Swarovski Kristallwelten
Kristallweltenstraße 1
6112 Wattens / Tirol

Mit Schmuck – vor allem mit echten Brillanten – wurde einst die soziale Rangordnung markiert. Seit Daniel Swarovski eine Maschine für das Schleifen von Kristall erfand, hat sich viel geändert. Ihm ging es nicht um Luxus für wenige, sondern darum, die Schönheit und Kunst des Schmucks einem breiten Publikum zugänglich zu machen, wie es in einer Publikation des Unternehmens heißt. Frauen sollten sich ihren Schmuck selbst leisten können. Das kann als Demokratisierung interpretiert werden.

Als Schrittmacher der modischen Emanzipation wird der Name Swarovski jedoch in der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Es ist vor allem die putzige Menagerie aus kleinen Kristall-Figuren – Pandabären, Schwänen, Schmetterlingen und Tigern – die Ende der 1970er Jahre das Traditionsunternehmen Swarovski über den Kreis von Kennern edler Kristall-Lüster und exklusiven Modeschmucks hinaus bekanntmachte.

Kristallmaus, 1976. Foto © Swarovski

Kristallmaus, 1976. Foto © Swarovski

Spätere Jahre brachten Glitzersteine auf Jeans, Sneakers, Büstenhaltern und Handy-Hüllen sowie jede Menge Schmuck. Swarovski-Steine sind so allgegenwärtig, dass von der Swarovskisierung der Mode die Rede ist. Die New York Times spricht angesichts der Zunahme von Glitzer auf Roten Teppichen von the inescapable Swarovski (22.05.2015).

Rihanna mit Swarovski-Steinen. Foto © Swarovski

Rihanna mit Swarovski-Steinen.
Foto © Swarovski

Seit einigen Jahren strebt das Unternehmen einen Imagewandel an. Swarovski soll für anspruchsvolles Design, Innovation und Hochtechnologie stehen. Ausstellungen wie die über Alexander McQueen im Victoria-und-Albert-Museum in London und Mario Testino im Berliner Kulturforum werden gesponsert, aufstrebende Designer gefördert und Kooperationen mit Hightech-Unternehmen eingegangen. Auch die Swarovski Kristallwelten am Stammsitz Wattens bei Innsbruck sollen zur Image-Änderung beitragen. Doch da der alte Nippes-Eindruck nachwirkt, stellte sich uns vor dem Besuch der Kristallwelten die Frage: sind sie womöglich eine Art Tiroler Disneyland?

Das sind sie nicht. Sie sind zwar auch Unterhaltung und Kommerz, doch im gleichen Maße erzählen sie etwas über den Zusammenhang von Technik, Innovation, Schmuck- und Modegeschichte und die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten von Kristall.

Die Swarovski Kristallwelten wurden im Mai 2015 anlässlich des 120-jährigen Firmenjubiläums in ihrer jetzigen Form eröffnet. Sie stehen an zweiter Stelle der beliebtesten Touristenziele Österreichs. Die Vorgängerversion hatte André Heller 1995 zur Feier des 100-jährigen Firmenjubiläums konzipiert. Mit der Neugestaltung wurde das norwegische Architekturbüro Snøhetta beauftragt, das durch den Bau des Opernhauses in Oslo internationale Bekanntheit erlangte.

In einer Parklandschaft von 7,5 Hektar verteilen sich Kunstobjekte, Spielmöglichkeiten, die Verkaufshalle sowie siebzehn verschiedene Ausstellungsbereiche. Diese werden in Anlehnung an die fürstlichen Sammlungen und Kunstkammern der Renaissance mit ihrem Anspruch, das bekannte Wissen der Welt zu bündeln, als Wunderkammern bezeichnet. Es gibt einen Dom aus 595 Kristallspiegeln, die das Gefühl vermitteln, im Inneren eines Kristalls zu stehen, einen Kristallbaum, der an eine klirrend kalte Winterlandschaft erinnert, einen Gang, auf dem jeder Fußtritt kristalline Spuren hinterlässt und Vieles mehr. Die Liste der international renommierten Künstler, Architekten, Beleuchtungs- und Toningenieure, die an der Gestaltung der Kristallwelten und der einzelnen Wunderkammern mitwirkten, ist lang und beeindruckend.

Kristalldom, 2006. Foto © Swarovski

Kristalldom, 2006. Foto © Swarovski

Unter den Attraktionen sticht die Kristallwolke hervor, eine Installation aus rund 800.000 Kristallen, die bei Sonnenschein in allen Farben des Regenbogens glitzern und sich im Wasser eines künstlichen Sees widerspiegeln.

Kristallwolke von Andy Cao und Xavier Perrot. Foto © Swarovski

Kristallwolke von Andy Cao und Xavier Perrot.
Foto © Swarovski

Dieses Kunstobjekt versinnbildlicht, was den Kern von Swarovski ausmacht: geschliffenes Kristall, das Licht aufnimmt und reflektiert und sich für viele Zwecke eignet.

Beeindruckend ist auch die Verkaufshalle für die Swarovski-Produkte im Hinblick auf Gestaltung und Fläche. Auf 800 Quadratmetern sind Schmuck, Mode, optische Geräte und natürlich die Tierfiguren vereint. Die Gleichzeitigkeit und Gleichberechtigung von Massenware und exklusivem Design springt ins Auge.

Vitrine im Store, Iris van Herpen, 2015, Baumwolle mit Kristallsteinen bestickt. Foto © Klaus Vyhnalek / Swarovski Kristallwelten

Vitrine im Store, Iris van Herpen, 2015, Baumwolle mit Kristallsteinen bestickt.
Foto © Klaus Vyhnalek / Swarovski Kristallwelten

Der Kristallschleifer Daniel Swarovski (1862-1956) aus der Nähe von Gablonz, dem florierenden Zentrum der Glasschleiferei in Böhmen, siedelte im Jahr 1895 nach Wattens über, um eine Fabrik für mechanisch geschliffene und polierte Schmucksteine zu bauen. Für den neuen Standort sprachen die größere räumliche Distanz zu möglichen Nachahmern, die Wasserkraft des Inn sowie die guten Schienenverbindungen nach Wien und Paris – den wichtigsten Modestädten der Belle Epoque.

Daniel Swarovski mit Kristallschleifmaschine, 1892. Foto © Swarovski

Daniel Swarovski mit Kristallschleifmaschine, 1892.
Foto © Swarovski

Swarovski hatte bereits im Alter von 18 Jahren eine Maschine erfunden, mit der Kristallsteine gefasst werden konnten. Bis dahin war die Herstellung von Kristallschmuck reine Handarbeit. Durch Verbesserung des Rohmaterials (Quarzsand) und Perfektionierung der Schleiftechnik gelang ihm eine Revolutionierung der Schmuckindustrie. Aus den Werkstätten in Wattens kamen reinere, widerstandsfähigere und leuchtendere Steine als von anderswo. Die funkelnden Broschen, Haarspangen und Schuhschnallen fanden reißenden Absatz. Pariser Couturiers ließen sich Kristallsteine für Abendroben, Accessoires und Schmuck liefern.

Charles Frederick Worth, 1910. Foto © Oliver Saillant / Swarovski

Charles Frederick Worth, 1910.
Foto © Oliver Saillant / Swarovski

Es war der Verbreitung von Kristallsteinen dienlich, dass Modeschöpferinnen wie Coco Chanel und Elsa Schiaparelli keine Scheu vor Modeschmuck hatten. Für die Modeschmuck-Linie von Christian Dior wurde eine neue Beschichtungstechnik entwickelt, wodurch die Steine besonders intensiv leuchten.

Modeschmuck für Dior mit dem Aurora-Borealis-Kristall, 1960. Foto © Swarovski

Modeschmuck für Dior mit dem
Aurora-Borealis-Kristall, 1960.
Foto © Swarovski

In den Hochtechnologie-Werkstätten in Wattens, die direkt an die Kristallwelten grenzen, arbeiten und forschen Hunderte von Ingenieuren. Heute geht es darum, Kristall geschmeidig und fließend wie Seide (Firmenpublikation) zu machen. Doch es geht nicht nur um textile Gewebe. In Zusammenarbeit mit einem Handy-Hersteller wurde ein Verfahren entwickelt, Kristall nicht nur auf das Gehäuse der Geräte aufzubringen, sondern es in das Kunstharz einzuspritzen und Muster zu erzeugen. Für ein Fitness-Armband wurde eine Kristall-Verkleidung erfunden, die Sonnenlicht ansammelt und an eine Solarzelle weiterleitet. Der solarbetriebene Tracker sieht aus wie ein gewöhnliches Glitzerarmband.

Die Eigenschaft der Lichtbrechung und Lichtstreuung macht Kristall nicht nur interessant für Schmuck- und Modedesign, sondern darüber hinaus für die optische Industrie, High-Tech-Industriebeleuchtung sowie Sicherheitstechnik und Arbeitskleidung (Reflektoren).

Auch wenn Swarovski heute mit den drei Sparten Glas, Optik und Schleifmittel ausdifferenzierter ist als bei der Gründung, steht in der Gewichtung noch immer der Schmuck an erster Stelle.

Maison Martin Margiela für Atelier Swarovski, 2013. Foto © Swarovski

Maison Martin Margiela für Atelier Swarovski, 2013. Foto © Swarovski

Doch gerade auf diesem Feld erwächst dem Unternehmen aus China, Ägypten und Tschechien starke Konkurrenz. Dem setzt Swarovski seinen technologischen Vorsprung, die langen Beziehungen zu Designern und eine starke Präsenz im Unterhaltungsbereich entgegen.

Vorhang aus 100.000 Swarovski-Kristallen für die Oscar-Verleihung, David Rockwell, 2010. Foto © AMPAS / Swarovski

Vorhang aus 100.000 Swarovski-Kristallen für die
Oscar-Verleihung, David Rockwell, 2010.
Foto © AMPAS / Swarovski

Mit dem Atelier Swarovski wurde eine Entwurfsstätte für Schmuck eingerichtet, die renommierte Designer anzieht. Beim angesehenen Council of Fashion Designers in New York wurden Preise für Damen- und Herrenmode sowie für Accessoires ausgelobt und mit dem Swarovski Collective ein Förderprogramm für junge Mode-Designer eingerichtet. Einer der ersten Nutznießer war der erwähnte Alexander McQueen, der 1999 ein Top mit Kapuze aus dem neuartigen Gewebe Chrystal Mesh von Swarovski auf den Laufsteg brachte.

Alexander McQueen, 1999. Foto © Claire Robertson / Swarovski

Alexander McQueen, 1999.
Foto © Claire Robertson / Swarovski

Die ästhetische und preisliche Bandbreite bei Swarovski ist groß; unterschiedliche Zielgruppen und Geschmacksvorlieben werden angesprochen. In der Linie LolaandGrace sind Ringe mit farbigen Herzchen für weniger als 15 Euro zu haben, handgefertigte Ringe aus limitierten Serien der Fine Jewelery Collection kosten dagegen ein Vielfaches. Jede kann sich heute Schmuck leisten. Das Distinktionsmerkmal besteht nicht mehr darin, ob jemand Kristallschmuck statt echter Juwelen trägt, sondern darin, welcher Modeschmuck gewählt und welche Gesamtwirkung erzielt wird.

Der Name Swarovski ist mit denkwürdigen Ereignissen der Pop-Kultur verknüpft, wie der Ausstellungsbereich Timeless mit Filmkostümen und Bühnen-Outfits illustriert: die Prunk-Krone von Elton John, der rote Glitzerschmuck von Nicole Kidman aus dem Film Moulin Rouge, das Kleid sowie der Glasschuh von Lily James als Cinderella, der aus einem einzigen Kristallblock geschnitten ist.

Lily James in Kleid von Sandy Powell, bestickt mit mehr als 10.000 Swarovski-Kristallen. Foto © Disney Enterprises Inc. / Swarovski

Lily James in Kleid von Sandy Powell, bestickt mit mehr als 10.000 Swarovski-Kristallen.
Foto © Disney Enterprises Inc. / Swarovski

Die Kristallwelten bilden einen Kosmos für sich, in dem gleichzeitig dem Konsum gehuldigt wie auch seiner Kritik (ein wenig) Platz eingeräumt wird. Und so findet sich am Eingang zu den Kristallwelten die irritierende Installation der Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury, die sich einen Namen als Konsumkritikerin gemacht hat. Ein übergroßer Schriftzug aus Swarovski-Kristallen mit den Worten YES TO ALL scheint über einem meterhohen Fundament aus Schrottsteinen zu schweben. Bei Swarovski gibt es einfach alles.

Installation von Sylvie Fleury. Foto © Rose Wagner

Installation von Sylvie Fleury.
Foto © Rose Wagner

Titelbild: Art´Orafor für Swarovski Gemstones, 2015. Foto © Swarovski