„Normal People“, TV-Miniserie, 2020

Die TV-Serie „Normal People“ ist kein ‘Modefilm’ im üblichen Sinn. Man sieht Mainstream-Klamotten, Second-Hand-Kleider, etwas Vintage, aber nichts Aufwendiges oder Luxuriöses. Normalität, Realismus und Greifbarkeit machen die Besonderheit dieser Filmkostüme aus. Bereits kurz nach der Erstausstrahlung der Serie boten Online-Verkaufsplattformen „Normal People“-Mode an. Fast-Fashion-Varianten der Filmkostüme wurden Verkaufsschlager.

„Normal People“ war der Streaming-Hit während des Corona-Lockdowns im Frühjahr und Sommer 2020 im Vereinigten Königreich und in Irland (https://www.youtube.com/watch?v=4p5yY0qdsWg). Die Mini-Serie – zwölf Episoden à 30 Minuten – wurde im Auftrag der BBC produziert, die mit Hulu, einem amerikanischen Video-on-Demand-Anbieter, kooperierte. Ende April 2020 ging sie zeitgleich bei der BBC, dem irischen Fernsehkanal RTÉ One und bei Hulu online. Seit Ende August 2020 ist sie auch bei Amazon Prime Video abrufbar.

Die Serie „Normal People“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Sally Rooney aus dem Jahr 2018. Sie nutzt virtuos alle Möglichkeiten des audio-visuellen Mediums. Obgleich sie weitgehend der Linie des Buches folgt, ist ihr ‘Ton’ ein völlig anderer, und das liegt nicht nur am Soundtrack, der an die Spotify Playlists melancholischer Zwanzigjähriger erinnert (https://open.spotify.com/playlist/3FM3w94EU9pfql7ccPwCQm). Während der Romantext knapp und spröde ist – ein Kritiker sprach sogar von narkotisierend –, wirkt die Filmfassung warm und träumerisch. Daran haben Kamera, Licht, Sound und Kostüme ihren Anteil – und nicht zuletzt die Hauptdarsteller Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal.

Marianne Sheridan (Daisy Edgar-Jones) und Connell Waldron (Paul Mescal) in Schuluniform. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Die Geschichte spielt zwischen 2011 und 2015 in einer fiktiven Kleinstadt im Nordwesten Irlands sowie im urbanen Dublin an der Ostküste. Im Mittelpunkt stehen die Irrungen und Wirrungen der Liebesbeziehung von Marianne Sheridan und Connell Waldron. Ihre Verbindung zieht sich mit Unterbrechungen vom letzten Schuljahr bis zum Abschluss des Studiums hin. Sie wird durch Missverständnisse, psychische Probleme und einen krassen Unterschied im sozioökonomischen Status belastet.

Die Kleidung der Filmfiguren bringt Aspekte ihres Selbstbilds und ihrer emotionalen Befindlichkeit zum Ausdruck, die auf andere Weise nicht so augenfällig vermittelt werden könnten. Für den textilen Look ist die renommierte irische Kostümbildnerin Lorna Marie Mugan verantwortlich. In Interviews hebt sie hervor, dass es ihr bei „Normal People“ vor allem um Wirklichkeitsnähe ging. Die Kostüme sollten den Figuren und ihrer Entwicklung angemessen und wahrhaftig sein.

Marianne und Connell.
Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Die meisten Kleidungsstücke für die TV-Serie wurden in Textilgeschäften gekauft, wie sie in jeder irischen Fußgängerzone zu finden sind – etwa Topshop, H&M, Zara, & other Stories – oder bei preisgünstigen Online-Shops wie ASOS. Die Vintage-Stücke, die Mariannes Stil im ersten Studienjahr bestimmen, stöberte Mugans Team in Second-Hand-Läden, Sozialkaufhäusern oder bei Ebay auf. Die Garderobe der Filmfiguren spiegelt die Konsumgewohnheiten und Stilvorlieben junger Leute wider. Sie könnte ihrem Kleiderschrank entnommen sein.

Marianne mit Seidenbluse aus den 1930er-Jahren. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Die Filmkostüme lassen auch Rückschlüsse auf die Klassenzugehörigkeit der Protagonisten zu. Kleidung und Geschmacksvorlieben, so der Soziologe Pierre Bourdieu, sind Indikatoren für die soziale Klasse und das akkumulierte „kulturelle Kapital“. Zwischen der ästhetischen Bildung eines Menschen und dem Zugang zu ökonomischem Kapital besteht – nach Bourdieu – ein direkter Zusammenhang.

Connells Standard-Outfit. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Connell bevorzugt außerhalb der Schule – wo Uniformen Pflicht sind – Jogginghosen mit Seitenstreifen, kragenlose Henley-Shirts, Trainingsjacken und Turnschuhe.

Connell im Henley-Shirt. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Junge Männer seiner sozialen Schicht – Connells Mutter ist Putzfrau bei den Sheridans – kleiden sich so. An der Uni, an der er sich fremd und sozial isoliert fühlt, ändert er seinen Stil kaum. Er klammert sich an das Vertraute. Erst als er ein Stipendium bekommt und in einer neuen Beziehung ist, schafft er sich eine Lederjacke an.

Connell mit neuer Lederjacke im letzten Studienjahr. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

In Chinos, Polohemd und Lederslipper, wie sie bei den mode- und statusbewussten Studenten in Mariannes Umfeld populär sind, wird man Connell nie sehen – und das ist nicht nur eine Frage des Geldes.

Connells Gegenspieler Jamie (Fionn O’Shea) in Chinos und Polohemd. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Connell trägt eine Silberkette, die er nie ablegt. Sie – mehr noch als sein sonstiges Outfit – kennzeichnet ihn in den Augen seiner privilegierteren Kommilitonen als Angehörigen der Unterschicht. Sie finden das Schmuckstück geschmacklos und gewöhnlich.

Connell und seine Kette. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Während die Marianne in Rooneys Prosatext auch abstoßende Züge zeigt, sich manchmal ungeschickt kleidet und nicht immer ein Blickfang ist, stellt sich das in der TV-Serie anders dar. Hier ist Marianne sehr hübsch und stilsicher.

Als einzige an ihrem Gymnasium wählt sie die Schuluniform mit langem Rock, blickdichter Strumpfhose und flachen Schuhen; ihre Haare flicht sie zum Zopf. Selbst in Uniform demonstriert sie Individualität. Die Klassenkameradinnen tragen die Schuluniform mit kurzem Rock, die langen Haare offen und gefällig gefönt.

Die Klassenkameradinnen. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Außerhalb der Schule bevorzugt Marianne einen lässigen Retro-Stil, etwa Latzhose und Pullover in Netz-Optik, eine spannungsreiche Zusammenstellung von Arbeits- und Partylook. So würden sich ihre Klassenkameradinnen nie anziehen. Sie tragen das, was Textilketten wie H&M oder Topshop gerade anpreisen.

Marianne zuhause. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Mariannes Singularität erweist sich auch beim Klassentreffen. Sie erscheint in Vintage-Tüllbluse über einem Trägerkleid aus Leder, die Kameradinnen zwängen sich in hautenge Lurex-Kleider und sehen aus wie eine H&M-Reklame mit Party-Outfits für die Festsaison.

Klassentreffen in Lurex. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

An der Uni fühlt sich Marianne in ihrem Element. Sie bildet den Mittelpunkt eines elitären Kreises von Studenten, die sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen müssen. Im ersten Studienjahr kultiviert sie einen nonchalanten Bohème-Stil mit Culottes und Seidenblusen aus den 1930er-Jahren und entwickelt eine Vorliebe für auffälligen Modeschmuck.

In den Ferien, die sie in der familieneigenen Villa in Italien verbringt, sieht man sie in zarten Baumwollkleidern aus den 1960er-Jahren, die ihre Grazilität betonen und die Leichtigkeit des italienischen Sommers ausstrahlen.

Vintage-Sommerkleid mit Lochstickerei. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Im letzten Studienjahr changiert ihr Outfit zwischen Hippie-Chic und College-Look. Zum langen, wildgemusterten Rock trägt sie einen Kurzmantel aus Tweed und Doc-Martens-Boots. Dann wieder sieht man sie in bequemer, aber edler Bundfaltenhose, kombiniert mit einer uralten H&M-Cordjacke, die aus der Grabbelkiste bei Humana stammen könnte. Ihr Leben verläuft jetzt in ruhigen Bahnen. Auffälligen Schmuck sieht man nicht mehr an ihr.

College-Look auf dem Campus. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Marianne scheint jede neue Lebensphase mit Anleihen aus einer bestimmten Epoche der Modegeschichte des 20. Jahrhunderts abzustecken. Wenn sich auch ihre modischen Vorlieben im Laufe der Zeit ändern, so bekundet sie doch stets ihre Unabhängigkeit von aktuellen Trends. Ein unangestrengter, fast beiläufiger Stilmix ist typisch für sie.

Stilmix. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Die Irin Sally Rooney (*1991) hat bislang zwei Romane veröffentlicht, beide sind im angelsächsischen Raum Bestseller. Rooney gilt als „Star der Millennial-Literatur“ („Spiegel“), der Rummel um sie ist groß. Dass die BBC einen Roman bereits so kurz nach seinem Erscheinen verfilmt, ist ungewöhnlich. Mit TV-Serien wie „Normal People“ will sie das junge Publikum zurückgewinnen, das in großer Zahl zu kommerziellen Streaming-Anbietern abgewandert ist.

Schon vor dem Sendestart erschienen auf Youtube, Instagram und Pinterest Fotos und Geschichten über die Darsteller und die Filmkostüme. Auch die Print- und Online-Modepresse brachte Berichte (https://www.youtube.com/watch?v=8QPZ-qyIBr8). Schnell entwickelte sich ein mediales „Normal-People“-Universum.

Für den Erfolg eines Filmes spielt die Identifikation mit den Protagonisten eine wichtige Rolle. In der Medienwissenschaft nennt man dieses Phänomen parasoziale Interaktion. Zuschauer nehmen fiktive Figuren als reale Menschen wahr und gehen mit ihnen Kommunikationsbeziehungen ein. Sie leiden mit ihnen, möchten sein wie sie, sich kleiden wie sie. Bei „Normal People“ ist das besonders ausgeprägt, wie sich an Postings in den sozialen Medien ablesen lässt. Das liegt auch an der filmischen Umsetzung. Zwischen den Hauptdarstellern scheint es zu ‘knistern’. Die vielen Nahaufnahmen suggerieren eine intime Nähe zu den Figuren und wecken Emotionen.

Close-up von Marianne (Daisy Edgar Jones). Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Die Serienfigur des Connell Waldron transzendierte schon bald nach dem Start der Serie die Grenzen der Fiktionalität. Seiner Kette ist auf Instagram ein eigenes Profil gewidmet (https://www.instagram.com/connellschain/?hl=de), das mehr als 180.000 Abonnenten hat.

Auch Marianne Sheridan wirkt in die reale Welt hinein. Der britische „Guardian“ erklärte sie zum „first great millennial TV style icon“. Ihre Kleidung weckte Konsumwünsche. Mariannes Latzhose aus der ersten Episode – ein Modell von Topshop – war im Handumdrehen ausverkauft. Ihr schwarzes Second-Hand-Kleid aus der Italien-Episode – ein Unikat – veranlasste Textilunternehmen, umgehend etwas Ähnliches auf den Markt zu werfen (https://www.topshop.com/blog/2020/05/the-5-pieces-you-need-to-master-marianne-from-normal-peoples-wardrobe). Ihre weißen Turnschuhe wurden zum Must-have des Corona-Sommers.

Mariannes „Kleines Schwarzes“. Foto: © Element Pictures / Enda Bowe

Die Corona-bedingte Isolation zum Zeitpunkt der Veröffentlichung trug wesentlich zum Erfolg der TV-Serie bei. Der Lockdown bescherte Streaming-Diensten einen zusätzlichen Schub, das Online-Shopping nahm noch weiter zu. Es gab sonst nicht viel zu tun. Schulen, Universitäten, Kneipen, Kinos, Kaufhäuser und Sportstätten waren wochenlang geschlossen. Warum nicht mit einem Klick Mariannes Kleid, ihre Latzhose oder Connells Kette ordern? Von der Boulevardpresse bis zu Modezeitungen kamen Vorschläge, wo das bestellt werden könnte (https://www.thesun.co.uk/fabulous/11599128/marianne-outfits-normal-people/). „Buy now!“ lautete die Devise.

Dass Mariannes Vorliebe für Vintage und Second Hand in Fast-Fashion-Manier vermarktet wird, hat etwas Paradoxes. Diese Filmfigur zeichnet gerade ihre Unabhängigkeit von Modetrends aus. Erfreulich ist, dass es auch solche jungen Frauen gibt, die – beflügelt von Mariannes Vorbild – ihren Kleiderschrank durchforsten und Vorhandenes auf neue Weise zusammenstellen. Auf Youtube, Pinterest und Instagram finden sich dafür viele Beispiele (https://www.youtube.com/watch?v=_101sPlv_8I).

Übrigens: Im Roman von Sally Rooney spielt Kleidung kaum eine Rolle.

 

TV-Miniserie „Normal People“
Drehbuch: Sally Rooney, Alice Birch, Mark O’Rowe
Regie: Lenny Abrahamson, Hettie Macdonald
Kostüm: Lorna Marie Mugan
Produktion: Element Pictures
Erscheinungsdatum: 26. April 2020

Titelfoto: Marianne Sheridan (Daisy Edgar-Jones) und Connell Waldron (Paul Mescal). 
Foto: © Element Pictures / Enda Bowe