Ausstellung: Kimono. Fukumi und Yoko Shimura / Japonismus
Bröhan-Museum, Berlin >19. 06.- 06. 09. 2015

Vortrag: Die Entwicklung des Kimono von der Antike bis in die Gegenwart sowie die Eigenschaften japanischer Kultur
Takeda Sachiko, Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin >28.08. 2015

Ausstellung: Boro – Stoffe des Lebens / The Fabric of Life
Museum für ostasiatische Kunst, Köln >28. 03.- 02. 08. 2015

 

Die europäische Faszination für den Kimono begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Japan sich geöffnet hatte. Er war das wichtigste Requisit des Japonismus, jener Rezeption japanischer Stilprinzipien und Ästhetik zwischen 1860 und 1910, die einen Stilwandel in Kunst und Kunstgewerbe auslöste. Puccinis Oper Madame Butterfly aus dem Jahr 1903 ist ein Ausdruck dieser Japan-Begeisterung. Im fremdartigen Kimono kulminierten exotische Wunschvorstellungen.

Drei Geishas beim Teetrinken, o. J. Privatsammlung, Deutschland.  Foto © Bröhan-Museum

Drei Geishas beim Teetrinken, o. J. Privatsammlung, Deutschland. Foto © Bröhan-Museum

Der Jugendstil ist ohne die Inspiration durch das Japanische nicht denkbar. In den weiten Ärmel des Reformkleids sowie den Tuniken von Paul Poiret schlugen sich Einflüsse der japanischen Tracht nieder.

Theo Schmuz-Baudiß, Mädchen mit Sittich (Tochter des Künstlers), um 1905. Foto © Bröhan-Museum / Martin Adam

Theo Schmuz-Baudiß, Mädchen mit Sittich (Tochter des Künstlers), um 1905. Foto © Bröhan-Museum / Martin Adam

Zur Alltagskleidung wurde er in Europa jedoch nie, sondern hielt sich lediglich in rudimentärer Form als Haus- oder Morgenmantel.

Kimono und Färbekunst

In deutlichem Gegensatz zum japonisierenden Kunstgewerbe stehen die Kimonos der Textil-Künstlerinnen Fukumi Shimura (geb. 1924) und ihrer Tochter Yoko (geb. 1949), die das auf Jugendstil und Art Déco spezialisierte Bröhan-Museum in einer Ausstellung zusammen mit Objekten des Japonismus zeigte.

Blick in die Ausstellung. In der Mitte Yoko Shimura, Wintersturm, 2012, rechts Fukumi Shimura  Himmel und See, 2007.  Foto © Rose Wagner

Blick in die Ausstellung. In der Mitte Yoko Shimura,
Wintersturm, 2012, rechts Fukumi Shimura
Himmel und See, 2007. Foto © Rose Wagner

Die Künstlerinnen beziehen sich auf den deutschen Idealismus und Friedrich Wilhelm Schellings Vom Ich als Prinzip der Philosophie. Goethes Farbenlehre bezeichnen sie als grundlegende Inspiration für den Färbeprozess. Sie verweben Seidenfasern, die mit natürlichen Pflanzenfarben gefärbt werden.

Stränge aus Seidengarn mit natürlicher  Pflanzenfarbe gefärbt. Foto © Rose Wagner

Stränge aus Seidengarn mit natürlicher
Pflanzenfarbe gefärbt. Foto © Rose Wagner

Ihre textilen Werke haben nichts mit den farbenprächtigen Kimonos gemein, die aus Kostümfilmen bekannt sind. Die Kimonos der Shimuras haben eine strenge, reduzierte Form, die nie variiert wird und im Zusammenspiel mit der zurückhaltenden Gewebestruktur und den sensiblen, feinabgestuften Farbtönen archaisch und universal wirkt. Die Form entzieht sich einer Geschlechtszuordnung.

Yoko Shimura, Martha und Marie, 2010. Foto © Rose Wagner

Yoko Shimura, Martha und Marie, 2010. Foto © Rose Wagner

In der ungegenständlichen Musterung der Shimura-Kimonos finden sich keine Motive, die bei den traditionellen japanischen Holzschnitten sowie den Objekten des Japonismus ins Auge fallen: Iris, Mohnblumen, Lotospflanzen, Chrysanthemen, roter Mond und Gewässer mit springenden Karpfen.

Vase mit Mohnblumen, Frères & Cie, Nancy, ca. 1897. Foto © Bröhan-Museum / Martin Adam

Vase mit Mohnblumen, Frères & Cie, Nancy, ca. 1897. Foto © Bröhan-Museum / Martin Adam

Die Shimuras verzichten nicht auf Naturdarstellungen, doch ihre sind hoch abstrakt und teilen sich dem Betrachter erst durch die Bezeichnungen wie Wind und Tau, Wind auf den Feldern, Alter Schnee oder See unter dem Mond mit. Andere versinnbildlichen geistige Landschaften: Zurückgelegter Weg, Ewige Jugend oder Die Farbe und ich werden eins. Man meint zu spüren, dass diesen Kimonos spirituelle Energie eingewebt ist. Sie strömen eine Ruhe aus, die kontemplativ wirkt.

Yoko Shimura, Das große Weihrauchfass, 2008.  Foto © Rose Wagner

Yoko Shimura, Das große Weihrauchfass, 2008.
Foto © Rose Wagner

Geschlechtsneutraler Kimono

Der Aspekt der Geschlechtsneutralität des Kimono bestimmte den Vortrag von Takeda Sachiko – Professorin an der Ôtemon Gakuin Universität in Ibaraki –, die im Begleitprogramm zur Bröhan-Ausstellung einen Vortrag über die historische Entwicklung der japanischen Tracht hielt.

Die Entstehung des Kimono datiert Takeda Sachiko auf das 3. Jahrhundert v. Chr. Zu dieser Zeit trugen Männer und Frauen in China beim Reisanbau ein poncho-artiges Stofftuch mit Schlitz. Es ließ den Rücken zum Schutz vor Sonnenstrahlen bedeckt und die Beine vom Knie abwärts unbedeckt, um im Wasser waten zu können. Die Ärmelschleppe war kurz, um ungehindert arbeiten zu können. Mit der Reiskultur gelangte dieses Kleidungsstück nach Japan. Im Laufe der Jahrtausende verwandelte es sich durch veränderte funktionale Anforderungen und ästhetische Vorstellungen in die heutige Form.

Takeda Sachiko mit Abbildung  des Ursprungs-Kimono. Foto © Rose Wagner

Takeda Sachiko mit Abbildung
des Ursprungs-Kimono. Foto © Rose Wagner

Mit seiner geraden, linearen Form umspielt der Kimono den Körper, statt – wie europäische Kleidung – die Konturen nachzuzeichnen. Das fördert die Wahrnehmung von Geschlechtsneutralität ebenso wie die oft androgyn anmutende Physis von Japanerinnen. Laut Takeda Sachiko wurde die Tradition der geschlechtsneutralen Kleidung erst durch chinesischen Einfluss unterbrochen. Sie sprach in diesem Zusammenhang von chinesischem Chauvismus. Die Unterschiede zwischen Kimonos von Männern und Frauen zeigten sich durch die Farbe und Musterung. Farben haben beim Kimono die Funktion, die in der westlichen Kleidung Accessoires einnehmen.

Kleidung einer Hofdame in der  Heinan-Periode (8.-12. Jh.). Foto © Rose Wagner

Kleidung einer Hofdame in der
Heinan-Periode (8.-12. Jh.). Foto © Rose Wagner

Der Kimono-Gürtel – Obi – tauchte erst spät auf und war zunächst sehr schmal.

Nach der Öffnung Japans übernahm der Tenno den europäischen Kleidungsstil und zeigte sich fortan in martialischer Militäruniform. Modisches Vorbild waren europäische – vor allem preußische – Uniformen.

Tenno in europäischer Militäruniform.  Foto © Rose Wagner

Tenno in europäischer Militäruniform.
Foto © Rose Wagner

Selbst bei zeremoniellen Auftritten erscheint das japanische Kaiserpaar seit Beginn des 20. Jahrhunderts meist in westlicher Kleidung.

Als einzige Japanerin trug Takeda Sachiko bei der Veranstaltung im Japanisch-Deutschen Zentrum einen Kimono, der zudem mit einem breiten Obi geschmückt war. Beim Erklimmen der Stufen zur Bühne benötigte sie in ihrer Kostüm-Verpackung Hilfe. Eindrücklicher kann kaum demonstriert werden, dass der klassische Kimono den Anforderungen des modernen Alltags nicht mehr entspricht.

Takeda Sachikos These von der prinzipiellen Geschlechtsneutralität des Kimono ist bestechend. Vor dem geistigen Auge erscheinen die asymmetrischen, androgynen Schnitte, mit denen Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo in den 1970er Jahren der westlichen Mode neue Impulse bescherten. Auf ihre Weise wirkten sie so belebend wie im 19. Jahrhundert die Übernahme japanischer Stilprinzipien in der europäischen Kunst. Variieren nicht manche Schnitte von Rei Kawakubo bis heute die Form des Kimono? Der Name ihres Labels – Comme des Garçons – spielt ironisch mit der Vorstellung einer Geschlechterdifferenz.

Comme Des Garçons, Rei Kawakubo, Herbst / Winter 2012 / 13, Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, MKG. Foto © Rose Wagner

Comme Des Garçons, Rei Kawakubo, Herbst / Winter 2012 / 13, Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, MKG.
Foto © Rose Wagner

Ästhetik der Armut

Die Ausstellung Boro – Stoffe des Lebens / The Fabric of Life im Museum für Ostasiatische Kunst Köln beleuchtete einen wenig bekannten Aspekt japanischer Kleidungsgeschichte. Ausgestellt waren rund 50 Kleidungsstücke und Gebrauchstextilien, die zwischen 1850 und 1950 entstanden sind. Das Wort Boro bedeutet zerfetzt oder zusammengeflickt und bezeichnet Indigo-blau gefärbte Textilien, die aus abgetragener Kleidung, Stoffresten oder Lumpen gefertigt wurden. Das Leben der Landbevölkerung war hart und nichts wurde verschwendet, alle Gebrauchsgegenstände repariert oder einer neuen Nutzung zugeführt, bis eine Weiterverwendung nicht mehr möglich war.

Blick in die Boro-Ausstellung.  Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Blick in die Boro-Ausstellung.
Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Durchlöcherte Kleidungsstücke wurden mit einem Laufstich stabilisiert (sashiko), der auch angewendet wurde, um Flicken zu einem Stoff zu verbinden. Zunächst wurden dafür ausschließlich Bastfäden verwendet, weil andere Garne für die Bauern nicht verfügbar waren. Mit dem Zugang zu Baumwollgarn um die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem Laufstich eine Stick-Technik, die gleichzeitig zierte und festigte.

Winterjacke, spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle und Leinen, Streifen von Lumpen auf Baumwollkettfäden gewebt, Sashiko-Stickerei. Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Winterjacke, spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle und Leinen, Streifen von Lumpen auf Baumwollkettfäden gewebt, Sashiko-Stickerei. Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Die Boro-Flickenkleider üben einen eigentümlichen ästhetischen Reiz aus. Ist es eine Ästhetik der Armut? Unter widrigsten Umständen wurde etwas geschaffen, das nicht nur funktional, sondern auch schön sein sollte. Wer mag diese Arbeits- und Schlafkimonos getragen haben? Alte? Junge? Männer? Frauen? Die Boro-Textilien geben keinen Hinweis auf Geschlechterdifferenz.

Arbeitsjacke, spätes 19. Jahrhundert, mit Indigo und Färberdistel gefärbte Baumwolle, Sashiko-Stickerei.  Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Arbeitsjacke, spätes 19. Jahrhundert, mit Indigo und Färberdistel gefärbte Baumwolle, Sashiko-Stickerei.
Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Die Boro-Textilien beschäftigten noch lange nach dem Besuch der Ausstellung die Phantasie.

Arbeitsjacke, spätes 19. Jahrhundert,  Sammlung Stephen Szczepanek. Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Arbeitsjacke, spätes 19. Jahrhundert,
Sammlung Stephen Szczepanek.
Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln

Die zusammengeflickte Boro-Kleidung mit ihrer Botschaft der Weiterverwendung steht in diametralem Gegensatz zur modernen Wegwerfmentalität, die durch extrem niedrige Preise – gerade auch beim japanischen Unternehmen Uniqlo – und der Vorstellung von Mode als Konsumgut mit kurzem Lebenszyklus gefördert wird.

Der Kimono ist heute nicht nur aus dem Straßenbild in Japan, sondern sogar aus vielen Kleiderschränken verschwunden. Es ist nicht mehr selbstverständlich – wie noch vor einigen Jahrzehnten –, dass ein solches Kleidungsstück von Generation zu Generation weitergereicht und bei besonderen Anlässen getragen wird. Nicht nur aus westlicher Sicht scheint dem traditionellen farbenprächtigen Kimono mit dem breiten Obi heute etwas von Theater-Kostüm anzuhaften.

Das heißt jedoch nicht, dass vom Kimono nichts mehr bleibt. In Japan mehren sich die Designer, die abgelegte Kimonos einer neuen Nutzung zuführen. Mit Armut oder Sparsamkeit hat dieses Recycling nichts mehr zu tun. Es ist pragmatisch, ethisch und sehr chic.

Schuhe aus abgelegten Kimono-Gürteln, Label Liv:ra, 2015,  Ethical Fashion Show Berlin. Foto © Rose Wagner

Schuhe aus abgelegten Kimono-Gürteln, Label Liv:ra, 2015,
Ethical Fashion Show Berlin. Foto © Rose Wagner

 

Begleithefte zu den Ausstellungen sind über die Museen zu beziehen. Die Kölner Publikation ist reich bebildert, das Begleitheft zur Ausstellung im Bröhan-Museum kommt ohne Fotos aus und enthält lediglich einige ins Deutsche übersetzte Passagen aus einer französischen Publikation. Diese Publikation in französischer Sprache enthält zahlreiche Abbildungen und ist über den Buchhandel erhältlich.

Tisser Les Couleurs. Kimonos d´un Trésor national vivant. Ausstellungskatalog Maison de la culture du Japon à Paris / Fondation du Japon, Paris 2014. 56 S., zahlr. Abb. ISBN 978-2-913278-16-5.

 

Titelbild: Blick in die Boro-Ausstellung. Foto © Museum für Ostasiatische Kunst Köln