Buchbesprechung

Tragen Sie Polohemden mit hochgestelltem Kragen? Eine Perlenkette? Achten Sie darauf, dass Ihre Strümpfe keine Laufmaschen haben? Dann sind Sie spießig, denn Sie folgen einer Norm, die nicht mehr gilt. Tragen Sie Push-up-BHs, „Protz-Uhren“ und Gürtel mit Designer-Logo? Dann sind Sie prollig. Rucksäcke, bunte Strumpfhosen und Trekking-Sandalen mit Klettverschluss sind ebenfalls „modische No-Gos“ und absolut tabu. Wenn Sie eine nonchalante Note in Ihre Garderobe bringen wollen, wie sie heute von der modebewussten Frau erwartet wird, dann ist „Der Berliner Stil“ von Angelika Taschen das Richtige für Sie.

Buchcover mit Angelika Taschen.  Foto © Knesebeck

Buchcover mit Angelika Taschen.
Foto © Knesebeck

Für die ehemalige Verlegerin, die seit einigen Jahren im Trend-Viertel Prenzlauer Berg lebt, ist Berlin die Hauptstadt des Anti-Chic, und ihr Stilführer singt das hohe Lied einer konformen urbanen Lässigkeit. Zarte Maxikleider werden mit einer Prise „Hells Angels“ aufgepeppt: schwarze Biker-Jacke und derbe Boots. Zur Jogginghose – natürlich aus Kaschmir – sind High Heels am besten, der Angora-Pullover sollte mit einer „extra auf kaputt“ gemachten Jeans kombiniert werden und Mützen müssen aussehen, als seien sie selbstgestrickt. Bloß nichts Passendes! Bloß nichts Ordentliches!

Parka, Jeans, Blazer, Strickpullover und Lederjacke sind für die stilbewusste Berlinerin, wie Angelika Taschen sie sieht, unverzichtbare Basics. Es dürfen jedoch nicht irgendwelche Teile sein, denn „Codes, klar definierte Symbole und Details“ entscheiden, was geht und was nicht geht. Es sollte schon der Original US Army Shell Parka M51 sein oder einer von der Bundeswehr. Für die Röhrenjeans empfiehlt Angelika Taschen das Label Acne und für den Blazer – auf keinen Fall ein Doppelreiher! – aus feinem grauen oder dunkelblauen Wolltuch „Comme des Garçons“.

Designer-Taschen müssen Vintage sein, und die „Louis-Vuitton-Tasche darf um Himmels willen nicht brandneu sein“, denn dann verliert sie ihre Bedeutung als Statussymbol des trendigen Berlin-Milieus. Jutebeutel gehören zur textilen Grundausstattung, am besten solche „von kulturaffinen Events oder Geschäften“, denn sie lassen die lässige Berlinerin noch lässiger erscheinen. Richtig cool wird das Outfit mit den richtigen Schuhen. Kopfsteinpflaster ist kein Grund, auf Stiletto-Absätze zu verzichten, die Boots sollten aussehen, „als hätte man darin gerade zwei Tage auf einem Festival getanzt“, und die High Heels werden selbstverständlich barfuß getragen, „auf keinen Fall hautfarbene Strümpfe anziehen“. Ugg Boots sind im Mode-Diktat von Angelika Taschen nur zum Yoga oder als Hausschuhe zugelassen.

D. Roski und J. Binneboese, Inhaberinnen eines Concept Store in Mitte.

D. Roski und J. Binneboese, Inhaberinnen eines Concept Store in Mitte. Foto © Sandra Semburg / Knesebeck

Tatsächlich gibt es in Berlin diese schlanken jungen Frauen, die der Inbegriff des lässigen, unverkrampften Chic sind, der so unaufwendig aussieht und doch das Ergebnis stundenlanger Arbeit ist. Aber ist das wirklich der Berliner Stil oder bloß der Stil des trendigen Milieus in Berlin-Mitte, der Torstraße und des Käthe-Kollwitz-Platzes? Wen es auf die Seestraße in Wedding verschlägt, die Wilmersdorfer in Charlottenburg, auf den Kurfürstendamm oder die Karl-Marx-Allee in Neukölln, wird ebenfalls einen Berliner Stil erleben, aber jeweils einen anderen. Und in Wilmersdorf sieht man ältere Damen mit Perlenkette, die keineswegs spießig wirken, sondern elegant lässig. Vielleicht sind diejenigen, die sich dem Diktat der Nonkonformität entziehen, die wirklichen Unangepassten?

Dame in Wilmersdorf.  Foto © Rose Wagner

Dame in Wilmersdorf.
Foto © Rose Wagner

Was Berlin ausmacht, ist seine Vielfalt, dazu gehört nicht nur das Down-Dressing und die weitverbreitete ästhetische Nachlässigkeit, sondern es gibt auch noch den Individualismus, der darin besteht, nicht jedem Trend hinterher zu laufen.

Junge Frauen am Alexanderplatz.  Foto © Rose Wagner

Junge Frauen am Alexanderplatz.
Foto © Rose Wagner

Der Stilratgeber von Angelika Taschen – in Zusammenarbeit mit der Modebloggerin Alexa von Heyden entstanden – lebt von den Bildern, auf denen das Klischee der neuen Stillosigkeit hübsch in Szene gesetzt wird. Wenn man es nicht zu ernst nimmt, macht das Buch trotz seiner verengten Sicht und dem so lässig daher kommenden Mode-Diktat durchaus Spaß. Neben den modischen Tipps enthält es Adressen von ungewöhnlichen Lokalen, versteckten Läden und Berliner Designern. Manches wurde so noch nicht zusammengetragen, und selbst die Berlinerin kann noch etliches Neue entdecken.

Das Buch wirkt wie eine Nachahmung des erfolgreichen Stilratgebers „La Parisienne“ von Inès de la Fressange. Guter Stil wäre es gewesen, das auch einzuräumen. Dass sich gleich nach dem Entfernen der Plastikverschweißung der Einband des Buches ablöste, deutet auf eine gewisse buchbinderische Nachlässigkeit hin. Auch wenn das Buch inhaltlich von der großen Lässigkeit handelt, sollte es beim Buchdruck sorgfältiger zugehen.

Taschen, Angelika, mit Alexa von Heyden: Der Berliner Stil. Die besten Looks, Geheimtipps und Adressen.
Knesebeck Verlag, München, 2013. 240 S., ca. 300 farb. Abb.

Titelbild: Floristin in Charlottenburg. Foto © Rose Wagner
Das Foto des Buchcovers sowie das Foto von Sandra Semburg hat freundlicherweise der Knesebeck-Verlag zur Verfügung gestellt.