Buchbesprechung:
Givhan, Robin: The Battle of Versailles. The Night American Fashion Stumbled Into the Spotlight and Made History. New York, N.Y., Flatiron Books, 2015

Kann ein singuläres Ereignis den Verlauf der Modegeschichte entscheidend beeinflussen? Ja, behauptet die Modejournalistin Robin Givhan und verweist auf den 8. November 1973. An diesem Tag wurde im Theatersaal des Schlosses von Versailles die Vorherrschaft der französischen Mode gebrochen und die amerikanische schob sich mit einem Paukenschlag auf die Weltbühne.  Sie präsentierte sich als unverwechselbar und zeitgemäß. Die amerikanische Modeindustrie fungierte nicht mehr länger als Kopieranstalt für die französische Haute Couture. Die Amerikaner hatten endlich ihren eigenen Stil gefunden. So sieht es  Robin Givhan, die für ihre Modeberichterstattung in der Washington Post im Jahr 2006 mit dem Pulitzer-Preis geehrt wurde.

Ursprünglich als Benefizveranstaltung gedacht, um Geld für die Renovierung des Schlosses in Versailles zu sammeln, entwickelte sich eine Modenschau von fünf französischen Designern und fünf amerikanischen Gästen zu einem Ereignis, das – so Givhan – forever altered the course of fashion history.

Die Franzosen waren mit ihren Größten vertreten: Yves Saint Laurent, Hubert de Givenchy, Marc Bohan für das Haus Dior, Emanuel Ungaro und Pierre Cardin. Diese kings of fashion kleideten die reichsten und schönsten Frauen der Welt. Niemals zuvor hatten sie sich an einer gemeinsamen Veranstaltung beteiligt. Sie waren the ultimate fashion team of rivals, und zwischen ihren Präsentationen in Versailles gab es nichts Verbindendes, da sie sich nicht miteinander abstimmten.

Die amerikanischen Designer waren international kaum bekannt. Bill Blass stand für einen zurückhaltend eleganten Stil, Oscar de la Renta für luxuriöse Abendmode, Halston – eigentlich Roy Halston Frowick – hatte Kundinnen aus der Club-Szene und schuf Liza Minellis Kleid zur Oscar-Verleihung. Anne Klein entwarf Sportmode und hatte die Separates erfunden, eine Kombinationsmode für berufstätige Frauen. Hauptinspiration der farbenfrohen Mode von Stephen Burrows – als Schwarzer im Modebetrieb die absolute Ausnahme – waren disco, drugs, and sexual freedom.

Plakette für Stephen Burrows auf dem Fashion Walk of Fame.  Foto © Rose Wagner

Plakette für Stephen Burrows auf dem Fashion Walk of Fame in Manhattan, New York. Foto © Rose Wagner

Im Publikum in Versailles saß die Crème de la Crème des internationalen Jetsets, darunter: Fürstin Grazia Patrizia von Monaco, Herzogin von Windsor, Paloma Picasso und Andy Warhol. Das mehrstündige Spektakel war eine Mischung aus pompösem Hof-Zeremoniell und Broadway Musical, konventionellem Haute-Couture-Defilee und unkonventionell choreographierter Modenschau zum Sound zeitgenössischer Popmusik vom Band.

Der Abend war auch ein Wettstreit von Haute Couture gegen Ready-to-Wear, von Eleganz, Tradition und Handwerkskunst auf höchstem Niveau gegen Lässigkeit, sportlichen Chic und schnelle Fertigung. Die amerikanische Delegation konnte wegen Unterfinanzierung nicht aus dem Vollen schöpfen und war zu Improvisation und Gemeinsamkeit gezwungen. Liza Minelli studierte einen gemeinsamen Auftritt mit den Models ein. Dass am Ende die Amerikaner frenetisch gefeiert wurden, lag daran – so Givhan – dass sie im Einklang mit dem Zeitgeist waren. Ihr Auftritt brachte Mode und Populärkultur zusammen und spiegelte die Dynamik der Gegenwartsgesellschaft wider.

Obwohl in Frankreich noch die Nachwehen der Unruhen vom Mai 1968 zu spüren waren, schlug sich nichts davon in der Präsentation der Pariser Modehäuser nieder. Ihr Teil der Show war eine affirmation of the past; die Modeschöpfer zelebrierten continuity, not change; und über die französischen Mannequins sagt Givhan: The women were splendid hangers. But not much more.

Das war in der amerikanischen Gruppe anders; hier spielten die Models eine tragende Rolle. Von den 36 waren zehn farbig; dieser – auch für amerikanische Verhältnisse – ungewöhnlich hohe Anteil war der Tatsache geschuldet, dass die Rassenfrage in den USA die Schlagzeilen beherrschte. Zudem waren farbige Models zum bargain price zu bekommen.

Die Kleider, die die US-Designer in Versailles auf den Laufsteg schickten, zeichneten sich nicht durch ihre Raffinesse aus, sondern durch den spirit in which they were worn. Die Models tanzten, hüpften und hauchten den Kleidern Leben ein.

Der Erfolg von Versailles stärkte das Selbstwertgefühl der amerikanischen Designer. Sie waren zuvor in den USA bereits wirtschaftlich erfolgreich gewesen, doch nun wurden sie international als innovative, creative, and significant wahrgenommen. Heute ist die amerikanische Ready-to-Wear-Industrie ein 200-Milliarden-Dollar-Geschäft, und der amerikanische Stil – full of ease, sportiness, and fun – auf der ganzen Welt populär.

Alle fünf Designer wurden Anfang 2000 für ihre Verdienste um die amerikanische Mode mit einer Plakette auf dem Fashion Walk of Fame im Fashion District von Manhattan, New York, geehrt. Burrows ist der einzige heute noch Lebende der amerikanischen Delegation.

Plakette für Anne Klein auf dem Fashion Walk of Fame. Foto © Rose Wagner

Plakette für Anne Klein auf dem Fashion Walk of Fame.
Foto © Rose Wagner

Robin Givhan recherchierte jahrelang und führte stundenlange Gespräche mit Designern, Models, Choreographen, Strippenziehern und Finanziers. Der 8. November 1973 ist der absolute Kulminationspunkt ihrer Erzählung, doch sie skizziert auch die Vorgeschichte und die Nachwehen dieses Ereignisses und liefert im Ergebnis eine Kulturgeschichte des amerikanischen Modesystems der Zeit von 1945 bis zur Mitte der 1970er Jahre. Der Weg, den die amerikanische Mode seit Ende des Zweiten Weltkrieges genommen hat, wird kenntnisreich und mit aufschlussreichen Einzelheiten geschildert.

Noch in den 1960er Jahren begannen die meisten amerikanischen Designer ihre Karriere auf der untersten Sprosse der Leiter bei Textilherstellern als Kopisten französischer Mode. Sie lieferten die Vorlagen, damit die Mode von Balenciaga, Dior und anderen Größen in leicht abgewandelter Form schnell industriell umgesetzt werden konnte.

Plakette für Oscar de la Renta auf dem Fashion Walk of Fame.  Foto © Rose Wagner

Plakette für Oscar de la Renta auf dem Fashion Walk of Fame.
Foto © Rose Wagner

Lange hatte die amerikanische Modeindustrie nichts Neues und nichts Eigenes hervorgebracht. Invention didn´t happen in America, it happend in France, kommentiert Givhan. Doch um 1960 bahnte sich vor dem Hintergrund von Rassenunruhen und Protesten gegen den Vietnamkrieg ein Umdenken an. Die breite öffentliche Diskussion über Werte und die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels ließ keinen Bereich unberührt. Spezifisch amerikanische Qualitäten wie Sportlichkeit und Lässigkeit – gekoppelt mit Unkompliziertheit und Bequemlichkeit – sollten sich jetzt auch im Textilen niederschlagen. In Chicago machten Designer, die sich vom französischen Vorbild lösten, ihre ersten Schritte und fanden Produzenten und Händler für ihre Entwürfe. Zum Zeitpunkt des großen Spektakels in Versailles war eine spezifisch amerikanische Mode bereits voll entwickelt.

Alle wichtigen Akteure der amerikanischen Modeszene – und etliche auf französischer Seite – werden von Givhan detailliert beschrieben. Besonders aufschlussreich ist der Abschnitt über Eleanor Lambert, die Inhaberin einer Marketing-Agentur und Initiatorin des Spektakels von Versailles. Alle amerikanischen Designer, die daran teilnahmen, waren ihre Klienten. Lambert was in complete control of the American fashion industry urteilt Givhan. Lambert hatte die New York Fashion Week und den Council of Fashion Designers of America (CDFA) mit begründet. Wenn man bei Givhan liest, wie Modepolitik gemacht wird, wünscht man sich auch in Deutschland mehr Journalisten, die hinter die Kulissen blicken.

Dass die Bedeutung des einen singulären Ereignisses für die Modegeschichte tatsächlich so groß ist, wie Givhan annimmt, vermag ich nicht zu glauben. Der Buchtitel The Battle of Versailles ist reißerisch und garantiert Aufmerksamkeit. Der Untertitel The Night American Fashion Stumbled Into the Spotlight and Made History wirkt dagegen ironisch und relativierend. Eine Schlacht, zu der die Akteure stolpern… so ganz ernst ist es Givhan mit ihrer These vielleicht doch nicht.

Auf jeden Fall ist ihr Buch lesenswert. Wie sie Interessen analysiert, Strukturen und Verflechtungen offenlegt, Arbeitsbedingungen und Benachteiligungen im Modebetrieb schildert, ist außerordentlich informativ. Sie hat eine scharfe Zunge, und auch Absurdes und Skurriles entgehen ihr nicht. Stellenweise ist das Buch äußerst amüsant zu lesen, beispielsweise dort, wo sie Eitelkeiten und Spleens aufs Korn nimmt, gewürzt durch Zitate von Interviewten. So sprach der unerträglich selbstgefällige Halston von sich stets nur in der dritten Person: Halston is leaving. Manche Szenen im Buch sind geradezu filmreif.

Plakette für Halston auf dem Fashion Walk of Fame.  Foto © Rose Wagner

Plakette für Halston auf dem Fashion Walk of Fame.
Foto © Rose Wagner

Givhan – selbst Farbige – fragt sich, ob Versailles dazu beitrug, auf Dauer den Weg für schwarze Designer und Models – für mehr Diversität überhaupt – zu ebnen. Sie kommt zu dem Ergebnis: Versailles did not change the dominant standard of beauty. Doch Versailles brachte den Stein ins Rollen.

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