Die Zeiten, als füllige Frauen auf der Suche nach passender Kleidung stets bei Ulla Popken landeten, sind vorbei. Und auch dieses Label hat sein angestaubtes Image als Ausstatter für unmodische zeltartige Hüllen abgeschüttelt und lancierte mit Studio Untold eine Neu-Gründung, die sich an die bunte Schar der Plus-Size-Bloggerinnen wendet. Plus-Size-Kleidung ist modisch auf der Höhe der Zeit und unübersehbar sowohl in der realen sozialen Welt wie in der virtuellen vertreten.

Model Carina Behrens in Outfit von Studio Untold. Foto © Rose Wagner

Model Carina Behrens in Outfit von Studio Untold. Foto © Rose Wagner

Dass es mittlerweile auch einen Schönheitswettbewerb für füllige Frauen gibt, ist ebenfalls ein Anzeichen für einen Kulturwandel; und die „schönste kurvenreiche Frau Deutschlands“, Romy Penk aus Rostock, fehlte nicht auf der Spezialmesse Curvy is Sexy.

„Fräulein Kurvig“, Romy Penk aus Rostock. Foto © Rose Wagner

„Fräulein Kurvig“, Romy Penk aus Rostock. Foto © Rose Wagner

Die fand mittlerweile zum vierten Mal während der Berliner Modewoche statt – dieses Mal auf einer abgelegenen Insel in Spandau – und präsentierte die Mode für die Wintersaison 2015 / 2016.

Frauen jeden Alters, die etwas Schickes in einer großen Größe suchen, haben heute mehr Auswahl als jemals zuvor, und zwar in allen Preislagen und bei den einschlägigen Labels in der Regel bis zur Größe 58. Das belegte die Curvy mit 70 Ausstellern, darunter erstmals hochpreisige Labels wie Persona by Marina Rinaldi und Elena Miro aus Italien sowie Stop Staring aus Kalifornien, einem Anbieter von betont sexy (und sommerlichen) Kleidern im Retro-Look der fünfziger Jahre.

Kleider von Stop Staring. Foto © Rose Wagner

Kleider von Stop Staring. Foto © Rose Wagner

Die Skandinavier, die modisch im Plus-Size-Segment führend sind, waren wieder zahlreich vertreten. Allen voran Zizzi aus Dänemark. Neben der Hauptlinie gibt es bei Zizzi mit World of Wonder eine Kollektion für Wagemutige sowie neuerdings das Black Label mit besonders hochwertigen Materialien.

Spitzen-Oberteil aus dem Black Label von Zizzi. Foto © Rose Wagner

Spitzen-Oberteil aus dem Black Label von Zizzi. Foto © Rose Wagner

Auch Ulla Popken bietet mit Selection Black eine Luxuslinie, die, wie bei dieser Marke üblich, sogar Kleidung bis Größe 64 vorhält. Dass renommierte Plus-Size-Marken verstärkt in den Luxusbereich vorstoßen, ist eine neue Entwicklung, die ebenfalls belegt, wie wichtig die Zielgruppe geworden ist.

Niemand in der Modebranche kommt an der stetigen Zunahme schwergewichtiger Menschen vorbei, die sich modisch kleiden wollen. Deshalb bieten immer mehr Textilunternehmen Kleidung an, welche die Körperfülle nicht verdeckt, sondern die Rundungen hübsch verpackt oder sogar betont. Das preisgünstige Label Sheego aus der Otto-Gruppe bietet beispielsweise Schnitte mit klarer Linienführung, die zeitgemäß und gar nicht matronenhaft sind und die Stärken der Trägerin betonen, ohne dass sie aussieht, als stecke sie in einer Wurstpelle.

Aus der Sheego-Kollektion.  Foto © Rose Wagner

Aus der Sheego-Kollektion.
Foto © Rose Wagner

Es ist allerdings eine Illusion, dass jeder Schnitt auch in Größe 58 oder darüber hinaus noch schmeichelhaft wirkt. Schnitte können nicht unendlich skaliert werden, ohne ihre Raffinesse zu verlieren. Frauen jenseits der Größe 58 bleiben deshalb oft nur die geraden Tuniken und weiten Capes. Es wirkt wie Augenwischerei, wenn das Label Stop Staring Modelle in Größe 38 ausstellt und behauptet, jedes seiner Kleider behalte auch noch in Größe 58 seinen Charme.

Stand des Labels Stop Staring. Foto © Rose Wagner

Stand des Labels Stop Staring. Foto © Rose Wagner

Die Messeveranstalter hielten es für angebracht, die Gänge der Ausstellungshalle mit rosafarbenem Belag zu versehen. Sie wählten kein schrilles Pink, dass ihnen wohl zu aggressiv erschien, sondern eine Mischung aus Prinzessinnen-Rosa und Alt-Rosa, einen Farbton, der an Mandy aus Marzahn erinnert und gewollt weiblich wirkte.

Diese Farbgebung wirkt nicht gerade emanzipatorisch, und sie stand zudem in Kontrast zur Aussage der Abschluss-Modenschau, die wohl eine Art Kurven-Feminismus demonstrieren sollte. Ein gutes Dutzend Labels stellte eine Auswahl aus seinen Kollektionen vor, die das gesamte Spektrum der Plus-Size-Mode von beliebig und langweilig über zurückhaltend elegant bis originell und innovativ abdeckte. Die Organisatoren der Curvy ließen sich von der Chanel-Schau im September 2014 inspirieren, bei der Karl Lagerfeld seine Models auf einer nachgebauten Pariser Straße im Pulk mit Megaphon und Plakaten mit Slogans wie „History is her story“ oder „Make Fashion not War“ losschickte. Manche Kommentatoren fanden seinerzeit, dass der Designer in dieser Inszenierung mit hintergründigem Witz Tendenzen des Zeitgeistes widerspiegelte. Bei der Abschluss-Modenschau der Curvy marschierten die Models sämtlicher Labels beim Defilee im Pulk den Laufsteg hinunter und hielten neben Schildern mit den Namen der Labels auch Plakate mit Losungen wie „Be proud of your curves“, “Happy Curvy Ladies” oder „It´s okay to be curvy“ hoch.

Curvy-Demo.  Foto © Rose Wagner

Curvy-Demo.
Foto © Rose Wagner

Gleich zu Beginn knickte ein Model beim Abstieg vom hohen Laufsteg auf seinen High Heels um, stürzte und blieb verletzt liegen, während die Demo-Show weiter ging. Lagerfelds Models waren mit flachen Schuhen auf ebenem Untergrund aufmarschiert, während die Models bei der Curvy, überwiegend auf High Heels stöckelnd, auf einem erhöhten Laufsteg-Podest, von dem sie absteigen mussten, Demonstration spielen sollten.

Auch ohne den Unfall hätte die Nachahmung der Lagerfeld-Inszenierung Fragen aufgeworfen. Was wollten die Curvy-Organisatoren mit ihrer Show ausdrücken? Karl Lagerfeld ist bekannt für sein elitäres Schönheitsideal. Sollte er etwa dadurch konterkariert werden, dass ausgerechnet Plus-Size-Models seine Idee nachspielen? Wahrscheinlich haben sich die Curvy-Organisatoren überhaupt nicht viel gedacht, sie wollten einfach einen Show-Effekt erzielen. Bedeutungsvoller sind allerdings die Slogans auf einigen der Schilder, die den „Geist“ der Curvy erkennbar werden lassen. Es geht darum, die Dominanz des herrschenden Schönheitsideals zu brechen und eine neue Plus-Size-Ästhetik  zu konstituieren.

Die Curvy entstand, weil die großen Veranstalter der Berliner Modewoche nichts mit den „Dicken“ zu haben wollten. Doch heute stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, Plus-Size-Mode einen Platz bei einer Mainstream-Messe wie der Panorama einzuräumen oder die Curvy zumindest dort anzugliedern. Plus-Size-Mode ist kein Nischen-Phänomen mehr. Und wäre es nicht auch an der Zeit, sich vom Prinzessinnen-Rosa zu verabschieden?

Titelbild: Curvy-Demo. Foto © Rose Wagner