Am Schluss ihrer Autobiografie verkündet Elsa Schiaparelli das Gebot: „Passen Sie niemals das Kleid dem Körper an, trainieren Sie den Körper, um dem Kleid gerecht zu werden“. Für sie waren – vor allem die von ihr selbst entworfenen – Kleider unveränderliche Kunstwerke. Folgerichtig vermachte sie ihren Nachlass einem Kunstmuseum. Das Philadelphia Museum of Art http://www.philamuseum.org/ besitzt die weltweit größte Schiaparelli-Sammlung.

Doch trotz einer großen Ausstellung dort im Jahr 2003 und einer im Metropolitan Museum of Art in New York im Jahr 2012 sowie der kürzlich erfolgten Wiederbelebung ihres Modehauses in den alten Räumen am Place Vendôme in Paris durch Diego Della Valle – Besitzer von Tod´s –, ist Schiaparelli heute der breiten Öffentlichkeit kein Begriff mehr. Zwei neue Bücher rücken sie wieder ins Licht. Der Berliner Parthas-Verlag veröffentlicht ihre erst kürzlich ins Deutsche übersetzte Autobiografie aus dem Jahr 1954, und Alfred Knopf in New York legt eine detailreiche Lebensbeschreibung von Meryle Secrest vor.

Nicht wenigen ModehistorikerInnen gilt Schiaparelli (1890-1973) im Vergleich zu Coco Chanel (1883-1971) als die Innovativere und Wagemutigere. Schiaparelli prägte die 1930er Jahre wie zuvor Coco Chanel die zwanziger geprägt hatte – und später wieder die fünfziger bestimmen würde. Die amerikanische Vogue zählte Schiaparelli 1932 zu den wichtigsten ModeschöpferInnen aller Zeiten. Von 1935 bis 1937 war sie auf dem Gipfel ihres Erfolgs und galt als Inbegriff französischer Mode.

Abendkleid aus Goldlamé mit hervorgehobenen Schultern, um 1933.  Foto © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk

Abendkleid aus Goldlamé mit hervorgehobenen Schultern, um 1933.
Foto © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk

Die Welt verdankt ihr das Wickelkleid, den Hosenrock für jede Gelegenheit, die Jacke zum Abendkleid, den Schuh mit Keilabsatz, den transparenten Regenmantel, den Reißverschluss als Dekorationselement sowie skurrile Knöpfe. Sie führte Kunstseide in die Couture ein und entwarf Sportmode. Im Jahr 1932 eröffnete sie die erste Boutique, in der Accessoires günstiger erstanden werden konnten als im Haupt-Salon. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten bereits 400 Angestellte in acht Werkstätten für sie.

Abendhut aus Tupfentüll, 1938 / 1939. Foto © Staatliche Museen zu Berlin,  Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk

Abendhut aus Tupfentüll, 1938 / 1939. Foto © Staatliche Museen zu Berlin,
Kunstgewerbemuseum / Stephan Klonk

Schiaparelli war die erste, die ihre Kollektionen thematisch ausrichtete: zum Beispiel Commedia dell’arte, Musik oder Zirkus. Sie entwickelte nicht einfach etwas Bewährtes weiter, sondern präsentierte in ihren Themen-Kollektionen immer wieder völlig Neues und Unerwartetes.

Zu den zahlreichen Künstlern, mit denen sie zusammenarbeitete, gehörten neben Salvador Dalí auch Jean Cocteau und Alberto Giacometti sowie die Fotografen Man Ray, Cecil Beaton und Horst P. Horst.

Für Schiaparelli war das „Entwerfen von Kleidung […] kein Handwerk, sondern eine Form der Kunst“ (S. 75). Doch anders als ein Gemälde besitze ein Kleid kein Eigenleben, sondern gewinne seine Einzigartigkeit erst am Körper der Trägerin. Sein Ruhm könne dadurch gesteigert werden oder zerstört. Da zu Schiaparellis Kundinnen außergewöhnliche Frauen wie Marlene Dietrich, Katharine Hepburn, die Herzogin von Windsor und Daisy Fellowes – Chefredakteurin des Modemagazins Harper’s Bazaar und Erbin eines Industrie-Vermögens – gehörten, war die Wirkung ihrer Mode gesichert.

Schiap – so genannt von ihren Freunden – war Meisterin der Selbstinszenierung und gewitzte Unternehmerin. Sie lancierte 1937 erfolgreich das Parfüm „Shocking“, dessen Etikett in dem ungewöhnlichen Pink gehalten war, das zu ihrem Markenzeichen wurde.

Etikett des Parfüms „Shocking“, Originalflasche, Paris 1950; im Bestand der Lipperheideschen Kostümbibliothek Berlin. Foto © Rose Wagner

Etikett des Parfüms „Shocking“, Originalflasche, Paris 1950; im Bestand der Lipperheideschen Kostümbibliothek Berlin. Foto © Rose Wagner

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlor sie ihr Gespür für den Zeitgeist, und die Kundinnen wendeten sich ab. Im Februar 1954 – im Jahr zuvor hatte Chanel ihr Haus wiedereröffnet – zeigte Schiaparelli ihre letzte Kollektion, meldete Insolvenz an und schrieb auf Englisch ihre Autobiografie.

Darin erzählt sie witzige Anekdoten aus ihrem ereignisreichen Leben und urteilt erfrischend pointiert über Zeitgenossen. Ihr eigenes Licht stellt sie nicht unter den Scheffel. So heißt es an einer Stelle: „Schiap stieg zu den höchsten Höhen ihres fantastischen Vorstellungsvermögens auf und zündete Kaskaden eines kreativen Feuerwerks“ (S. 113f). Häufig wechselt sie von der ersten in die dritte Person, wodurch das Mitgeteilte den Charakter einer dokumentarischen Beglaubigung erhält, weil eine vermeintlich unabhängige Erzählstimme spricht. Mit privaten Angaben hält sie sich zurück.

Schiaparelli wuchs in einer aristokratischen Gelehrtenfamilie in Rom auf. Zeitlebens verfügte sie über beste Verbindungen, die sie für ihr Fortkommen nutzte. Nach ihrer gescheiterten Ehe ließ sie sich 1922 dauerhaft in Paris nieder, wo sie schnell Anschluss an Kunst- und Modekreise fand. Mit einem schwarzen Strickpullover mit weißer Schleife in Trompe-l’œil- Optik errang sie 1927 auf Anhieb einen durchschlagenden Erfolg. Sie brach mit Sehgewohnheiten und Konventionen und übertrug surrealistische Provokationen in die Mode. Auf ein romantisches Abendkleid aus weißem Organza ließ sie – inspiriert von Dalí – einen überdimensionierten roten Hummer aufmalen. Sie schuf einen Hut, der aussah wie ein umgestülpter Schuh, ein anderer erinnerte an ein Lammkotelett.

Von Dalí inspirierter Schuh-Hut,  1937 / 1938, in einer Ausstellung im Brooklyn Museum, New York, 2014.  Foto © Rose Wagner

Von Dalí inspirierter Schuh-Hut,
1937 / 1938, in einer Ausstellung im Brooklyn Museum, New York, 2014.
Foto © Rose Wagner

Die Zeit von 1941 bis 1945 verbrachte Schiaparelli in den USA. Zurück in Paris stellte sie fest „dass die Art von Eleganz, die wir vor dem Krieg gekannt hatten, tot war“. Den Ton bestimmten jetzt „die neu zu Reichtum gekommenen Frauen der Lebensmittelhändler, Metzger und Devisenhändler [… ] und dann noch das ´U-Bahn-Publikum`, Leute, die für Ausverkäufe wie Maulwürfe aus ihrem Bau ans Licht krabbeln“ (S. 260). Schiaparelli war nicht frei von Dünkel und sah sich als „das Sinnbild einer kultivierten Welt“ (S. 134). Selbst für die Dekoration der Schaufenster und die Ausstattung der Verkaufsräume galt die Maxime „Pomp und Champagner“ (S. 265). Der Kargheit der Nachkriegszeit setzte sie eine Kollektion entgegen, die den Stil von 1810 widerspiegelte und „ein wenig überfeinert“ (S. 261) war, wie sie selbst einräumt. Danach versuchte sie es mit schlichten und praktischen Kleidern, doch auch diese verkauften sich nicht. Diors New Look von 1947, dessen Silhouette und jugendliche Optik ihr zuwider waren, traf dagegen den Zeitgeist.

Dass der Parthas-Verlag Schiaparellis Autobiografie herausbringt, ist verdienstvoll. Enttäuschend ist, dass die Mode, von der im Text die Rede ist, optisch zu kurz kommt. Sie wird allzu selten im Bild gezeigt und dann nur in Schwarzweiß. Die meisten Fotos sind außerdem viel zu klein, manche haben nur die Größe von Briefmarken. Schade auch, dass die Übersetzung stellenweise holprig ist.

Ein Vorzug von Meryle Secrests Schiaparelli-Biografie liegt dagegen in der üppigen Bebilderung des Buches, darunter 24 Extra-Seiten mit Farbfotos. Das Shocking Pink muss man in Farbe sehen.

Abendjacke in Shocking Pink, 1938. Sammlung Musée des Arts décoratifs.  Foto © Rose Wagner

Abendjacke in Shocking Pink, 1938. Sammlung Musée des Arts décoratifs.
Foto © Rose Wagner

Secrest ist ausgewiesene Autorin von Künstler-Biografien. An Schiaparelli interessieren sie deren Beziehungen zu Künstlern und das Verständnis von Mode als Kunst, und sie verfolgt im Detail, wer wen wie beeinflusste. Nicht von ungefähr schmückt das Cover des Buches eine Illustration, die der ungarische Grafiker Marcel Vertes 1946 für eine Werbeanzeige des Shocking-Parfüms gezeichnet hatte.

Die wichtigste Grundlage für Secrests Studie bildet Schiaparellis Autobiografie, deren offensichtliche Lücken geschlossen werden sollen. Akribisch werden weitere Quellen ausgewertet – Briefe und Memoiren von Zeitgenossen, Zeitungsartikel sowie Akten des FBI, das Schiaparelli jahrelang überwachte. Secrest vermutet eine Agententätigkeit Schiaparellis für die Deutschen, wofür die vielen Reisen im besetzten Frankreich sprächen, die anscheinend von der Besatzungsverwaltung genehmigt wurden. Das Pendeln Schiaparellis zwischen Frankreich und den USA in der Kriegszeit werfe weitere Fragen auf. Die Abstinenz von der Mode während der Jahre 1940 bis 1946 und den Grund für die Abwendung vom Surrealismus nach 1945 kann Secrest nicht enträtseln. Die enorme Detailfülle des Buches wird nicht immer durch harte Fakten untermauert; typische Formulierungen lauten: „It is possible that“ oder „It is hard to know why“. Das Individuum Schiaparelli bewahrt auch in dieser Biografie sein Geheimnis.

Obwohl sie keine „fashion biography“ schreiben will, kommt Secrest nicht um die Frage herum, warum Schiaparelli bis heute im Schatten Chanels steht. Secrest erklärt es sich mit dem Niedergang des schneidertechnischen Individualismus nach 1945 und dem Verschwinden der reichen und exzentrischen Kreise, aus denen viele Kundinnen Schiaparellis kamen. Befriedigend ist diese Interpretation nicht. Womöglich käme man einer Erkenntnis näher, wenn man die Entwürfe Schiaparellis und Chanels miteinander vergliche und auch der Frage nachginge, wieso vor allem Amerikanerinnen Schiaparellis Mode trugen.

So unwahrscheinlich es zu ihrer Zeit auch erschienen war: viele von Schiaparellis Ideen sind heute allgemein akzeptiert.

 

Schiaparelli, Elsa: Shocking Life. Die Autobiografie der Elsa Schiaparelli. Originalausgabe 1954 bei J.M. Dent & Sons. Ins Deutsche übertragen von Ute Astrid Rall. Berlin, Parthas Verlag, 2014. 352 S. 40 s/w Abb. ISBN 978-3-86964-084-6.

Secrest, Meryle: Elsa Schiaparelli. A Biography. New York, Alfred A. Knopf, 2014. 378 S., 86 teils farb. Abb. ISBN 978-0-307-70159-6.

Cover der Schiaparelli-Autobiografie. Foto © Parthas

Cover der Schiaparelli-Autobiografie. Foto © Parthas

Cover © Alfred A. Knopf

Cover © Alfred A. Knopf

 

Titelbild: Schriftzug am Baldachin des Eingangs zum Modehaus Schiaparelli am Place Vendôme in Paris. Foto © Rose Wagner