Hannelore Schlaffer: Alle meine Kleider
Lesung und Gespräch
Literaturhaus Stuttgart
Stuttgart > 22.10.15, 20:00 Uhr

Es gab Zeiten, da war das Sichkleiden für sie Schöpfungsakt und intellektuelle Anstrengung. Hannelore Schlaffer war eine Galionsfigur des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), und die Mode war für sie ein Mittel der Kommunikation, mit dem politische Haltungen ausgedrückt werden konnten. Eine Unterwerfung unter das gängige Modeangebot wäre für sie dem Kniefall vor Konsumdiktat und Kapitalismus gleichgekommen, also wählte sie Rebellion und Überbietung. Das hieß: kürzeste Röcke, Hotpants, Plateau-Sohlen und Lackleder. Zur Zeit der Studentenbewegung hatte die Mode noch politische Relevanz, heute reagiert keiner mehr auf uns, sagt Hannelore Schlaffer. Sie klingt wehmütig.

Zur Lesung aus ihrem Buch Alle meine Kleider. Arbeit am Auftritt im Literaturhaus Stuttgart erscheint die Essayistin und ehemalige Professorin für Neuere deutsche Literatur in roter Bluse, silbernem Statement-Schmuck, schwarzer Hose und Stiefeletten. Ihr glänzendes schwarzes Haar ist schulterlang, das Make-Up prononciert, der Blick ernst. Ihr Selbstinszenierungsstil wirkt noch immer ungewöhnlich, doch hauptsächlich deshalb, weil die meisten Frauen ihres Alters sich modisch zurücknehmen. Hannelore Schlaffer ist 75 Jahre alt, und ihr Alter spielt für alles Weitere eine Rolle.

Mitte, Hannelore Schlaffer, links, Karen Ellwanger, rechts, Insa Wilke. Foto © Rose Wagner

Mitte, Hannelore Schlaffer, links, Karen Ellwanger,
rechts, Insa Wilke. Foto © Rose Wagner

Auf dem Podium saßen neben der Autorin noch Karen Ellwanger – Direktorin des Instituts für Materielle Kultur an der Universität Oldenburg – und die Moderatorin Insa Wilke. Ellwanger war manchmal sichtlich anderer Meinung als Schlaffer. Aus dieser Differenz hätte sich ein fruchtbares Streitgespräch über den Bedeutungswandel von Mode in der Gesellschaft und innerhalb einer individuellen Biografie ergeben können, doch dafür war das Format nicht das richtige. Die Lesung stand im Vordergrund, und so musste sich Ellwanger auf gelegentliche Anmerkungen beschränken.

Schlaffers Essay handelt davon, wie sie als junge Frau die Mode für sich entdeckte und zur Herstellung von Körperbildern nutzte, wie sie Stilvorschläge machte und zur Trendsetterin wurde und wie sie sich im Alter der Mode entfremdete und schließlich enttäuscht abwendete. Ihr Essay sei eine persönliche Bekenntnisschrift und keine Modegeschichte, sagt sie, dafür sei Barbara Vinken zuständig.

Hannelore Schlaffer hat erlebt, dass Schönheit und Erotik als etwas Diffamierendes und Provokantes empfunden wurden, und zwar nicht nur von Männern, die Frauen mit verstecktem Orientalismus zu modischer Mäßigung anhielten oder gar Schönheit mit Dummheit gleichsetzten. Auch die von Feministinnen propagierte Verachtung der Mode und ihr Aufruf zur Schlichtheit bei der Aufmachung seien letztlich nichts anderes als der männliche Orientalismus.

Als Studienreferendarin im bayrischen Schuldienst wurde Hannelore Schlaffer wegen zu kurzer, zu enger und zu bunter Kleidung und wegen ihrer langen Haare kritisiert und gemaßregelt. Durchaus zutreffend interpretierten die Vorgesetzten den Aufzug der Referendarin als Bekenntnis zu Selbstbestimmung – nicht nur modischer. Das war unerwünscht, denn die Schülerinnen sollten nicht infiziert werden. Doch die Schülerinnen ahmten ihre modische Lehrerin nach, was deren Selbstbewusstsein weiter stärkte. Lange Haare und kurze Röcke waren ein Signal des sich anbahnenden Generationenkonfliktes.

Schlaffer erinnert sich an ihre ersten Modeerfahrungen und an die Hutschachtel der Mutter, die so wichtig war, dass sie bei Bombenalarm mit in den Schutzraum genommen werden musste. Sie erzählt von knisternden Petticoats, schwingenden Röcken und Nylonstrümpfen, die zur Laufmaschenreparatur gebracht wurden. Im Zeitalter von Fast Fashion und Wegwerfmode à la Primark sind sorgsamer Umgang mit Kleidung, ihre Pflege und Instandhaltung nicht mehr selbstverständlich. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde ein Kleid vor dem Ausgehen sorgfältig gebügelt. Bei vielen modernen Materialien ist Bügeln nicht mehr nötig. Das Kleidungsstück wird einmal kurz geschüttelt und schon kann es übergestreift werden. Auf die Frage der Moderation, was aus diesem Befund folge, entgegnet Schlaffer: Es wird uninteressant. Liebe entsteht durch Arbeit.

Nach dem Shopping bei Primark und Urban Outfitters, Juli 2013. Foto © Rose Wagner

Nach dem Shopping bei Primark und Urban Outfitters,
Juli 2013. Foto © Rose Wagner

Mit den Jeans – heute das meist getragene Kleidungsstück von Frauen und Männern – sei etwas Hermaphroditisches in die Mode eingezogen, und Schlaffer fragte sich, ob dieses Kleidungsstück nicht möglicherweise sogar die Päderastie gefördert haben könnte? Jeans sind für Schlaffer so reizvoll wie Sichtbeton, sie beleidigten das Auge und hätten den Frauen den Sinn für feine und zarte Stoffe geraubt.

Junge Frau in Jeans, Juni 2015.  Foto © Rose Wagner

Junge Frau in Jeans, Juni 2015.
Foto © Rose Wagner

Mode spiele heute keine so bedeutsame Rolle mehr wie noch in den 1950er und 1960er Jahren, als sie das erste Mittel und die wichtigste Sprache der Frauen gewesen sei, um Persönlichkeit zu zeigen und Phantasie zu beweisen. Mit dem massenhaften Berufseintritt von Frauen ergaben sich für diese andere Möglichkeiten der Selbstdarstellung.

Das Buch von Hannelore Schlaffer ist eines über Altern und Verlust. Das letzte Kapitel heißt Out und enthält Unterkapitel mit Überschriften wie Die Randfigur und Das Schreckgespenst. Schlaffer sieht einen deutlichen Unterschied im Alterungsprozess von Männern und Frauen, der sich auch in der Kleidung ausdrücke. Ein siebzigjähriger Aufsichtsrat könne den gleichen Anzug tragen wie ein vierzigjähriger Geschäftsführer, denn die Garderobe der Männer werde von ihrem sozialen und ökonomischen Status bestimmt. Die Garderobe der Frauen sei dagegen abhängig von der erotischen Attraktivität und damit vom Alter. Alles was reizvoll sein könnte, wird gekappt: die Haare werden geschnitten, die Absätze niedriger, der Ausschnitt kleiner, die Beine bedeckt.

Ältere Frau in typischer Farbgebung.  Foto © Rose Wagner

Ältere Frau in typischer Farbgebung.
Foto © Rose Wagner

Weder versteht Hannelore Schlaffer die heutige Mode noch gefällt sie ihr. Es habe eine Revolution von unten gegeben, und die ästhetischen Vorlieben der Unterschicht bestimmten weitgehend das Angebot. Mode werde hauptsächlich für Mädchen und junge Frauen gemacht, und die Preisgestaltung orientiere sich am verfügbaren Einkommen dieser Zielgruppe, entsprechend niedrig seien Qualität und Finesse der Waren. Von Damen-Mode kann im Ernst nicht mehr die Rede sein, mit schönen Kleidern, die den reifen Frauenkörper dezent verpackten, bedauert Schlaffer.

Im Laufe des Abends bezeichnete sie sich einmal als hochbetagt. Kokett klang das nicht, sondern traurig. Die Mode und das Memento mori gehörten für eine Frau ihres Alters untrennbar zusammen. Doch wie sie mit ihrem langen glänzenden Haar, gewandet in Rot und Schwarz auf dem Podium des Literaturhauses Stuttgart sitzt, wirkt sie immer noch wie eine Trendsetterin. Eine ältere zwar, aber eine, die weiterhin Körperbilder entwirft und Stilvorschläge macht. Das ist tröstlich.

 

Hannelore Schlaffer: Alle meine Kleider. Arbeit am Auftritt. Zu Klampen Verlag, Springe, 2015.

Buch-Cover

Buch-Cover