Curvy – The International Fair
Deutsche Telekom Hauptstadtrepäsentanz

Französische Straße 33 a-c
Berlin > 19.01. ‒ 21.01. 2016

Vieles auf der Curvy, der Messe für Damenkleidung in großen Größen, ist auch nicht anders als auf den sonstigen Messen, die während der Fashion Week in Berlin stattfinden. Die Aussteller auf der Curvy präsentieren Ripped Jeans und vegane Kunstleder-Leggings, edlen Kaschmir genauso wie Cheerleader-Glitter, raffinierte Schnittkonstruktionen neben artigen Tuniken. Nur ist eben alles etwas größer.

Das durchschnittliche Körpergewicht nimmt zu, und die Bekleidungsindustrie stellt sich darauf ein. Früher war von Übergröße die Rede oder von Mode für Mollige, heute heißt es XXL-Mode. International hat sich für Kleidergrößen ab 42 die Bezeichnung Plus-Size durchgesetzt.

Neu ist die Möglichkeit altersspezifischer Differenzierungen innerhalb der Konfektionsgrößen. Am Stand des Unternehmens Human Solutions wurde das mit Schneiderbüsten und einem 3-D-Scanner – in dem sich Besucherinnen vermessen lassen konnten – augenfällig demonstriert. Human Solutions entwickelt Software für Schnitte und ihre Gradierung und stellt Schneiderpuppen für große Größen her. Die Daten, die dem zugrunde liegen, wurden in jahrelangen, aufwendigen Reihenmessungen mit dem 3-D-Scanner in mehreren europäischen Ländern sowie den USA erhoben. Sie belegen beispielsweise – was man eigentlich immer schon wusste –, dass Nacken- und Schulterpartie sowie die Stärke der Oberarme innerhalb einer bestimmten Kleidergröße in den verschiedenen Altersgruppen durchaus unterschiedlich sind. Human Solutions bietet Schneiderpuppen und Schnittfertigung für spezifische Zielgruppen in bestimmten Ländern, zum Beispiel Frauen zwischen 18 und 25 oder ab 50plus in Deutschland.

Schneiderpuppen von Human Solutions  in Größe 50 und 54. Foto © Rose Wagner

Schneiderpuppen von Human Solutions
in Größe 50 und 54. Foto © Rose Wagner

Die Curvy gibt es, weil die anderen Modemessen in ihren heiligen Hallen die Fülligen nicht gern sehen. In der Glamourwelt der Mode sind die großen Größen noch nicht angekommen, auch wenn Jean-Paul Gaultier für eine limitierte Plus-Size-Kollektion publikumswirksam mit Beth Ditto kooperiert. Im Alltagsleben ist Plus-Size normal und akzeptiert, doch bei den Fashion Weeks werden die Fülligen noch immer in den Hintergrund verbannt. Sie entsprechen nicht dem herrschenden Körperideal.

Die Messe  findet bereits zum sechsten Mal statt. Die Initiative ging von Ulla Popken aus, dem ältesten deutschen Hersteller für Damenkleidung in großen Größen und europäischen Marktführer. Wie bei jeder Curvy nimmt Ulla Popken auch dieses Mal wieder viel Raum ein, auch weil die Jugendlinie Studio Untold mit von der Partie ist.

Stand von Ulla Popken mit Mode für die kommende Herbst-Wintersaison inmitten frühlingshafter Dekoration. Foto © Rose Wagner

Stand von Ulla Popken mit Mode für die kommende Herbst-Wintersaison inmitten frühlingshafter
Dekoration. Foto © Rose Wagner

Im Großen und Ganzen dominiert auf der Curvy das mittlere Preissegment. Es gibt Verschiebungen bei den Ausstellern, weniger Skandinavier, dafür mehr Italiener.

Blick in die Ausstellungshalle. Foto © Rose Wagner

Blick in die Ausstellungshalle. Foto © Rose Wagner

Zum ersten Mal präsentierten drei junge Designer ihre Entwürfe: Olivier Wartowski aus Paris, Miriam Jetzek aus Österreich sowie Katja Heidrich aus München. Das kann der Curvy nur guttun und mehr Frische und größere modische Vielfalt bringen. Dominierten bis vor einigen Jahren noch Schnitte und Farben, die streckten und von den Pfunden ablenkten, so treten jetzt DesignerInnen auf den Plan, die sich nicht mehr an das Gebot der alles abdeckenden Tunika halten. Dieser Trend hatte sich bereits beim dänischen Label Zizzi angedeutet, das kurze Faltenröcke auf dem Laufsteg brachte und mit leuchtenden Farben das biedere Image von Plus-Size-Mode gründlich revidierte. Am deutlichsten zeigen die Modelle von Olivier Wartowski die Abkehr von der Regel, wonach Kleider für füllige Frauen eine schlanke Linie vortäuschen sollen. Wartowski greift in die Vollen und stellte auf der Curvy ein kastenartiges Kostüm mit Quervolants und Bluse mit Wasserfallkragen vor. Dieses Modell wird in den ganz großen Größen wie ein Karnevalskostüm wirken.

Modell von Olivier Wartowski; in der ersten Reihe  die Finalistinnen des Schönheitswettbewerbs Fräulein Kurvig. Foto © Rose Wagner

Modell von Olivier Wartowski; in der ersten Reihe
die Finalistinnen des Schönheitswettbewerbs
Fräulein Kurvig. Foto © Rose Wagner

Andere Entwürfe aus seiner Kollektion sind weniger freakig. Beeindruckend war ein kurzes Kleid mit enganliegendem Oberteil und glockigem Rock über einem wadenlangen Tutu in zartem Grau. Eine locker fallende Jacke aus leichtem Wollstoff in einem anderen Grauton komplettierte den Lagen-Look. Olivier Wartowski spricht mit seiner Mode eine Klientel an, die bislang vernachlässigt wurde.

Modell von Olivier Wartowski. Foto © Rose Wagner

Modell von Olivier Wartowski. Foto © Rose Wagner

Nicht immer ist an den Messeständen auf den ersten Blick ersichtlich, dass es um Plus-Size-Mode geht. Vielfach sind die Musterteile in Größe 40 gehalten – bei vergangenen Curvy-Messen gab es sogar Hersteller, bei denen ausschließlich Kleider in Größe 38 auf den Bügeln hingen. Auch bei Elena Miro wird die neue Kollektion von einem Model in Größe 40 präsentiert.

Model von Elena Miro mit Musterteil in  Größe 40. Foto © Rose Wagner

Model von Elena Miro mit Musterteil in
Größe 40. Foto © Rose Wagner

Fast jedes Kleidungsstück der Aussteller auf der Curvy ist bis Größe 58 lieferbar, bei Ulla Popken sogar bis Größe 64.

Für das Publikum sind die Runway Shows der Höhepunkt. In der ersten Reihe saßen dieses Mal die drei Finalistinnen des Schönheitswettbewerbs Fräulein KurvigDeutschland schönste Kurven. Sie sind typisch für das Plus-Size-Schönheitsideal: gut verteilte Kurven, ein nicht zu großer Kopf, kein Doppelkinn und straffe Oberarme.

Zoi Ntampaki, Vize Fräulein Kurvig 2015. Foto © Rose Wagner

Zoi Ntampaki, Vize Fräulein Kurvig 2015. Foto © Rose Wagner

Im Prinzip unterscheiden sich die erfolgreichen Plus-Size-Models nicht von denen für kleine Größen. Im Vergleich zu normalen Plus-Size-Frauen wirken sie wie Mager-Models. Es ist alles eine Frage der Relation.

Models der Runway Show mit Stylistin backstage.  Foto © Rose Wagner

Models der Runway Show mit Stylistin backstage.
Foto © Rose Wagner

Auch Plus-Size-Models bändigen ihre Dellen, Wellen und Pölsterchen mit Shape-Wear. Eine von mir vorgenommene Schnell-Umfrage unter Besucherinnen ergab, dass Shape Wear auch bei ihnen die Regel ist. „Natürlich stütze ich meine weichen Stellen“, sagte eine und zeigte – unaufgefordert – was sie unter dem Kleid in Form hält.

Die Messe für Plus-Size-Damenmode ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Berliner Modewoche. Aber wo bleibt die Herrenmode? Es gibt genauso viele füllige Männer wie Frauen. Stephan Sonn, der Veranstalter der Messe, hat sich bemüht, doch kein Hersteller von Männerbekleidung wollte sich vorwagen. Warum sind sie so zurückhaltend? An Absatzmöglichkeiten dürfte es nicht liegen. Füllige Männer sind allgegenwärtig.

Übrigens ist Ulla Popken in dieser Hinsicht der Zeit voraus. Das Unternehmen hat die Modelinie Johann Popken aufgelegt, die im Katalog an männlichen Plus-Size-Models gezeigt wird. Der Katalog von Ulla Popken ist noch in anderer Hinsicht bemerkenswert: es posieren auch farbige und silberhaarige Models. Die Plus-Size-Welt ist genauso vielfältig wie die übrige.

Ausstellungsplakate. Foto © Rose Wagner

Ausstellungsplakate. Foto © Rose Wagner

Titelfoto: Schneiderpuppen von Human Solutions in Größe 50 und 54. Foto © Rose Wagner