„Zwei Leben für die Fotografie – Lillian Bassman und Paul Himmel“
Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig  > 21.11.2012 – 03.03.2013

 Unter Experten gelten Lillian Bassman (1917-2012) und ihr Ehemann Paul Himmel (1904-2009) als bedeutende Fotokünstler des 20. Jahrhunderts, von Bassman heißt es gar, sie habe die Modefotografie revolutioniert. Ihre produktivste Zeit lag zwischen Ende der 1940er und Anfang der 1960er Jahre. Die meisten Fotos, die in der Ausstellung hängen, wurden in New York aufgenommen. Sie spiegeln einen Zeitgeist wider, wie er in der US-Fernsehserie „Mad Men“ zum Ausdruck kommt.

Touch of Dew

Touch of Dew

Viele von Bassmans Arbeiten erschienen im Modemagazin „Harper´s Bazaar“, so auch ihre Serien mit Dessous. Fotos mit Mannequins, die Büstenhalter, Korsagen und Hüftgürtel trugen, waren zu jener Zeit keineswegs selbstverständlich. Werbeanzeigen wurden meist noch gezeichnet, um prüde Kundinnen nicht zu verschrecken. Wurden Modelle fotografiert, so ähnelten die Aufnahmen nicht selten Bildern aus Arzneimittelkatalogen, auf denen stabil gebaute Frauen in Korsetts gezwängt waren, die orthopädischen Funktionen zu dienen schienen. Die Gesichter der Modelle durften zudem nicht erkennbar sein.

Diese Vorgabe musste auch Lillian Bassman einhalten, doch sie wendete sie ins Kreative. Ihre Fotografien mit schlanken, biegsamen Frauen im Halbprofil oder verdecktem Gesicht wirken intim und atmosphärisch dicht. Die Frauen scheinen sich in ihrem Körper wohlzufühlen und die eigene Sinnlichkeit zu genießen. Erstmals umwehte die Wäschefotografie ein Hauch von Glamour. Die Leipziger Ausstellung zeigt etliche Dessous-Fotos Bassmans.

Auf ihren Modefotografien dominieren Frauen mit Schwanenhälsen, im Halbprofil und in betonten Posen, die jedoch nicht steif wirken. Die Kleider sind feminin und strukturiert, Hüte obligatorisch. Auf diesen Bildern geht es nicht um Detailinformationen, sondern um Linien, um das Schwingen von Stoffen und darum, wie ein Kleid effektvoll getragen wird.

“Barbara Mullen”, New York ca. 1958, Re-Interpretation 1994

Bassman inszeniert Stimmungen und Träume. Man meint, das Lebensgefühl dieser Frauen, die sich ihrer Wirkung sicher zu sein scheinen, spüren zu können. Ihre Erotik ist sublim. Mit ihrer gesellschaftlichen Rolle scheinen sie sich arrangiert zu haben.

New York 1956

New York 1956

Bassman liefert ein Frauenbild, dem sie selbst nicht entspricht. Bereits im Alter von 15 Jahren zog sie mit Paul Himmel zusammen. Eine Zeitlang verdiente sie ihr Geld als Aktmodell, bis sie als Designerin und Fotografin reüssierte. Die 1960er Jahre waren nicht mehr nach ihrem Geschmack. Die formlose, oft kindhafte Mode sagte ihr nicht zu. Der neue Typ von Models lag ihr auch nicht, wie sie in einem Interview bekannte. „Sie führten sich auf wie Superstars. Ich mochte sie nicht. Sie erteilten Anweisungen, anstatt den Vorgaben der Fotografen zu folgen“ (New York Times, 17.06.2009). Lillian Bassman zog sich aus der Werbefotografie zurück. In den 1990er Jahren entschied sie sich jedoch für eine digitale Wiederaufbereitung vieler ihrer früheren Aufnahmen. Bei einem beträchtlichen Teil der Fotos, die in der Ausstellung zu sehen sind, handelt es sich um solche Re-Interpretationen.

Der ästhetische Reiz ihrer Fotografien liegt in den gezielten Aussparungen und dem Einsatz von Unschärfe. Sie manipulierte die Negative in der Dunkelkammer und entfernte alles, was ihr überflüssig erschien und vom Wesentlichen ablenkte. In Deutschland gab es diese Art verwischter Modefotografie in den 1950er Jahren noch nicht.

Die Leipziger Ausstellung widmet sich auch Paul Himmel. Das Paar lebte fast 77 Jahre zusammen. Himmel begann mit Modefotografie, experimentierte mit Aufnahmen, die Bewegungen einfingen – zum Beispiel von Tänzern –, und konzentrierte sich dann auf Dokumentar- und Architekturfotografie. Vielen gilt er als der technisch innovativere Fotograf. Doch seine Frau war erfolgreicher. Im Jahr 1969 hängte er die Fotografie an den Nagel, studierte Sozialarbeit und betätigte sich als psychotherapeutischer Berater.

Es bleibt unverständlich, warum die beiden Fotografen in Vergessenheit gerieten, warum Bassman nur noch Eingeweihten ein Begriff ist. Möglicherweise liegt das auch daran, dass die Zeitschrift „Harper´s Bazaar“ kein Archiv unterhielt. Bei der konkurrierenden „Vogue“ aus dem Condé Nast Verlag wurde alles gesammelt und dokumentiert. Als Condé Nast seine Archive öffnete und in der Ausstellung „Zeitlos schön“ im „C/O Berlin“ Modefotografien aus 100 Jahren zeigte, waren keine Bilder von Bassman darunter.

Die Ausstellung wurde von den Hamburger Deichtorhallen übernommen, wo sie im Jahr 2009 unter dem Titel „Lillian Bassman & Paul Himmel – Die erste Retrospektive“ lief. Das Grassimuseum, das in einem spektakulären Art-déco-Komplex residiert, und der Industriebau der Deichtorhallen in Hamburg könnten architektonisch kaum unterschiedlicher sein. Schon deshalb musste die Konzeption der Leipziger Ausstellung eine andere sein. Es werden weniger Exponate gezeigt – 260 statt 400 –, sie werden in neue Beziehung zueinander gesetzt und anders inszeniert. Die Modebilder Lillian Bassmans dominieren.

Wünschenswert wäre eine Einordnung in größere kulturelle und foto-historische Zusammenhänge gewesen. Der Vertreter der Kulturstiftung des Landes Sachsen – wichtigster finanzieller Förderer der Ausstellung –, Manuel Frey, ging immerhin in seinen Grußworten zur Eröffnung auf die bedeutende Fotografie-Tradition Leipzigs ein. Die – vermutlich – erste Berufsfotografin der Welt, Bertha Wehnert-Beckmann (1815-1901), unterhielt hier ein Atelier. Im Jahr 1913 wurde in der Stadt der weltweit erste Lehrstuhl für künstlerische Fotografie eingerichtet. Leipzigs Museen besitzen reiche fotografische Sammlungen, und seit 2007 findet jährlich ein Fotofestival statt.

Aus gegebenem Anlass wurde der Katalog der Hamburger Ausstellung neu aufgelegt.

Taubhorn, Ingo, und Brigitte Woischnik: Lillian Bassman & Paul Himmel. Die erste Retrospektive. Heidelberg, Kehrer, 2012.

 

Fotos © Lillian Bassman / Grassimuseum / Deichtorhallen
Titelbild: Blick in die Ausstellung. Foto © Rose Wagner
Text © Rose Wagner
Überarb. Fassung der Erstveröffentlichung vom 10.12.2012 in Netzwerk Mode Textil