„Power of Fashion – 300 years of clothing“
Nordiska Museet Stockholm  > 01.01.2011 ‒ 31.12.2012

Wie durch Kleidung nationale, kollektive und individuelle Identitäten konstruiert werden und welche Rolle dabei bestimmte Kontextbedingungen – Geografie, Ökonomie, Soziales – spielen, zeigt eine Ausstellung in Stockholm.Den Auftakt bilden drei Kostüme, die verdeutlichen, wie mit Kleidung die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ausgedrückt wird.

Ausstellungsansicht

Ausstellungsansicht. Foto © Rose Wagner

Auf einem Stuhl sitzt eine Puppe mit einem Gewand, das reich mit Silberschmuck verziert ist. Sie stellt eine Braut um 1840 aus einer wohlhabenden Familie im fruchtbaren Südosten des Landes dar, die am Abend vor ihrer Hochzeit mit einem reichen Bauern eingekleidet worden war und die Nacht sitzend verbringen musste, damit ihr Gewand nicht in Unordnung geriet. Das Kleid besteht aus mehreren Schichten kostbarer Textilien, und es dauerte Stunden, bis es angelegt war. Jede Stickerei, jedes Motiv, jeder Knopf, jede Borte hat eine spezifische Bedeutung.

Die zweite Figurine in diesem Tableau trägt die „Große Hofuniform“. Sie wurde im Jahr 1823 für den schwedischen Hof kreiert. Auch für dieses Kostüm gilt, dass jede Einzelheit bedeutungsvoll ist. Diese zivile Uniform wird noch heute von Mitgliedern des schwedischen Königshauses und des Hochadels bei besonderen Anlässen angelegt, allerdings mit schwarzen Hosen.

Das dritte Kostüm kleidete im Jahr 2009 einen „Cybergoth“. Der Träger gehörte zu einer jugendlichen Subkultur, die sich aus dem Punk entwickelte. Mit dem überwiegend in Schwarz gehaltenen Outfit soll eine apokalyptische Weltsicht zum Ausdruck gebracht werden. Sowohl Männer als auch Frauen tragen in dieser Szene Stiefel mit hohen Plateausohlen, kurze Röcke und farbige Haarteile aus synthetischem Material. Schweißerbrillen oder Gasmasken runden das Outfit ab. Der Stil ist androgyn und global. Das Zubehör wird vielfach über das Internet erworben. Es gilt als Ausweis besonderer Kennerschaft und Ernsthaftigkeit, wenn die Kluft selbst genäht wird und die Accessoires – oft aus ausrangiertem und wertlosem Material – in Eigenarbeit hergestellt werden.

Im weiteren Verlauf konzentriert sich die Ausstellung auf drei Dekaden, in denen es in Schweden zu grundlegenden Veränderungen in der Mode kam.

Die 1780er Jahre: Französisches Gepränge und schwedische Prohibition

Schwedische Adelige gaben im 18. Jahrhundert exorbitant viel Geld für importierte französische Luxuswaren aus. Aus Gründen der Nationalökonomie und der nationalen Identität war das nicht hinnehmbar. König Gustav III unternahm mehrere Versuche, die Zurschaustellung des französischen Gepränges zu unterbinden und die schlichteren einheimischen Erzeugnisse aufzuwerten, die jedoch nicht nur unattraktiver, sondern auch von minderer Qualität waren.

Ausstellungsansicht

Ausstellungsansicht

Der König versuchte es mit einem Appell an den Patriotismus und propagierte im Jahr 1778 ein schwedisches Nationalkostüm, das unaufwendiger in Schnitt, Material und Stoffverbrauch war als die importierten Gewänder. Beim Adel stieß es weitgehend auf Ablehnung.

Kleid einer schwedischen Adeligen um 1780 im Nationaltrachtschnitt Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Kleid einer schwedischen Adeligen um 1780 im Nationaltrachtschnitt
Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Auf dem Lande konnte die Mode-Prohibition lange Zeit besser durchgesetzt werden. Nach der Französischen Revolution wurden jedoch selbst in Teilen der Landbevölkerung seidene Tücher und Hauben getragen. Damit gerieten die ständischen Ordnungsvorstellungen sichtbar ins Wanken. Meist handelte es sich um von Adeligen und wohlhabenden Bürgern abgelegte Textilien, die in den florierenden Handel mit gebrauchter Kleidung eingespeist wurden. Pfarrer wurden mit der Überwachung der Kleiderordnung betraut. Niemand sollte seinen sozialen Status durch Kleidung erhöhen. Doch die Französische Revolution hatte eine Erosion der alten Verhältnisse in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten war. Allerdings hat der Adel bis heute seine führende gesellschaftliche Stellung nicht eingebüßt, wie ein Blick in jedes beliebige schwedische Boulevardmagazin belegt.

Die 1860er Jahre: Technik, Transport und Konfektion

Dampfschiffe brachten Anfang des 19. Jahrhunderts massenhaft preiswerte amerikanische Baumwolle nach Europa. In Schweden führte das zum Rückgang der Leinenweberei und damit auch der traditionellen Volkstracht. Die erst spät – Mitte des 19. Jahrhunderts – einsetzende industrielle Revolution löste nachhaltige Veränderungen aus. Gestiegene Mobilität und Gewerbefreiheit führten zur Eröffnung von Geschäften auch auf dem Lande. Baumwollstoffe und vorgesponnene Garne waren nun überregional verfügbar. Die Nähmaschine vereinfachte die Hausarbeit und brachte neue Beschäftigungs-möglichkeiten für Frauen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde bereits ein erheblicher Teil der Männerbekleidung industriell gefertigt, und bald folgten konfektionierte Damen- und Kindermäntel.

Kleidung der Tochter eines Bergwerkbesitzers, um 1830. Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Kleidung der Tochter eines Bergwerkbesitzers, um 1830.
Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Neue soziale Schichten tauchten in der öffentlichen Wahrnehmung auf, darunter Industrielle und Proletarier. Die Frauen der Bourgeoisie unterschieden sich in ihrer Kleidung von Adeligen durch größere Schlichtheit und Modernität.

Am schlechtesten waren die Proletarier in den Städten dran. Sie besaßen nur das, was sie auf dem Leibe trugen, und nicht selten war das ein einziger Kittel, das ganze Arbeiterleben lang. Am Ende blieben nur Lumpen übrig. Auch deshalb sieht man in Museen so wenig Kleidung dieser Klasse. Besser erging es den Dienstboten. Nach schwedischem Gesetz standen ihnen für ihre Arbeit Garn, Kleidung und Schuhe zu. Nicht selten waren sie besser gekleidet als Handwerker und Bauern.

Proletarierkleidung um 1860. Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Proletarierkleidung um 1860.
Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Die 1960er Jahre: Bewegung allenthalben

Die Nachkriegszeit bescherte Schweden einen Wirtschaftsboom mit gestiegener Kaufkraft. Die Zahl privater Automobile nahm rapide zu, mit Auswirkungen auch auf die Mode: lange schwere Mäntel wurden von kürzeren und leichteren Modellen abgelöst, schwere Schuhe und Stiefel durch leichtere. Aufgrund der größeren Mobilität, des Anstiegs der Zahl von Universitätsstudenten und der Attraktivität linker Bewegungen kam es zum Zurückdrängen alter Konventionen und größerer Lässigkeit. Die schwedische Streetwear nahm ihren Anfang.

Die 1960er Jahre gestalteten sich als Umbruchzeit, die sich in veränderter Mode und neuen Dresscodes niederschlug. Jugendlichkeit wurde betont und eine spezifische Jugendmode entwickelt.

Modell von Mary Quant, 1967/1968. Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Modell von Mary Quant, 1967/1968.
Foto © Nordiska Museet, Mats Landin

Die Erfindung der Strumpfhose beschleunigte in den kalten skandinavischen Ländern die Durchsetzung des Minirocks. Popkulturelle Einflüsse auf die Mode nahmen zu. Die ersten T-Shirts mit Fotos von Popstars – zum Beispiel den Beatles – waren im Straßenbild zu sehen. US-Stores verkauften Jeans und Parkas aus Armeebeständen zu günstigen Preisen. Sie wurden von Jugendlichen gegenläufig interpretiert und bei Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg getragen.

Symptomatisch für das politisch aufgeladene Jahrzehnt ist das Label „Mah-Jong“ (1966-1976). Die drei jungen Modedesignerinnen, die es auf den Weg brachten, waren dezidierte Gegnerinnen des Vietnamkrieges sowie der geringen Entlohnung von Näherinnen. Sie wollten ihren hohen ästhetischen und handwerklichen Anspruch unter den Bedingungen der Massenproduktion verwirklichen. Ihre Prinzipien lauteten: Dauerhaftigkeit, Abkehr von schnellen Modezyklen, keine Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer, politisch vertretbare Arbeitsbedingungen, keine sexistische Mode. Für ihre Zielgruppe – „die Arbeiterklasse“ – erwiesen sich die Preise jedoch als zu hoch, auch trafen die Modelle nicht den Massengeschmack.

Fazit 

Die Ausstellung reicht über das Modisch-Textile bis in die schwedische Sozial- und Kulturgeschichte hinein und führt vor Augen, wie viel sich in den letzten dreihundert Jahren in Bezug auf Kleidung und Mode verändert hat. Regionale Unterschiede fallen kaum noch ins Gewicht. Billig-Ketten ermöglichen fast jedem, bei schnellen Modezyklen mitzuhalten.

Der ausgestellten Inventarliste eines Bauern um 1850 ist zu entnehmen, dass sein Wintermantel einen größeren Wert darstellte als sein Pferd. Mit den neuen Möglichkeiten der Textilproduktion verlor Kleidung jedoch an Wert, und bereits Ende des 19. Jahrhunderts konnten sich breitere Schichten mehrere Kleidungsstücke gleichzeitig leisten. Heute wird Kleidung absichtlich zerschnitten, wenn ein derangierter Look gerade in Mode ist.

Absichtlich zerfetzte Jeans. Foto © Rose Wagner

Absichtlich zerfetzte Jeans.
Foto © Rose Wagner

Die Bestrebung, soziale Unterschiede möglichst zu nivellieren – bekannt als das politische Projekt des schwedischen „Wohlfahrtsstaates“ – lässt sich an Initiativen wie „Mah-Jong“ nachvollziehen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Fast-Fashion-Kette H&M aus Schweden stammt. Wohlwollend könnte man sie als einen Versuch interpretieren, Modekonsum zu demokratisieren. Die Ausstellung thematisiert auch aktuelle Gegenbewegungen zur Wegwerfmentalität. In den Straßen Stockholms kann man sich davon überzeugen, wie sehr Vintage-Läden en vogue sind.

Ausstellungskatalog: Berit Eldvik: Power of Fashion. 300 Years of Clothing. Stockholm: Nordiska Museets Forlag 2010. ISBN 9789171085375.

Fotos: © Nordiska Museet, Mats Landin / Rose Wagner
Titelbild: Fassadenwerbung eines schwedischen Street-Style-Labels
Überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung vom 06.11.2012 auf Netzwerk Mode Textil