbollast trägt sie heute nicht mehr. Doch sie ist ein Modeklassiker und wird von DesignerInnen immer wieder neu interpretiert.
Anders als zu ihrer Entstehungszeit wird die Caprihose heute von Frauen jedes Alters getragen. Besonders beliebt ist sie als praktische Bekleidung zum Radfahren.
Ein Begleitheft zur Ausstellung mit den Texten der Informationstafeln ist an der Museumskasse erhältlich.
Titelbild: Fotomontage TIM. Links Ingrid Bergmann, Mitte u. rechts Caprihosen, ca. 1961. Fotos © Privat, Sammlung Sonja De Lennart