Ausstellung:
Gretchen mag’s mondän – Damenmode der 1930er Jahre
München >25. 09. 2015 – 29. 05. 2016
Münchner Stadtmuseum

Mode ist das Letzte, woran die meisten Menschen denken, wenn von den dreißiger Jahren die Rede ist. In Deutschland steht diese Dekade selten im Mittelpunkt von Modeausstellungen. Das Thema ist heikel, denn immer stellt sich die Frage, wie sehr das Politische das Ästhetische bestimmte.

Zuletzt beschäftigte sich im Jahr 2012 das LVR-Industriemuseum Ratingen unter dem Titel Glanz und Grauen – ´Mode im Dritten Reich´ mit dieser Zeit, explizit bezogen auf die zwölf Jahre unter dem Hakenkreuz. Das Münchner Stadtmuseum wagt sich jetzt ebenfalls und zeigt rund 130 Kleidungsstücke und 400 Accessoires – ausschließlich Damenmode – aus der Zeit zwischen 1929 bis 1940. Herrenmode wurde von vornherein nicht in Betracht gezogen, denn der deutsche Mann trug in dem 1930er Jahren idealerweise Uniform.

Isabella Belting, die Leiterin der Modeabteilung und Kuratorin der Ausstellung ist der Meinung: Museen haben die Pflicht, ihren Bestand der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da die dreißiger Jahre zu den dunkelsten unserer Geschichte gehörten, werden parallel zur Präsentation der Kleidung die politischen und ökonomischen Entwicklungen beschrieben.

Wie keine andere Stadt ist München mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus verbunden und hieß seit 1935 offiziell Hauptstadt der Bewegung. Die Reichshauptgeschäftsstelle der NSDAP – das Braune Haus – stand dort, wo sich heute das NS-Dokumentationszentrum befindet. Das Münchner Stadtmuseum steht an der Stelle, an der sich das Warenhaus Max Uhlfelder befand, das in der Progromnacht des 9. November 1938 von Nationalsozialisten in Brand gesteckt wurde, weil sein Besitzer Jude war.

In den 1930er Jahren existierte in München ein modebewusstes Großbürgertum, das in europäischen Modemetropolen einkaufte. Viele Münchnerinnen und ihre Nachfahren schenkten dem Museum Teile ihrer Garderobe, die sie über den Zweiten Weltkrieg und die Zerstörung der Stadt durch den Bombenhagel gerettet hatten. Die ausgestellten Stücke stammen aus lokalen Maßschneidereien und Trachtenhäusern, Berliner Modesalons, französischen Haute-Couture-Häusern und Luxusgeschäften in New York und London. Bekannte Modehäuser sind vertreten: Worth, Molyneu, Jean Patou, Chanel, Nina Ricci und Norman Hartnell; einziger Deutscher von überregionaler Bedeutung: Heinz Schulze-Bibernell, Berlin.

Kleid mit Jacke, Worth, um 1932/35.  Foto © Münchner Stadtmuseum

Kleid mit Jacke, Worth, um 1932/35.
Foto © Münchner Stadtmuseum

Das ganze modische Spektrum der an Widersprüchen reichen Dekade wird ausgebreitet: Romantisches und Sportliches, zeitlos Elegantes und Ultramodernes, Raffiniertes, Biederes und Bizarres wie zum Beispiel eine Ledertasche mit Kopf und Vorderbeinen eines Krokodils.

Nach den Experimenten der Zwanziger wurde die Mode wieder femininer und figurbetonter. Typisch für die frühen Dreißiger ist die lange, schlanke Silhouette, die bei Abendkleidern durch den Schrägschnitt optisch noch verlängert wurde. Ausgehend von Paris wurden seit der Mitte der Dekade die Schultern stärker betont, nach und nach wurde die Linie insgesamt strenger. Ein schönes Beispiel für diesen internationalen Trend ist ein Abendmantel aus schwarzem Wollflanell von Bonwit Teller, New York. Die gepolsterten Schulterpartien sind mit vergoldetem Metallgarn bestickt und erinnern an Elsa Schiaparelli.

Mantel mit gepolsterten Schulterpartien, Bonwit Teller, New York, 1936/38. Foto © Münchner Stadtmuseum. Scan aus dem Begleitbuch

Mantel mit gepolsterten Schulterpartien, Bonwit Teller, New York, 1936/38. Foto © Münchner Stadtmuseum. Scan aus dem Begleitbuch

Paris blieb tonangebend, und Hollywoods Glamour strahlte bis nach Deutschland aus. Schauspielerinnen der UFA waren modische Fixsterne. In der Ausstellung sind Ausschnitte aus populären Filmen zu sehen, darunter Die drei von der Tankstelle aus dem Jahr 1930 mit Lilian Harvey in mondäner Robe.

Die Damenmode in Deutschland bot während der 1930er Jahre kein einheitliches Bild. Ein offizieller Modekanon existierte nicht; es gab jedoch Bestrebungen, eine eigene, international konkurrenzfähige Mode zu schaffen, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. In München war 1930 die Meisterschule für Mode etabliert worden, die ab 1933 in einem Spagat zwischen der Anpassung an die Erwartungen des Regimes und der kreativen Adaption internationaler Modemodetrends stand.

Vorne, sommerliches Abendkleid, 1938, Deutsche Meisterschule für Mode. Foto © Rose Wagner

Vorne, sommerliches Abendkleid, 1938, Deutsche Meisterschule für Mode. Foto © Rose Wagner

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gab es weitere Gründungen von Modeämtern – etwa in Berlin und Frankfurt. Die Idee einer deutschen Mode kursierte, blieb jedoch letztlich diffus.

Neu war sie nicht. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts tauchte diese Vorstellung immer wieder auf – zuletzt während des Ersten Weltkriegs. Die französische Dominanz in der Mode sollte gebrochen werden. Das wollten die Nationalsozialisten auch, doch sie verfolgten ein weiteres Ziel: die Vertreibung der Juden aus der Textilbranche. Bereits 1933 setzte der Boykott jüdischer Geschäfte ein, und die Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der BekleidungsindustrieADEFA – wurde gegründet. Die Besitzverhältnisse und Produktionsbedingungen in der Textilindustrie veränderten sich grundlegend. Endgültig abgeschlossen war die Enteignung jüdischer Betriebe 1939. In der Ausstellung sind nur wenige Kleidungsstücke mit ADEFA-Etikett zu sehen; sie gehören nicht zu denjenigen, die durch Originalität auffallen. Eine biedere Bluse aus Kunstseide und ein rostbraunes Tageskleid mit angekrausten Ärmeln und weißem Häkelkragen zeugen von modischer Stagnation.

Festliche Bluse aus ADEFA-Produktion. Foto © Rose Wagner

Festliche Bluse aus ADEFA-Produktion. Foto © Rose Wagner

In den ästhetischen Alltagsentscheidungen schlugen sich die politischen und ökonomischen Veränderungen seit der Machtübernahme zunächst nicht direkt nieder. Rohstoffbewirtschaftung, Materialmangel und Einsatz von Ersatzstoffen wirkten sich erst nach und nach aus. Hochwertige Stoffe und Nähutensilien waren noch erhältlich, Schnittmusterhefte kursierten, und die meisten Frauen konnten nähen. Selbstgeschneiderte Kleider sind zu sehen, deren Raffinesse erstaunt. Viele wurden nach Schnitten gefertigt, die sich an der Pariser Mode orientierten.

Selbstgeschneidertes. Foto © Münchner Stadtmuseum

Selbstgeschneidertes. Foto © Münchner Stadtmuseum

Die Bild-Propaganda der Nationalsozialisten bediente zwar auch das Klischee vom Gretchen im Dirndl, doch die Wirklichkeit war vielfältiger und ambivalenter, wie im Titel der Ausstellung prägnant zum Ausdruck gebracht wird.

Titelbild eines Modemagazins aus dem Jahr 1930. Foto © Münchner Stadtmuseum.  Scan aus dem Begleitbuch

Titelbild eines Modemagazins aus dem Jahr 1930. Foto © Münchner Stadtmuseum.
Scan aus dem Begleitbuch

Die Frauen der NS-Elite liebten den Glamour. Magda Goebbels schminkte sich, rauchte und äußerte sich 1933 in einem Interview belustigt über den Gretchenzopf. Kurze Zeit später tauchte diese Frisur in Modejournalen als letzter Schrei auf und wurde von bekannten Filmschauspielerinnen zur Abendrobe getragen.

Zur Vorbereitung der Ausstellung wurden zeitgenössische Quellen, Zeitungen und vor allem Modejournale ausgewertet. Deren ästhetisches und intellektuelles Spektrum ist breit, mit der NS Frauen-Warte befindet sich lediglich eine parteiamtliche Frauenzeitschrift darunter.

Titelblätter von Modezeitungen aus den Jahren 1930-1940. Foto © Münchner Stadtmuseum. Scan aus dem Begleitbuch

Titelblätter von Modezeitungen aus den Jahren 1930-1940. Foto © Münchner Stadtmuseum.
Scan aus dem Begleitbuch

Die Journale zeichnen das Bild einer modebewussten Frau, die entsprechend der Tageszeit, der sozialen Situation und der sportlichen Betätigung – die als selbstverständlich vorausgesetzt wird – ihre Kleidung wechselt. Die Ausstellung stellt einen idealtypischen Tagesablauf in verschiedenen Stationen nach.

Morgenkleidung. Foto © Münchner Stadtmuseum.

Morgenkleidung. Foto © Münchner Stadtmuseum.

Zu sehen gibt es Tageskleider, Laufkleider, Nachmittagskleider und Cocktailkleider sowie Tagesendkleider und Abendroben. In den differenzierten Bezeichnungen spiegelt sich die Vorstellung von einer Frau mit gutgefülltem Kleiderschrank wider, die im Laufe ihres mit Aktivitäten ausgefüllten Tages oft und gern ihre Garderobe wechselt.

Tageskleid, im Hintergrund ein Staubmantel. Foto © Münchner Stadtmuseum

Tageskleid, im Hintergrund ein Staubmantel. Foto © Münchner Stadtmuseum

Die Abendgarderobe ist opulent: Seide und Kunstseide, Federn, Schleppsäume, tiefe Rückenausschnitte, funkelnde Pailletten. An den Wänden des Ausstellungsraumes hängen Plakate, die große Bälle in München ankündigen. Die Kleider erzählen von Amüsement und Glamour. Die Vorstellung vom Tanz auf dem Vulkan drängt sich auf.

Abendkleider. Foto © Münchner Stadtmuseum

Abendkleider. Foto © Münchner Stadtmuseum

Die 1930er Jahre waren die Zeit der mondänen Pelze. Rauchwaren wurden mit ungetrübter Selbstverständlichkeit getragen. Im Zuge der Kriegsvorbereitungen und des Bestrebens, von Importen unabhängig zu werden, wurden allerdings zunehmend einheimische Pelze bevorzugt; die Stunde von Fuchs und Kaninchen schlug. Die Produktion von Kunstpelz wurde angekurbelt, mit erstaunlich realistischem Ergebnis. Mancher aus Wolle gewirkter Persianer ist von echtem nicht zu unterscheiden. Echtes Exotisches blieb weiterhin en vogue, wovon ein Cape aus schwarzem Affenfell mit weißem Hermelinbesatz –1938/39, in einem Münchner Salon gearbeitet – kündet.

Besucherin betrachtet Affenfell-Cape.  Foto © Rose Wagner

Besucherin betrachtet Affenfell-Cape.
Foto © Rose Wagner

Ab 1941 wurden vom Winterhilfswerk Rauchwaren für die Soldaten der Wehrmacht gesammelt. Doch nicht jede Pelzträgerin trennte sich von ihrer wärmenden Hülle, wie die Exponate in der Ausstellung bezeugen.

Rauchwaren. Foto © Münchner Stadtmuseum

Rauchwaren. Foto © Münchner Stadtmuseum

Getragen wurde, was gefällt, fasst Isabella Belting die Praxis jener Jahre zusammen und weist auf einen festlichen Abendpyjama aus Kunstseidenkreppgewebe, der im Rücken mit einer überdimensionierten Schleife aus Goldlamé geschmückt ist. In derselben Vitrine steht eine Puppe in einem türkis-blauen Negligé mit üppigem Fellbesatz.

Kunstseideneinteiler, um 1931/33, und pelzverbrämtes Negligé, um 1938.  Foto © Münchner Stadtmuseum

Kunstseideneinteiler, um 1931/33, und pelzverbrämtes Negligé, um 1938.
Foto © Münchner Stadtmuseum

Dass es nicht bei allen Frauen verschwenderisch zuging, darauf deutet das Verwandlungskleid hin. Dabei wurde die Garderobe mit geringen Mitteln – Schal, Gürtel, gehäkelter Kragen – aufgeputzt, sah dadurch immer wieder anders aus und war bei unterschiedlichen Gelegenheiten einsetzbar.

Verwandlungskleider. Foto © Münchner Stadtmuseum

Verwandlungskleider. Foto © Münchner Stadtmuseum

Dieser Kleidertyp war in zurückhaltenden Farben gehalten und kam dem Nazi-Ideal der einfachen und zweckmäßigen Kleidung nahe. Gleichzeitig ermöglichte seine Wandlungsfähigkeit die Individualisierung der Garderobe. Es fällt auf, dass es in der Ausstellung kaum Rock-Bluse-Kombinationen gibt, die ebenfalls vielfältige Variationsmöglichkeiten bieten. Ihr Fehlen sowie die Dominanz von Kleidern deuten darauf hin, dass Gesellschaftsschichten überrepräsentiert sind, die nicht aus Gründen der Sparsamkeit auf Kombinationsmode angewiesen waren.

Bei den meisten Stücken werden keine Angaben zur Herkunft gemacht; das gibt der Phantasie Raum. Von einer handgewebten und -gestrickten Jacke aus Wildseide ist verbürgt, dass sie von der Schauspielerin Kristina Söderbaum (1912-2001) – auch als Reichswasserleiche bekannt – privat und im Film getragen wurde.

Strickjacke von Kristina Söderbaum, um 1938.  Foto © Rose Wagner

Strickjacke von Kristina Söderbaum, um 1938.
Foto © Rose Wagner

In allen westlichen Gesellschaften betätigten Frauen sich in den 1930er Jahren sportlich. Unter den Nationalsozialisten wurde Sport als Naturverbundenheit, Gemeinschaftserlebnis und Dienst am Volk ideologisch überhöht. In der ausgestellten Sportmode spiegelt sich das nicht wider. Sie ist farbenfroh und unterscheidet sich nicht von amerikanischer Sportkleidung dieser Zeit. Die langen, weiten Hosen – im Alltag undenkbar, am Strand akzeptiert – werden allerdings wohl kaum in den Ferienlagern des Bund Deutscher Mädel zu sehen gewesen sein.

Sport- und Strandmode, vorne rechts rotes Strandensemble mit weiter Hose, um 1930/33, links daneben weite dunkelblaue Strandhose, um 1938. Foto © Rose Wagner

Sport- und Strandmode, vorne rechts rotes Strandensemble mit weiter Hose, um 1930/33, links daneben weite dunkelblaue Strandhose, um 1938. Foto © Rose Wagner

Weiße Baumwoll-Shorts, kombiniert mit einem dunkelblauen, weiß gepunkteten Neckholder, nehmen die Strandmode der 1950er Jahre vorweg.

Links Badeanzug aus Wolle, um 1933/35, rechts Sportshorts, um 1935/38 sowie Oberteil, um 1935/38. Scan aus dem Begleitbuch.

Links Badeanzug aus Wolle, um 1933/35, rechts Sportshorts, um 1935/38 sowie Oberteil, um 1935/38. Scan aus dem Begleitbuch.

Trachtenmode war in München – wie in der gesamten Alpenregion – bereits seit den 1920er Jahren populär. Dirndlkleider aus waschbarem Stoff eigneten sich als Sommerkleider. Auch international fand Trachtenkleidung eine Zeitlang Anklang, was dazu führte, dass das Dirndl nicht ohne weiteres als eindeutiges Bekenntnis zur NS-Ideologie ausgelegt werden konnte.

Dirndlkleider. Foto © Münchner Stadtmuseum.

Dirndlkleider. Foto © Münchner Stadtmuseum.

Seit den frühen dreißiger Jahren war dieses Kleidungsstück auch bei festlichen Anlässen gesellschaftsfähig.

Festtagskleid im Dirndl-Stil, Wallach,  um 1938. Foto © Münchner Stadtmuseum. Scan aus dem Begleitbuch

Festtagskleid im Dirndl-Stil, Wallach,
um 1938. Foto © Münchner Stadtmuseum.
Scan aus dem Begleitbuch

Der Zweite Weltkrieg wird in den Modejournalen und auf zeitgenössischen Plakaten wie eine vorübergehende modische Ausnahmezeit mit Elementen eines Abenteuerspiels behandelt. Die Zeit nach 1940 ist nicht mehr Thema der Ausstellung.

Die Informationstafeln mit den Angaben zu den politischen Bedingungen der Zeit finden kein gesteigertes Interesse – den Eindruck nahm ich von zwei Besuchen mit. Etliche ältere Damen kommen in Begleitung von Töchtern oder Enkelinnen. Die Exponate rufen Erinnerungen an vergangene Zeiten und geliebte Menschen wach. So ein Kleid hatte meine Mutter auch. Subjektive Empfindungen gehen nicht zwangsläufig mit einer Thematisierung der politischen Begleitumstände einher – ein Phänomen, das auch uns nicht fremd ist. Im Vordergrund der Ausstellung steht die Mode.

Generell überrascht, wie glamourös und zeitlos elegant viele Modelle sind. Die Mode der 1930er Jahre hat sich deutlich von den Linien der zwanziger Jahre gelöst und verweist in mancher Hinsicht bereits auf die vierziger und fünfziger.

 

Belting, Isabella: Gretchen mag’s mondän! Damenmode der 1930er Jahre. Ausst. Kat. Münchner Stadtmuseum. München, Hirmer, 2015,
300 S. 505 s/w u. farb. Abb. ISBN: 978-3-7774-2473-6.

 

Titelbild: Modejournal, um 1935, ausgestellt im Münchner Stadtmuseum. Foto © Rose Wagner

Verena Stanislawski danke ich für ihre hilfreichen Anregungen.