Nie zuvor sahen Frauen, die vierzig, fünfzig, sechzig Jahre oder noch älter sind, besser und gesünder aus als heute, und nie zuvor waren sie so aktiv. Die meisten wissen, was zu ihnen passt. Schnelllebigen Mode-Zyklen wollen sie sich nicht mehr unterwerfen, und Fast Fashion à la Primark, H&M oder Zara ist nicht ihre Sache. Sie suchen hochwertige Kleidung, in der sie weder bemüht jugendlich noch wie Matronen wirken, aus deren Leben Sinnlichkeit und Extravaganz verschwunden sind. Doch diese Altersgruppe findet nicht so leicht etwas Apartes, das gut sitzt und bezahlbar ist. 

Seit einiger Zeit bildet sich ein neuer Typ von textilen Produktionsstätten heraus, in dem kleinserielle Produktion und Individualisierung in Einklang gebracht werden. Diese Betriebe knüpfen an die Tradition der Manufaktur an, die entwicklungsgeschichtlich zwischen dem mittelalterlichen Handwerk und der Fabrik der Industriellen Revolution steht. Im heutigen Verständnis zeichnen sie sich durch beson-ders hohe Qualitätsstandards aus.

Im Februar 2014 eröffnete in Berlin die „Kleidsam-Design-Manufaktur“ von Florentine Krieß (http://www.florentinekriess.de/). Hier können die Kundinnen aus einer Musterkollektion ein Modell wählen, das ihren Maßen und Vorstellungen entsprechend abgewandelt wird, damit es als ein Lieblingsstück in ihre Garderobe integriert werden kann.

Florentine Krieß (Mitte) bei der Eröffnung

Florentine Krieß (Mitte) bei der Eröffnung

In der Krieß-Kollektion herrschen klare Linien vor. Eine gerade geschnittene Hose aus fließendem Stoff mit breiten cremefarbenen und dunkelblauen Längsstreifen erinnert an die lässige Eleganz von Katherine Hepburn. Manchmal bemerkt man erst beim zweiten Blick die Raffinesse eines Schnitts oder eine ungewöhnliche Applikation.

Am Anfang einer Einzelanfertigung steht die Stoffwahl. Dabei spielen nicht nur ästhetische Erwägungen eine Rolle, denn die Eigenschaften eines Gewebes bestimmen auch Sitz und Fall eines Kleidungsstücks. Florentine Krieß hält edle Stoffe von Berliner Designern vor, beispielsweise von Anett Röstel (http://www.anett-roestel.de/) , die Gewebe aus Naturmaterial so nachbehandelt, dass die Oberflächen ungewöhnliche Strukturen aufweisen.

Teile der Musterkollektion

Teile der Musterkollektion

Auch handgewebte Stoffe werden in der Manufaktur verarbeitet. „Das ist ungewöhnlich. Die meisten Schneiderinnen haben Angst vor Handgewebtem“ kommentierte eine Besucherin, die zur Eröffnung in einem Mantel aus handgewebter, ungefärbter Schafswolle aus Haslach erschien, der nach ihren Wünschen gefertigt worden ist. Die Kundinnen können auch eigene Stoffe mitbringen oder sich von Florentine Krieß beim Stoffkauf begleiten und beraten lassen.

Kundin Christine Groß in einem Mantel aus ungefärbter, handgewebter Schafswolle aus Haslach.

Kundin Christine Groß in einem Mantel aus ungefärbter, handgewebter Schafswolle aus Haslach

Details der Verarbeitung

Details der Verarbeitung

 

Mit zunehmendem Alter wird die Passform immer wichtiger. Konfektionierte Kleidung sitzt oft nicht gut. Das kann an schlechtem Zuschnitt liegen oder daran, dass mit der heißen Nadel genäht wurde. Die normierten Konfektionsgrößen gehen zudem von einer generalisierten Standardfigur aus, die nicht mit der körperlichen Realität vieler Frauen übereinstimmt. In großen Bekleidungshäusern stehen deshalb Schneiderinnen abrufbereit, um mit Maßband, Stecknadeln und Kreide die Konfektionsware für die Kundin passgenau abzustecken und zu ändern. Das kostet extra.

Die Schnittherstellung ist die hohe Kunst der Schneiderei. Die ausgebildete Schneiderin und Bekleidungstechnikerin Florentine Krieß arbeitete als Schnitt-Directrice für die Berliner Designer Peter O. Mahler und Evelin Brandt. Und warum hat sie sich selbstständig gemacht? „Ich habe so viele Ideen und Lust darauf, sie selbst umzusetzen“, sagt sie bei der Eröffnung ihrer Manufaktur.

Knopfkuchen zur Eröffnung

Knopfkuchen zur Eröffnung

Alles lässt sich gut an. Ein Wermutstropfen ist jedoch die Schwierigkeit, geschickte, selbstständig arbeitende Näherinnen zu finden. Mit diesem Problem haben viele Designerinnen zu kämpfen. In einem Land, in dem einst das Handwerk einen „goldenen Boden“ hatte, muss sich noch einiges ändern, damit Textil-Manufakturen in jeder Hinsicht erfolgreich sein können.

Aber selbstbewusste Kundinnen und Textil-Manufakturen können dazu beitragen, das textile Handwerk zu erhalten und zu fördern – und zu ihrer eigenen Freude den einstmals „goldenen Boden“ wieder zum Glänzen zu bringen.

Anschrift: „Kleidsam-Design-Manufaktur“, Thielallee 34, 14195 Berlin

Fotos © Rose Wagner
Titelfoto: Sicht von außen auf die Eröffnungsfeier. Foto © Florentine Krieß
 Dank für Anregungen an Christine G.