Ausstellung:
Teppich-Couture der Gegenwart
Berlin >16.02. – 06.03. 2016
Foyer im Stilwerk Berlin

Keiner hat fesselnder geschildert, wie sehr eine ansprechende visuelle Präsentation von Waren zum Kauf verlockt als Emile Zola in seinem Roman Paradies der Damen. Damals, im 19. Jahrhundert, war die entscheidende Bedeutung der Platzierung und Beleuchtung von Waren längst nicht jedem Händler bewusst; heute weiß das jedes Kind und natürlich auch jeder Teppichhändler. Diese wissen auch, dass Menschen ohne konkrete Verkaufsabsicht ungern einen Laden betreten, in dem Berge aufeinandergeschichteter Bodenbeläge lagern, deren Gewebestruktur, Musterung und Farbverlauf schlecht zu erkennen sind. Deshalb werden in vielen Geschäften die Prachtstücke hängend ‒ wie textiler Wandschmuck ‒ präsentiert, auf dass sie ihre Wirkung voll entfalten können.

Teppich, hängend dekoriert, bei Nyhues, Berlin, März 2016. Foto © Rose Wagner

Teppich, hängend dekoriert, bei Nyhues, Berlin, März 2016.
Foto © Rose Wagner

Der Teppichhändler Nyhues im Berliner Stilwerk mietet einmal im Jahr für einige Wochen das hallenartige Foyer des Design-Zentrums für eine besondere Platzierung seiner Waren. Die weite, hohe Eingangshalle des Stilwerks bietet sich geradezu an.

Foyer des Stilwerks. Foto © Rose Wagner

Foyer des Stilwerks. Foto © Rose Wagner

Teppiche sind ideal für die Strukturierung und Belebung eines Raumes. Jahrhundertelang dienten sie in Kirchen, Burgen und Palästen nicht nur als Schmuck und zeremonielles Beiwerk, sondern auch der Gliederung von Hallen und Sälen. Dass Bodenteppiche und Wandbehänge zusätzlich den Raumklang verbessern, ist ebenfalls seit Jahrhunderten bekannt, scheint jedoch heutzutage – etwa in der Gastronomie, wo der Lärm in textilfreien Räumlichkeiten ohrenbetäubend ist – in Vergessenheit geraten zu sein.

Jüngst waren acht großformatige Werke des Bochumer Designers Jan Kath aus seinen Kollektionen Artwork und Angels in der Eingangshalle des Stilwerks zu sehen. Beim Betreten der Halle fiel der Blick auf diagonal versetzte Standflächen, auf denen beidseitig Teppiche wie Tapisserien vertikal dekoriert waren. Die – nicht übermäßig zahlreichen – Besucher, die das Stilwerk durchstreiften, konnten die Teppiche betrachten und befühlen, ohne den Laden des Händlers betreten zu müssen.

Foyer des Stilwerks Berlin mit Teppich-Präsentation, März 2016. Foto © Rose Wagner

Foyer des Stilwerks Berlin mit Teppich-Präsentation, März 2016. Foto © Rose Wagner

Die Muster der Kollektion Artwork sind hoch abstrakt, nichts Figürliches ist zu entdecken. Das farbliche Spektrum umfasst alle Schattierungen des Regenbogens und reicht in seiner Intensität von warm und leuchtend bis zu matt und erschöpft. Partielle Verdichtungen aus kontrastierenden Farbpigmenten brechen monochrome Flächen auf.
Ein Teppich in kühlen Grautönen ruft die Vorstellung eines abgetretenen Zementbodens in einer alten Waschküche hervor, auf dem bei unprofessionellen Verschönerungsversuchen vereinzelt Tropfen bunter Farbe gekleckst wurden. Beim zweiten Hinschauen stellt sich die Assoziation eines stellenweise verpixelten Bildes ein, das seine klaren Konturen aufgrund eines Fehlers im Bearbeitungsvorgang verloren hat. Ob Jan Kaths einstige Nähe zur Techno-Bewegung untergründig in den Entwurf mithineingespielt hat?

Detail aus einem Teppich der Kollektion Artwork.  Foto © Rose Wagner

Detail aus einem Teppich der Kollektion Artwork.
Foto © Rose Wagner

Ein anderer Teppich in einem warmen Orangeton scheint Spuren von Zeit und Erodierung aufzuweisen. Die Kollektion Artwork spielt bewusst mit der Idee von Vergänglichkeit; sie schwingt im Zeitgeist mit, der Objekte liebt, die – scheinbar – Spuren von Gebrauch und gelebtem Leben aufweisen. Matthias Goerth von Nyhues spricht in diesem Zusammenhang von der Perfektion des Nicht-Perfekten.
Ein Teppich changiert in Beige-und Brauntönen, in die sich vereinzelt grüne und graue Stellen eingefressen zu haben scheinen. Diese Stellen erinnern an archaische Flechten und Moose – oder an Mottenfraß? Der Teppich wirkt gleichzeitig uralt und hochmodern. Der Künstler dieser Werke ist die Zeit, heißt es auf einer Beschriftung am Hallenboden.

Detail aus einem Teppich der Kollektion Artwork.  Foto © Rose Wagner

Detail aus einem Teppich der Kollektion Artwork.
Foto © Rose Wagner

Teppiche aus der Kollektion Angels weisen verschobene geometrische Muster auf, sie kommen einem vor wie alte, verbrauchte Prismen, die keiner Gesetzmäßigkeit mehr gehorchen wollen. Die Farben der Angels-Serie changieren in matten, gebrochenen Tönen, die einer zufälligen Lichtbrechung geschuldet scheinen.

Detail aus einem Teppich der Kollektion Angels.  Foto © Rose Wagner

Detail aus einem Teppich der Kollektion Angels.
Foto © Rose Wagner

Geknüpft wird in Katmandu mit tibetischer Hochland-Wolle, chinesischer Seide und Brennesselfaser. In Handarbeit werden Millimeter für Millimeter 300.000 Knoten pro Quadratmeter gesetzt. Die Gleichmäßigkeit und Dichte sind phänomenal. Nach der Vorlage des Designers arbeiten drei Knüpferinnen und Knüpfer an einem Teppich drei bis vier Monate. Das Ergebnis fasst Matthias Goerth mit den Worten zusammen: Gebrauchskunst für den Boden auf höchstem Niveau.

Die Teppiche von Jan Kath sind mit dem STEP-Zertifikat ausgezeichnet, das die Einhaltung von Fair-Trade-Standards garantiert.

Handgeknüpfte Teppiche sind Luxusgüter und teuer wie Haute-Couture-Kleider. Dass Teppiche von Jan Kath den Firmensitz von Ferragamo und Tiffany schmücken, verwundert nicht. Bill Clinton, Rupert Murdoch und orientalische Scheichs sollen zu den Kunden zählen – so berichtet das Handelsblatt.

Emile Zola beschreibt im Paradies der Damen, wie Kaufwünsche geweckt werden, aber auch, dass allein das bloße Betrachten schöner und kostbarer Güter Freude auslösen kann. Mit den aufwendig gefertigten Teppichen von Jan Kath ist es wie mit den Modellen der Haute Couture, wenige können sie sich leisten, aber die Originalität des Designs und die Handwerkskunst dürfen alle bewundern.

Titelbild: Detail aus einem Teppich der Kollektion Angels. Foto © Rose Wagner