Ausstellung Global Fashion Capitals
Museum at the Fashion Institute of Technology
New York > 02.06. ‒14.11. 2015
Angesichts der zunehmenden Zahl von Modewochen in allen Teilen der Welt drängt sich die Frage auf: Wie national kann eine Modemarke heute noch sein? Das Label Jil Sander zeigt seine Kollektionen in Mailand und gehört einem japanischen Konzern. Wolfgang Joop präsentiert seine Marke Wunderkind bei den Modewochen in Paris. Das Label Tom Ford hat seinen Firmensitz in London, der gleichnamige Besitzer erhielt gerade die Auszeichnung des Council of Fashion Designers of America als bester amerikanischer Designer für Männermode, seine Kollektionen schickt er neuerdings in Los Angeles auf den Laufsteg.
Welche Städte spielen für die internationale Wahrnehmung eines Designers die entscheidende Rolle? Solche Fragen liegen der Ausstellung Global Fashion Capitals zugrunde, die das New Yorker Modemuseum Fashion Institute of Technology (FIT) bis November 2015 zeigt.
Noch immer bestimmen die vier Modemetropolen Paris, New York, Mailand und London den Zeitplan der Modewochen, ziehen die Einkäufer an und dominieren die Berichterstattung. Doch auf dem Modeglobus tauchen Dutzende neuer Städte auf, die Fashion Weeks veranstalten und mit den Entwürfen regionaler Designer glänzen wollen. Gefährden sie die Vormachtstellung der großen Vier?
Paris ist seit dem 18. Jahrhundert der Inbegriff einer Modestadt. Hier erfand der Engländer Charles Frederick Worth das System der Haute Couture und wurde zum wichtigsten Couturier des 19. Jahrhunderts.
Coco Chanel und Christian Dior verkörperten im zwanzigsten Jahrhundert die Pariser Mode, wie auch der Spanier Balenciaga und die Italienerin Elsa Schiaparelli.
Bis zum Zweiten Weltkrieg bestand die New Yorker Mode vor allem aus dem Kopieren Pariser Haute Couture. Die Besetzung von Paris durch die Nationalsozialisten zwang die New Yorker Designer zu Eigenständigkeit. Seit 1962 vertritt der Council of Fashion Designers of America (CFDA) die Interessen der amerikanischen Modeschaffenden. Heute steht die New Yorker Mode für lässigen Chic und Sportlichkeit.
In Mailand werden seit 1975 Modewochen veranstaltet. Die Initiative ging von der Modekammer Camera Nazionale della Moda aus. Zuvor stritten Florenz und Rom um den Status der führenden italienischen Modestadt. Die erste Schau italienischer Scheider hatte 1951 in Florenz stattgefunden. Für Mailand sprachen seine leistungsfähige Textilindustrie und der große Flughafen. Mailand hat sich mit luxuriöser Prêt-à-porter-Mode einen Namen gemacht sowie mit ungewöhnlichen Mustern, Materialien und Zusammenstellungen.
Londons große Stunde schlug in den 1960er Jahren mit experimentierfreudigen DesignerInnen wie Mary Quant. Eine stabile Professionalisierung der Londoner Modewoche ließ allerdings auf sich warten, bis der 1983 gegründete British Fashion Council die Sache in die Hand nahm. Dass London sich schließlich zu einer internationalen Modemetropole mauserte, verdankt es auch seinen renommierten Modeschulen, die Studierende aus der ganzen Welt anziehen. Mittlerweile kommt mehr als ein Drittel der Designer, die ihre Kollektionen bei der Londoner Fashion Week zeigen, aus dem Ausland. Londons Mode gilt als avantgardistisch und exzentrisch.
Die Ausstellung im Fashion Institute of Technology porträtiert neben den vier etablierten Modemetropolen sechzehn aufstrebende Modestädte, darunter Berlin, Antwerpen, Istanbul, Kiew, St. Petersburg, Tokio, Shanghai, Neu-Delhi, Sydney, Lagos und São Paulo. Alle Städte haben ihre kulturellen und sozialen Besonderheiten, die sich in der Mode niederschlagen. Dazu einige Beispiele:
Neu-Delhi ist mit einem Ensemble von Manish Aurora vertreten, das mit Titelblättern eines Bollywood-Filmmagazins bedruckt ist. Keine Spur mehr von Sari, statt dessen ein textiles Spiel mit der Vorliebe für knallige Filme. Bei aller vordergründigen Abkehr von der Tradition schlägt sich in diesem Modell jedoch auch das Erbe der üppigen Verzierungen und der Farbenvielfalt nieder, wie sie indische Kleidung seit jeher kennzeichnet.
Aus der nigerianischen Hauptstadt Lagos kommen Modelle wie das von Lisa Folawyo, welches einheimische Bekleidungstraditionen neu interpretiert und mit internationalen Modetrends verbindet.
São Paulos Fashion Week ist – laut FIT – zahlenmäßig die fünftgrößte der Welt. Seit dem Ende der brasilianischen Militärdiktatur im Jahr 1985 zeigen Designer ein verstärktes Interesse an der Geschichte ihres Landes. Alexandre Herchcovitch ließ sich für seine Kollektion von Mustern inspirieren, wie sie beim Stamm der Nbedele in Simbabwe vorkommen. Dieser Bezug zu Afrika liegt im multi-ethnischen Brasilien nicht fern. Das Land war der größte Importeur von Sklaven aus Afrika, weit vor den USA.
Für St. Petersburg steht das Label Homo Consommatus des Designers Alexey Sorokin. Mit luxuriösen Kleidern und Schuhen will Sorokin eine moderne russische Mode-Identität begründen. Statt Mangel für alle ‒ wie in der UDSSR ‒ gibt es Opulenz und Glamour für wenige.
Berlin sieht sich als deutsche Hauptstadt der Kreativen. Typisch für eine neue Generation von Designern ist die Abwendung von funktionaler Bekleidung – wie sie im Alltag noch immer dominiert – und die Entwicklung einer Vielzahl unterschiedlicher Stile, vom ausgefallenen Streetstyle bis zu avantgardistischen Entwürfen. In der New Yorker Ausstellung wird Berlin durch die Labels Kilian Kerner und Marina Hoermanseder repräsentiert. Hoermanseder lässt sich von der Orthopädie-Technik vergangener Jahrhunderte inspirieren und kombiniert Leder mit weichem Mohair. Das Ergebnis ist Fetisch, gepaart mit Sanftheit.
Das Label Kilian Kerner gehört zu den erfolgreichsten in Berlin. Der gleichnamige Designer kam über das Schauspiel und die Musik zur Mode und entwirft Kleidung für Männer und Frauen sowie den eher androgynen Typ. In der New Yorker Ausstellung ist ein Kleid zu sehen, in dessen abstraktem Print-Muster sich Farben der irischen Landschaft widerspiegeln.
So wichtig die aufstrebenden Modestädte für ihre jeweiligen Länder auch sein mögen, eine ernsthafte Konkurrenz für die etablierten Metropolen stellen sie noch nicht dar. Wer internationales Renommee sucht, muss in Paris, New York, Mailand oder London präsent sein. Internationale Einkäufer und Investoren auf der Suche nach erfolgversprechenden neuen Talenten steuern zuerst die vier großen Modemetropolen an. Die internationale Modepresse kommt hier zusammen, und außerdem gibt es ein am Geschehen interessiertes und zahlungskräftiges Publikum. Eine solche vorteilhafte Konstellation ist in kaum einer der aufstrebenden Modestädte gegeben.
Auch nicht in Berlin. Deshalb zeigen Berliner Designer – mit Unterstützung des Senats – ihre Kollektionen in Showrooms in Paris und New York und erhoffen dort Resonanz und Geschäftsabschlüsse. Die lokale Nachfrage reicht nicht, um allen Berliner Designern ein Auskommen zu sichern. Bei der Berliner Modewoche im Januar 2015 wurde die Gründung eines German Fashion Design Council bekanntgegeben, der die deutsche Mode fördern will. Die Würdigung Berlins als Global Fashion Capital in der New Yorker Ausstellung ist diesem Ziel förderlich.
Titelfoto: Manish Aurora, Detail, 2006, Neu-Delhi. Foto © Fashion Institute of Technology