„Blickwechsel. Kopfputz“
Märkisches Museum Berlin > 22.01.2013 – 20.05.2013
Fällt die Muslimin mit ihrem Kopftuch im Berliner Straßenbild deshalb so auf, weil nur noch wenige andere Kopfbedeckungen zu sehen sind? Diese Frage wirft das Märkische Museum in einer Ausstellung auf. Heute findet sich das Kopftuch, einst von vielen Frauen variantenreich getragen, fast ausschließlich auf den Köpfen von Musliminnen und Frauen, die aus Osteuropa oder der ehemaligen Sowjetunion kommen.
Auf alten Fotografien mit Berliner Straßenszenen sieht man niemanden ohne Kopfbedeckung. Noch in den 1960er Jahren galt der Hut als unverzichtbares Accessoire. Kopfbedeckungen schützen, schmücken und symbolisieren Macht, sozialen Status, ökonomische Potenz, religiöse oder politische Zugehörigkeit. Was erzählen sie über eine Stadt und ihre Bewohner? Das soll mit Hilfe eines neuen Formats herausgefunden werden. Vorübergehend werden zwölf ausgewählten Exponaten der Dauerausstellung neue Objekte zugeordnet. Sie sollen einen „Blickwechsel“ zwischen Vertrautem und Neuem anregen und eine andere „Lesart“ der Dinge ermöglichen.
Zwangsläufig muss die Dauerausstellung durchschritten werden, denn die neuen Objekte sind über den gesamten verwinkelten Gebäudekomplex verteilt. Sie müssen gesucht werden. An den neuen Objekten sind keine Informationen angebracht.
Den Auftakt macht im Großen Saal der „Blickwechsel“ zwischen Theodor Fontanes (1819 – 1898) Kalabreser – einem weichen Filzhut mit breiter Krempe – und einem Kinderhut aus dem Jahr 2012. Fontane bezog mit seinem Kalabreser politisch Position. Berlin war ein Zentrum der 1848er Revolution, und Träger dieser Kopfbedeckung drückten damit ihre Sympathie mit den Aufständischen und den europäischen Freiheitsbewegungen aus.
In der „Gotischen Kapelle“ wird einem Taufstein ein besticktes Häubchen zugeordnet. Es sollte in der ungeheizten Kirche den Kopf des Kindes vor Kälte schützen. Auch an einer anderen „Blickwechsel“-Station geht es um die Schutzfunktion von Kopfbedeckungen. Eine Tube Selbstbräunungsgel wird in Beziehung gesetzt zu einem Gemälde aus dem Jahr 1840, das elegante Berlinerinnen mit Schutenhüten und Sonnenschirmen zeigt. Die Damen wollten ihre vornehme Blässe nicht gefährden. Wenn es die Intention der Ausstellungsmacher ist, mit ihrer Installation Betrachtungen über den Wandel von Schönheitsidealen anzustoßen, so ist sie erfolgreich – vorausgesetzt, sie wird von den Besuchern überhaupt registriert.
Am Beispiel einer einst typischen Berliner Erscheinung – dem Leierkastenmann –, dessen Bildnis ein Pappkaffeebecher hinzugefügt wird, werden die Besucher angeregt, über den Wandel von Bettelritualen nachzudenken. Ließen einst die Darbietenden musikalischer Unterhaltung ihren Hut herumgehen, um Geld vom Publikum einzusammeln, ist es heute meist ein Coffee-to-go-Becher, der hingehalten wird.
In mehreren Installationen wird ein Bezug zwischen historischen Kopfbedeckungen und den heutigen Kopftüchern von Musliminnen hergestellt. So treten beispielsweise eine Schachtel mit Stecknadeln und Spreewälder Ammen mit ihren voluminösen Hauben miteinander in Dialog. Diese sind auf einem Ölgemälde aus dem Jahr 1886 zu sehen. Früher steckten Spreewälder Ammen ihre Kopfbedeckungen kunstvoll über einem Gerüst aus Pappe, heute sind es junge Musliminnen, die ihre Kopftücher aufwendig über einem Unterbau drapieren.
Sakrale mittelalterliche Holzskulpturen von Madonnen und Heiligen, die ihr Haupt mit Schleiern und Hauben bedecken, werden mit einer Fotoinstallation konfrontiert, auf der eine junge Frau ein Kopftuch auf unterschiedlichste Weise bindet. Das Beiheft fragt: „Ab welchem Grad von Bedeckung nehmen wir die Kopftuch tragende Frau als Muslimin wahr?“
Vielleicht hätte noch mit anderen Beispielen illustriert werden sollen, welch bedeutsame Rolle das Kopftuch in der Geschichte der Berliner Kopfbedeckungen spielt. Während der Bombardierung der Stadt war es ein wesentlicher Teil der Schutz- und Notbekleidung und nach Kriegsende das archetypische Bekleidungsstück der „Trümmerfrau“, die mit bloßen Händen Schutt und Steine wegräumte. Ein Denkmal im Stadtteil Neukölln erinnert noch heute daran. Am Kopftuch der Skulptur – es ist hinten geknotet und nicht auf dem Scheitel – entzündete sich heftige Kritik. Das Binden des Tuches im Nacken galt als ländlich, als Symbol für Flüchtlingsfrauen. Selbst in Notzeiten wurde subtil modisch differenziert und sozial ab- und ausgegrenzt.
In den Dekorationen Berliner Modehäuser für den Sommer 2013 ist das Tuch wieder präsent, in der Retro-Version der 1920er und 1950er Jahre, als die mondäne Dame im Mercedes Coupé seine Enden lässig im Fahrtwind flattern ließ.
Der Reiz des Formats „Blickwechsel“ liegt im unkonventionellen Zusammenspannen von Sammlungsbeständen und banalen Alltagsgegenständen. Doch der Wandel der Kopfbedeckungen wird mit den Beispielen allenfalls beschrieben, aber nicht erklärt, da sie nicht vertieft werden und deshalb anekdotisch bleiben. Schade ist auch, dass die unmittelbare Gegenwart zu kurz kommt.
Unabhängig von der „Kopfputz“-Ausstellung werden in einem Saal ca. zwei Dutzend Hüte, Kappen und Mützen aus den letzten zweihundert Jahren präsentiert. Sie illustrieren eine eindrucksvolle Vielfalt an Formen, Materialien und Farben. In den 1920er Jahren arbeiteten allein am Kurfürstendamm 70 Putzmacherinnen.
Davon ist Berlin heute weit entfernt, was den Bedeutungsverlust dieses hochspezialisierten Handwerks verdeutlicht – und doch, es tut sich etwas. Allein in der Charlottenburger Bleibtreustraße eröffneten in den letzten Jahren drei neue Hutgeschäfte. Herrenhüte aus weichem Filz ‒ à la Udo Lindenberg ‒ werden zunehmend beliebter, Hipster-Hüte à la Yoko Ono oder Pete Doherty immer häufiger gesichtet, und auch Baskenmützen sind keineswegs out.
Doch vermutlich sind Baseballkappen die Kopfbedeckung, die in Berlin am häufigsten getragen wird. Caps sind größenverstellbar, mit Schirm, leicht, preisgünstig. Die modischen Kappen haben ihren Ursprung im amerikanischen Sportleben des 19. Jahrhunderts, wurden in den 1950er Jahren zu ihrer heutigen Form entwickelt, in den 1980ern von der Hip-Hop-Szene gegenläufig adaptiert und sind heute in allen Milieus vertreten.
Auch Beanies, die formlosen, übergroßen Wollmützen ‒ in den 1990er Jahren archetypische Kopfbedeckung der amerikanischen Grunge-Szene, der Anti-Hut schlechthin ‒ sind nicht länger nur in Berlins Szenebezirken verbreitet. Jedes Street-Style-Label führt sie im Sortiment, und das KaDeWe hält sie in Neonfarben vor.
Trotz Kritik ist die Ausstellung sehenswert ‒ auch weil sie dazu anregt, mit geschärftem Blick Berlinern auf die Köpfe zu schauen.
Text: © Rose Wagner
Fotos: © Rose Wagner (soweit nicht anders angegeben)
Überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung vom März 2013 in Netzwerk Mode Textil