„Glanz und Grauen. Mode im ‘Dritten Reich’“
LVR-Industriemuseum Ratingen  > 09.03.2012 – 27.01.2013

Die Mode der nationalsozialistischen Zeit wird heute meist mit  „Braunhemd“ und Dirndl assoziiert. Die Propaganda des NS-Regimes und auch Privatfotos, die nicht selten ebenfalls inszeniert sind, nähren diesen Eindruck. Spielfilme vermitteln bis heute ein ganz bestimmtes, relativ homogenes Bild der Mode der NS-Zeit.

Titelbild der parteiamtlichen Frauenzeitschrift
“NS-Frauen-Warte” 1938.
Foto © LVR-Industriemuseum

Eine Sonderausstellung im Industriemuseum Ratingen – in der Nähe von Düsseldorf – stellt diese Stereotype in Frage. Sie zeigt, wie die Ideologie des Nationalsozialismus Mode und Kleidung prägte, aber auch, dass trotz parteipolitischer Vorgaben und Kontrollen Freiräume bestanden. Ein besonderes Anliegen der Ausstellungsmacher ist die Darstellung der staatlichen Lenkung der Wirtschaft am Beispiel der Textilindustrie.

Im Rahmen eines von der Volkswagenstiftung finanzierten Forschungsprojektes – „Soziokulturelle Untersuchungen zur Bekleidungsgeschichte der 1930er/40er Jahre“ – wurden zum einen die Mechanismen der Steuerung untersucht und des weiteren erkundet, welche Konsummuster sich herausbildeten und wie sie sich während der Kriegsjahre veränderten. Das Team unter Leitung von Claudia Gottfried befragte Zeitzeugen zu Kleidungsgepflogenheiten in der NS-Zeit und analysierte textile Objekte. Die Sonderausstellung ist das erste sichtbare Ergebnis des Projekts.

Am Nachlass einer Schneiderin, die von den 1920er Jahren bis weit in die Nachkriegszeit tätig war, ließen sich diejenigen Veränderungen nachvollziehen, die durch politische Vorgaben oder wirtschaftliche Einschränkungen impliziert wurden.

Alltagskleidung aus Nachlass einer Schneiderin. Foto © LVR-Industriemuseum

Alltagskleidung aus Nachlass einer Schneiderin. Foto © LVR-Industriemuseum

Eine weitere wichtige Quelle war ein Konvolut von datierten und ausgepreisten Originalstoffen aus der NS-Zeit, die ein Konfektionär vor Zugriffen bewahrt hatte. Daraus konnten interessante Erkenntnisse über zeittypische Stoffqualitäten sowie die zunehmende Qualitätsminderung durch Beimischungen synthetischer Fasern während der Kriegsjahre gewonnen werden.

Auspreisung für Herrenhosen.
Foto © LVR-Industriemuseum

Für das NS- Regime ging es nicht vorrangig um die Schaffung neuer Modelinien, sondern primär um die Kontrolle über den Textilsektor und die Regulierung des Konsums. Neben dem zivilen musste auch der militärische sowie der paramilitärische Bekleidungsbedarf gedeckt werden. Die Textilindustrie war in hohem Maße vom Rohstoffimport abhängig und devisenintensiv. Der Textilhandel wurde zentral gesteuert und die Textilindustrie ab 1934 „arisiert“. Bereits Ende August 1939, also wenige Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurden viele Güter des täglichen Bedarfs streng rationiert, ab November 1939 konnten fast alle Textilien, selbst Nähgarn, nur noch mit der “Reichskleiderkarte” erworben werden.

Vierte Reichskleiderkarte, gültig vom 01.01.1943
bis zum 30.06.1944
Foto © LVR-Industriemuseum

In der Ausstellung sind überwiegend Exponate aus der Sammlung des Industriemuseums sowie Leihgaben aus der Bevölkerung zu sehen. Der Schwerpunkt liegt auf der Kleidung der „Volksgenossen“, die automatisch die „Volksgemeinschaft“ bildeten und die durch ihre Kleidung als zugehörig erkennbar waren. Mode und Kleidung wurde, wie in allen totalitären Gesellschaften, eine gleichmacherische Funktion zugeschrieben. Doch auch im „Dritten Reich“ funktionierte das nicht auf allen Ebenen. Insbesondere die Partei-Elite und ihre Frauen genossen vielfältige Kleider-Privilegien, wozu auch die Nutzung von Objekten aus unrechtmäßigen Beschlagnahmungen gehörte.

Raubgut – Pelze, Dessous, Schuhe Foto © LVR-Industriemuseum

Raubgut – Pelze, Dessous, Schuhe
Foto © LVR-Industriemuseum

Eleganter Damenwintermantel mit Pelzpelerine, Unterarmtasche und NSDAP-Parteiabzeichen, 1940er Jahre. Foto © LVR-Industriemuseum

Eleganter Damenwintermantel mit Pelzpelerine, Unterarmtasche und NSDAP-Parteiabzeichen, 1940er Jahre. Foto © LVR-Industriemuseum

Die Ausgegrenzten und Verfolgten werden in der Ausstellung durch einen gelben „Judenstern“ gekennzeichnet. Die Kleidung der in Konzentrations- und Vernichtungslager Deportierten wurden für die Rüstungsindustrie recycelt oder über Kleiderkammern an Ausgebombte verteilt.

Zwar war man mit Kleidung schon immer sorgsam umgegangen. Während der NS-Zeit wurde die Praxis der Weiterverwendung jedoch instrumentalisiert und ideologisch aufgeladen. Resteverwertung galt nun als „Dienst an der Volksgemeinschaft“.

Glanz und Grauen

Notkleid mit Volants.
Foto © Rose Wagner

Das wird in der Ausstellung an einem halben Dutzend „Notkleidern“ demonstriert, die aus zweierlei Stoff gefertigt sind. Darunter befindet sich eines, das die Vorgabe der Kampagne „Aus zwei mach eins“ zu befolgen scheint, wodurch sich die Trägerin als gute Volksgenossin präsentieren wollte. Bei genauer Analyse von Schnitttechnik und Material stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei diesem Modell keineswegs um eine Resteverwertung handelt. Zudem wurde äußerst verschwenderisch mit dem Stoff umgegangen. So sind beispielsweise die aufgesetzten Volants in einem Stück kreisförmig aus einer Stoffbahn geschnitten.

Entgegen dem Klischee von der “Deutschen Frau und Mutter” orientierten sich die Frauen in der NS-Zeit durchaus an der internationalen Mode. Dirndl waren auf Süddeutschland beschränkt und wurden meist nur in der Ferienzeit angelegt. Trachtenkleidung war im Reichsgebiet kaum verbreitet, Städterinnen hatten dergleichen ohnehin nicht im Kleiderschrank. Das Regime erwartete jedoch, dass Frauen bei Aufmärschen in derartiger Gewandung erschienen. Deshalb statteten manche Unternehmen ihre weiblichen Beschäftigten mit Phantasiekostümen aus, die modisch Trachtenbekleidung ähnelten. Eine solche aus disparaten Stilen und Stoffen kombinierte folkloristische Hülle ist in der Ausstellung zu bestaunen.

Phantasiemodell (li) und Trachtenkleidung (re)
Foto © LVR-Industriemuseum

Das offizielle nationalsozialistische Modeverständnis war widersprüchlich. Agrarromantische Vorstellung und Bauernkult fanden sich zeitgleich neben technischer Raffinesse und Glamour, den populäre Filmschauspielerinnen und Frauen von NS-Größen zelebrierten. Jene trugen Abendkleider, die schräg geschnitten waren, was einen fließenden Fall des Stoffes ermöglichte. Die Schnitttechnik war komplex und der Materialverbrauch hoch, da die doppelte Stoffbreite benötigt wurde. Vermutlich auch deshalb verschwand der Schrägschnitt gegen Ende der 1930er Jahre fast völlig.

Elegante Abendkleider im Schrägschnitt, frühe 1930er Jahre. Foto © LVR-Industriemuseum

Zudem änderte sich der Modestil. Nach einer kurzen romantischen Phase, die Anleihen bei der Formensprache des 19. Jahrhunderts machte und Inspirationen aus Filmen wie „Vom Winde verweht“ aufnahm, wurden Anfang der 1940er Jahre strenge Kostüme modern, die in Material und Farbe an Uniformen erinnerten.

Kostüm und Ausgehuniform.
Foto © Rose Wagner

Sie waren praktisch und vielseitig kombinierbar und passten sich den Anforderungen der Kriegszeit an. Krieg ist auch an der Heimatfront eine extreme Ausnahmesituation, und mit seinen immer spürbareren Folgen des Mangels an Essentiellem wurde Modisches zur Marginalie.

Dann, durch den „Alliierten Befehl Nr. 1“ vom August 1945, wurde der ohnehin große Textilmangel nochmals verschärft. Nationalsozialistische Symbole mussten umgehend entfernt und Uniformen des NS-Regimesdurften nicht mehr getragen werden. Hakenkreuzfahnen wurden aufgetrennt und fanden als Kinderkleidung und Schürzen Verwendung.

Mit bunten Glassteinen entnazifiziertes Koppel der Hitlerjugend, 1946. Foto © LVR-Industriemuseum

Mit bunten Glassteinen entnazifiziertes Koppel der Hitlerjugend, 1946. Foto © LVR-Industriemuseum

Der Publikumsandrang ist ungewöhnlich groß. Das Thema hat offenbar einen ganz besonderen Nerv getroffen. In den Ausstellungsräumen herrscht ein konstantes Gemurmel, das Museum wird zum Kommunikationsraum.

Begleitbroschüre:
„Glanz und Grauen. Mode im ‘Dritten Reich’“. LVR-Industriemuseum Ratingen (Hg.), Ratingen 2012.

Text: © Rose Wagner
 Fotos: © LVR-Industriemuseum und Rose Wagner
Titelbild: Teil des Ausstellungsplakates. Foto © Rose Wagner
Überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung vom 17.10.2012 in Netzwerk Mode Textil