Tassenmuseum Hendrikje
Herengracht 573
1017 CD Amsterdam
Es war eine zierliche Tasche aus Schildpatt mit Einlegearbeiten aus Perlmutt und dekorativer Schließe aus Silber, die vor dreißig Jahren bei der Antiquitätenhändlerin Hendrikje Ivo eine Leidenschaft für das Sammeln von Taschen auslöste.
Sie fand das Prachtstück zufällig in der englischen Provinz in einem abgelegenen Antiquitätengeschäft , das Silber und allerlei alten Zierrat verkauft. Hendrikje Ivos Begeisterung für schöne, alte Taschen führte schließlich nach vielen Jahren und Wendungen zum einzigen Spezialmuseum seiner Art in Europa. Mit rund 5000 Handtaschen, Beuteln, Geldbörsen, Schulranzen und Koffern verfügt das private Taschenmuseum in Amsterdam über die weltweit größte Sammlung dieser Accessoires.
Das Museum liegt mitten in Amsterdam, in der Nähe des Rembrandtplein. Es ist in einem stilvoll renovierten Grachtenhaus aus dem 17. Jahrhundert untergebracht, das ein Wohltäter – er möchte unbekannt bleiben – für die Nutzung als Museum zur Verfügung stellte.
Sigrid Ivo – Tochter der Gründerin – ist die Direktorin und Konservatorin des Museums. Ich kenne niemanden, der so kenntnisreich und begeistert über Taschen sprechen kann, wie sie. Wir treffen uns im Museumscafé mit Blick auf den Barockgarten, und Sigrid Ivo erzählt Anekdotisches und Verbürgtes über die Taschen, die ihr besonders am Herzen liegen.
Die Gebrauchsgeschichte der Tasche reicht weit zurück. In früheren Zeiten enthielt die Kleidung keine Innentaschen, um Geld und anderes Unentbehrliches unterzubringen, und deshalb transportierten Männer wie Frauen persönliche Kleinigkeiten in separaten Behältnissen. Für Männer entfiel mit dem Aufkommen von Gewandtaschen im 16. Jahrhundert weitgehend die Notwendigkeit separater Taschen für die Unterbringung ihrer persönlichen Kleinigkeiten. Sie benötigten jedoch Jagdtaschen, Tabakbeutel und Aktentaschen.
In historischen Sammlungen überwiegen die Frauentaschen; auch im Taschenmuseum Hendrikje ist das so. Das älteste Stück des Hauses ist aber eine typische Männertasche. Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert, ist aus Ziegenleder und wurde am Gürtel getragen. Unter dem schlichten Metallbügel ist eine Reihe weiterer Bügel befestigt, hinter denen sich insgesamt 18 Geheimfächer verbergen. Darin brachte ein Kaufmann unterschiedliche Währungen unter, vermutet Sigrid Ivo.
Ihr beruflicher Weg führte nicht geradewegs zur Tasche, davor lagen Hauswirtschaftsstudium, Tätigkeit in einem Unternehmen für Haushaltsbedarf sowie die Gründung eines Marketingbüros. Als sich abzeichnete, dass sie eine tragende Rolle in der Taschensammlung ihrer Mutter übernehmen würde, absolvierte sie ein Studium der Kunstgeschichte.
„Ich sammle nicht so sehr Taschen, als vielmehr die Informationen hinter der Tasche“, sagt Sigrid Ivo. „Wenn in einem Buch etwas über Taschen steht, kaufe ich es“. Sie hat eine umfangreiche Spezialbibliothek zusammengetragen, die sie in ein noch zu gründendes Forschungszentrum für Accessoires einbringen möchte. „Das ist mein Traum“. In diesem Institut soll auch zum Thema Schmuck geforscht werden. Viele historische Taschen sind mit silbernen Schließen, Perlen und Edelsteinen verziert. Von der langen und engen Beziehung zwischen Taschen und Schmuck zeugen im Museum Hendrikje Produkte bekannter Juweliere wie Van Cleef & Arpels, Boucheron und Lacloche Frères.
„Unsere schönsten und ältesten Stücke sind ohne Label“, sagt Sigrid Ivo. Erst seit den 1920er Jahren werden die Schöpfer von Taschen explizit erwähnt; ein allgemeines Bewusstsein für Marken entwickelte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1990er Jahren avancierten Accessoires zu den wichtigsten Produkten der großen Modehäuser. Die Couture war nicht mehr einträglich genug. Während früher Taschenmodelle jahrzehntelang unverändert blieben, unterliegen sie heute einem schnellen Wechsel.
Unter den Taschen, die es den Ivos besonders angetan haben, befindet sich kein aktuelles Modell, und alle sind – gemessen an den heute üblichen Großformaten – erstaunlich klein und zierlich.
Hendrikje Ivos Lieblingstasche ist aus Schlangenleder mit einem Elfenbeindeckblatt, in das ein Motiv aus der christlichen Schöpfungsgeschichte geschnitzt ist: Eva pflückt im Paradiesgarten die verbotene Frucht vom Baum. Je nach Lesart lässt sich in diesem Motiv die Emanzipation oder die Verführbarkeit der Frau erkennen. Die Schlange, die große Verführerin im Paradies, bildet mit ihrer Haut die materielle Basis dieses kleinen Taschen-Kunstwerkes und fügt der ambivalenten Symbolik eine weitere Dimension hinzu. Die Ivos gaben der Tasche den Namen Unartige Eva.
Der leichthändige Witz des Täschleins erschließt sich erst im Bezug zum abendländischen Kulturraum und seiner christlichen Tradition. Bei Führungen von Schulklassen durch die Ausstellung wird deutlich, dass nicht mehr alle Jugendlichen damit vertraut sind.
So vielschichtig symbolisch wie die Unartige Eva ist die nächste Tasche nicht. Dafür steht der perlenbesetzte Geldbeutel mit dem Bild einer Giraffe für ein historisch verbürgtes Ereignis, das im Jahr 1827 in Europa eine Modewelle auslöste.
Der ägyptische Vizekönig hatte dem französischen König eine junge Giraffe namens Zarafa geschenkt. Nach ihrer Ankunft per Schiff in Marseille zog sie in einer Karawane von Tierpflegern und Kühen – für die Milchversorgung der Giraffe – sechs Wochen über Land, bis sie im Juni 1827 in Paris eintraf. Von nah und fern strömten die Menschen herbei, um das Spektakel zu erleben. Es wurde populär, die Haare á la girafe hochzutürmen und die Krawatte á la girafe zu binden. Giraffenmotive fanden sich auf Stoffen, Porzellan und Accessoires. Der Perlenbeutel mit dem Bild Zarafas ist typisch für die Andenkenindustrie, die sich im 19. Jahrhundert entwickelte.
Während der perlenbestickte Giraffen-Geldbeutel an Folklore denken lässt, wirkt eine Unterarmtasche aus dem Jahr 1935 – ebenfalls als Erinnerungsstück gedacht – trotz leicht schrägen Einschlags noch immer elegant. Die Tasche ist nach dem Ozeandampfer „Normandie“ benannt und bildet dessen Form nach. Allen Passagieren der ersten Klasse wurde im Mai 1935 anlässlich der Jungfernfahrt des Luxusschiffes von Le Havre nach New York ein solches Modell überreicht.
Der glänzende Metallrahmen der Tasche „Normandie“ ist mit drei Schließen versehen, welche die Schornsteine symbolisieren. Die ungewöhnliche Form der Tasche und der Verschlüsse lässt an Elsa Schiaparelli denken und ihre unkonventionellen Accessoires, darunter einen Hut in der Form eines Schuhes.
Während sich die erste Klasse auf der „Normandie“ vergnügte und selbst ihre mitreisenden Haustiere komfortabel untergebracht wurden, befanden sich im Unterdeck Hunderte von Passagieren auf dem Weg in die Emigration.
Unterarmtaschen waren seit den späten 1920er Jahre der letzte Schrei, wie viele Modezeichnungen aus dieser Zeit belegen. Die „Frauen in Reiseensembles“ mit der Unterarmtasche in geometrischer Linienführung auf der Zeichnung von Marie Louise – genannt Jeanne – Mammen könnte man sich gut auf einem Luxusdampfer vorstellen.
Die persönliche Lieblingstasche Sigrid Ivos stammt ebenfalls aus den 1930er Jahren und ist auch eine Unterarmtasche. Sie ist aus Aluminium, mit Kunststoff beschichtet und von gerader, klarer Form, wie viele Taschen dieser Periode.
Die Erfindung von Kunststoff hatte die Taschenherstellung revolutioniert und der Verwendung des teuren und umstrittenen Schildpatts ein Ende gesetzt. Anfänglich wurden mit Kunststoff noch Schildpatt und Elfenbein imitiert. Um 1930 wurde es jedoch modern, sich offensiv zum Kunststoff zu bekennen. Dafür ist diese Tasche ein schönes Beispiel.
Privat trägt Sigrid Ivo nur Taschen aufstrebender, junger Designer, die sich noch einen Namen machen müssen. Das Taschenmuseum stellt in Abständen von zwei, drei Monaten die Modelle von Nachwuchstalenten aus, oft auch im Rahmen von Verkaufsausstellungen.
Im Frühjahr 2017 wird sich das Museum in einer Ausstellung der Männertasche widmen. „Es gibt noch viele Geschichten über Taschen zu erzählen“, sagt Sigrid Ivo zum Abschied.
Titelfoto: Tasche aus Schildpatt, eingelegt mit Perlmutt, Deutschland, 1810-1820. Foto © Taschenmuseum Hendrikje Amsterdam / LODB-Ivo