Eine der letzten modischen Glaubensbastionen, wonach zu einem Anzug Lederschuhe gehören, ist gefallen. Lange wurde sie gehalten. Doch was hat in der Mode schon Bestand für die Ewigkeit?

Die Grenzen dessen, was akzeptabel ist, verschieben sich beim Schuhwerk so schnell, dass man gar nicht verwundert wäre, wenn demnächst Papst Franziskus in der Peterskirche das Hochamt feierlich in weißen Sneakers zelebrierte, lugen doch schon seit Jahren unter den Messgewändern einiger Priester Turnschuhe hervor. Es scheint, als ob es für den Laufschuh kein Halten mehr gibt, und die Frage lautet nicht mehr, ob er zu einem bestimmten Outfit erlaubt ist, sondern welche Tabus es überhaupt noch gibt.

Vom Verschwinden des Hutes und dem Erscheinen des Sneakers

Dass heute so viele Männer Sneakers als ihre Vorzugs-Fußbekleidung wählen, markiert einen Kulturwandel, der dem Verschwinden des Hutes vergleichbar ist. Kein Mann wäre in den 1960er Jahren auf die Idee gekommen, ohne diese Kopfbedeckung auf die Straße zu gehen. Doch dann kamen Kennedy mit seinem erotischen dichten Haarschopf, den er nicht mit einem Hut verdecken wollte, die Rockmusik und das Auto. Ein Mann mit Hut am Steuer eines DKW sah einfach lächerlich aus. Die „Achtundsechziger“ mit ihren Kapuzen am Parka machten dem Hut endgültig den Garaus. Adenauers Pepitahut wurde zum Inbegriff der Spießigkeit und des Alters. Je wichtiger die Frisur des Mannes wurde, desto weniger Chancen hatte der Hut.

Parallel zum Verschwinden des Hutes setzten sich in den 1970er Jahren Jeans als gesellschaftsfähige Kleidung für beide Geschlechter durch, befördert durch einen Trend zu Formlosigkeit und Bequemlichkeit, den man bedauern mag, der aber bis heute ungebrochen anhält.

Die Modegeschichte der Jeans, die sich aus ärmlichen Verhältnissen bis in Designer-Kollektionen hochgearbeitet haben, wiederholt sich bei den Sneakers. Auch ihr Hintergrund ist bescheiden. Langsam, aber stetig gingen sie ihren Weg aus der Sport- in die Jugendmode. Viele Jugendliche besitzen gar kein anderes Schuhwerk mehr.

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Turnschuhträger in der Berliner S-Bahn,
Juli 2014. Foto © Rose Wagner

Die praktischen Vorteile des Sneakers, sein Tragekomfort, die Bequemlichkeit und Pflegeleichtigkeit, machen ihn auch für ältere Menschen akzeptabel. An den Füßen von Städtetouristen sieht man kaum noch andere Schuhe.

Ältere Touristen in Turnschuhen, Rothenburg ob der Tauber,  Juni 2014. Foto © Rose Wagner

Touristen in Turnschuhen, Rothenburg ob der Tauber,
Juni 2014. Foto © Rose Wagner

Noch vor zwanzig Jahren hätte sich das in Europa kaum jemand vorstellen können.

 

Die Transformation des Sneakers zum Regelschuh

Als Joschka Fischer im Jahr 1985 bei seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister mit weißen Nike-Sneakers antrat, erregte er noch Aufsehen, weil ein Nachhall von Straßenkampf-Attitüde durch das Parlament wehte. Dabei trug er die Turnschuhe zu einer Kombination – Tweed-Sakko und Jeans – und war damit kleidungsmäßig schon halb auf dem Weg ins Establishment. Außerdem wurde sein Aufzug als symbolisch für neue alternative Verkehrsformen verstanden und nicht als nachahmenswertes Fashion Statement für Politiker.

Ihre Straßenkampf- und Hip-Hop-Konnotation haben Sneakers längst verloren.

Berlin, Juni 2014.  Foto © Rose Wagner

Berlin, Juni 2014.
Foto © Rose Wagner

Heute stehen sie für Behendigkeit, Frische und Lässigkeit. Das macht sie bürotauglich.

Berlin, Juni 2014.  Foto © Rose Wagner

Berlin, Juni 2014.
Foto © Rose Wagner

In den Achtzigern wäre kein Hip-Hop-Star ohne Sneakers auf die Bühne gestiegen, und obwohl sich manche, wie Kanye West oder Jay Z, neuerdings in Anzüge werfen, ohne ihre Sneakers gehen sie noch immer nicht aus dem Haus.

Im aufblühenden Silicon Valley setzten sich in den 1980ern Turnschuhe als Regel-Schuhwerk durch, und Steve Jobs kündigte die großen Apple-Kampagnen und -Neuheiten in New Balance Sneakers an. Mark Zuckerberg wurde noch nie ohne Sneakers gesehen, er leistet sich sogar den Luxus von Normcore-Ausführungen, während jeder andere IT-Mensch – zu beobachten im „Oberholz“ in Berlin-Mitte – peinlich genau darauf bedacht ist, mindestens in Converse, Nikes oder New Balance zu steigen. Sneakers gehören zur Regelkleidung bestimmter Berufsgruppen.

Doch trotz seiner bemerkenswerten Karriere und allgemeinen Akzeptanz wurde der Sneaker bis vor kurzem noch nicht zum Anzug getragen. Ausnahmen wie Cherno Jobatey, der zwanzig Jahre lang das ZDF-Frühstücksfernsehen in Anzug und Turnschuhen moderierte, wurden als modische Extravaganz eines einzelnen Prominenten abgetan. Doch als der Designer Hedi Slimane im Jahr 2004 seine männlichen Models für die neue Kollektion von Dior Homme in Sneakers zu betont schmal geschnittenen Anzughosen auf den Laufsteg schickte, deutete sich die Kulturwende an.

Friseur Eric. Anzug von Joop, Weste von Boss, Turnschuhe von Adidas. Foto © Rose Wagner

Stilberater Eric G. mit Anzug von Joop, Weste von Boss, Turnschuhen von Adidas.
Foto © Rose Wagner

Mittlerweile scheren sich immer weniger Männer um die alte Stil-Regel, wonach zum Anzug Lederschuhe gehören, und kombinieren ihn unbekümmert mit Sneakers. Gefördert wird das durch TV-Serien wie „Suits“, in denen ein cooler Anwalt in Turnschuhen zum seriösen Anzug auftritt.

Werbeplakat für die Fernsehserie „Suits“. Foto © Rose Wagner

Werbeplakat für die Fernsehserie „Suits“.
Foto © Rose Wagner

Im Büroalltag wird längst nicht mehr als spleenig betrachtet, wer zum Anzug Turnschuhe trägt – außer vielleicht bei der Deutschen Bank oder der Herrenmode-Abteilung des Kaufhauses Oberpollinger in München.

Durch seine Kombination mit den Laufschuhen verändert auch der Anzug sein Image. In der neuen Zusammenstellung gewinnt er den Anschein ultimativer Coolness. Das machen sich Hersteller von hochwertiger Herrenmode zunutze, die in ihren Werbeanzeigen Anzüge mit Symbolen von Jugend und Lässigkeit wie T-Shirts und Sneakers zusammenbringen.

Davon profitieren beide, der Anzug und der Sneaker. Die Herrenmode ist seit einiger Zeit der neue kommerzielle Hoffnungsträger der Modeindustrie, und das hat sie nicht zuletzt solchen unkonventionellen Zusammenstellungen zu verdanken.

Wilvorst Cool Classics kombiniert mit Turnschuhen.  Foto © Wilvorst

Smoking von Wilvorst kombiniert mit Turnschuhen.
Foto © Wilvorst

Sneakers finden sich neuerdings in vielen Designer-Sortimenten. Das Maison Martin Margiela bietet Hightops für 665 Euro an, und das ist noch längst kein Spitzenpreis. Sneakers differenzieren sich immer stärker aus. Das bietet reichlich Distinktions-Potential, erfolgsversprechende neue Geschäftsfelder für Modehäuser und für Männer eine bunte modische Spielwiese.

Titelbild: Stilberater Eric G. mit Sneakers. Foto © Rose Wagner