Buchbesprechung

Keine Gegenkultur hatte einen größeren und länger anhaltenden Einfluss auf die Mode als der Punk. Auf der Straße ist er weiter präsent, und aus der Couture ist er nicht mehr wegzudenken. Das Metropolitan Museum of Art in New York zeigte im Jahr 2013 eine Ausstellung zu seiner Ästhetik und seinem Einfluss. Der musealisierte Punk war ein Publikumsrenner.Die Genese des amerikanischen und des britischen Punk – New York 1974 bzw. London 1975 – verlief unterschiedlich. Nur der britische entwickelte eine folgenreiche ästhetische Energie, die sich aus spezifischen sozio-politischen Umständen speiste. Großbritannien war in den späten 1970er Jahren ein Land in Unruhe. Ökonomische Krise, hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie weithin empfundene Perspektivlosigkeit – „No Future“ lautete ein Punk-Slogan – bildeten den Hintergrund der neuen Jugendbewegung.

Punk in London, ca. 1975-1978. Foto © Metropolitan Museum of Art

Punk in London, ca. 1975-1978. Foto © Metropolitan Museum of Art

Bestimmend für den Punk-Stil waren Provokation, Do-it-Yourself (DIY) und Dekonstruktion, wozu bewusstes Zerstören sowie das Zusammenfügen von Nicht-Zusammengehörendem zählen. Die Verwendung von Ausschuss war typisch. Aus Sich der Zeitschrift „Der Spiegel“ war die Müllkippe der Herrenausstatter des Punk. Punk-Mode war schrill,  aggressiv und dreckig. Was ist davon geblieben? Kann ein Stil, der sich als Anti-Establishment-Outfit geriert, überhaupt auf Dauer seinen ursprünglichen Drive behalten? Wird er durch gegenläufige Adaption nicht zwangsläufig ausgetrieben?

Der Katalog zur Ausstellung zeigt, dass die Couture bis heute von der ästhetischen Energie des Punk profitiert. Etliche Designer griffen seine Ideen geradezu begeistert auf. Man kann den Eindruck bekommen, dass der Punk geradezu eine Frischzellenkur für die Couture war. Die Zähmung und Veredlung der einstigen Straßenmode schlug wiederum auf diese zurück. Was wir heute in der Öffentlichkeit sehen, ist – verglichen mit seinen Anfängen – domestizierter Punk.

Berlin Alexanderplatz, 2013. Foto © Rose Wagner

Berlin Alexanderplatz, 2013. Foto © Rose Wagner

Berlin Alexanderplatz, 2013. Foto © Rose Wagner

Berlin Alexanderplatz, 2013. Foto © Rose Wagner

Der Ausstellungskatalog wird eingeleitet mit Beiträgen des Kurators Andrew Bolton, der Punk-Musiker Richard Hell und John Lydon (alias Johnny Rotten von den „Sex Pistols“) und des Popmusik-Journalisten Jon Savage.

Die Hardware des Punk – Nieten, Sicherheitsnadeln, Vorhängeschlösser etc. – hat sich am schnellsten durchgesetzt. Sie findet sich bereits seit den späten 1970er Jahren in Kollektionen und ersetzt traditionelle Zier wie Perlen, Pailletten und Federn. So unterschiedliche Couturiers wie Gianni Versace, Jean Paul Gaultier und Karl Lagerfeld bedienen sich ihrer. Die im frühen Punk praktizierte Umfunktionierung von Müllsäcken zu Kleidung inspirierte Franco Moschino, Alexander McQueen und John Galliano. Ihre Kreationen lassen sich sowohl als Parodie des Punk als auch der Couture interpretieren. Ein Beispiel dafür liefert auch Martin Margiela, der im Katalog mit einer Weste aus verdrahteten Prozellanscherben vertreten ist.

In den skulpturalen Modellen von Rei Kawakubo und Yohgi Yamanoto meint Bolton die für den Punk typischen Dekonstruktionen wiederzuerkennen, die traditionelle Vorstellungen von Harmonie beiseite fegten. Kawakubu führte auch die großlöchrigen Mohair-Pullover des Punk in die Couture ein. Sie wurden als „Schweizer-Käse-Pullover“ bekannt.

Ein ganzes Kapitel ist dem Einfluss von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood gewidmet, deren Londoner Boutique der Kristallisationspunkt der Szene war. Der Punk-Stil wurde von ihnen um Bondage-Elemente, Fallschirmgurte sowie großlöcherige Mohair-Pullover bereichert. Ihre T-Shirts – darunter solche mit pädophilen Motiven und Hakenkreuzen – waren stilbildend. McLaren und Westwood trugen entscheidend zur Kommerzialisierung des Punk bei. Um 1979 setzte sich auch im Punk der Straße ein homogener Stil durch, der maßgeblich von ihnen geprägt war. Es mutet skurril an, dass sich ihre Produkte ausgerechnet in einer Szene gut verkauften, deren artikuliertes Grundprinzip das Do-it-Yourself war.

Der schwere Katalog ist ausgesprochen unhandlich. Die Fotos sind lediglich mit rudimentären Angaben versehen. Ohne den kundigen Beitrag von Andrew Bolton würde man bei etlichen Modellen rätseln, was sie mit Punk zu tun haben. Der Index am Ende ist beeindruckend: kaum ein Designer von Rang fehlt.

Seit fast vierzig Jahren inspiriert der Punk Couture-Designer. Ist nicht die Zeit für etwas Neues gekommen?

Bolton, Andrew (Hg.): Punk: Chaos to Couture. Ausst. Kat. Metropolitan Museum of Art New York. New Haven u. London, Yale Univ. Press, 2013. 238 S., 200 überw. farb. Abb. ISBN 978 0 300 19185 1.

Titelbild: Schaufensterdekoration am Kurfürstendamm in Berlin. Foto © Rose Wagner