Modemesse  „Curvy is Sexy“

Designer großer Größen stehen vor hohen Anforderungen an Schnitttechnik und Material. Sie können nicht einfach kleine Konfektionsgrößen gradieren, denn mit zunehmender Fülle verändert sich die Silhouette des Körpers. Plus-Size-Frauen machen leidvolle Erfahrungen.

Die Armausschnitte sind zu klein, die Abnäher ungünstig platziert, der Hosenstoff nach kurzer Zeit durchgescheuert, weil üppige Oberschenkel beim Gehen aneinander reiben. Auch bei Accessoires sieht es düster aus. Umhängetaschen, deren Henkel lang und breit genug sind für kräftige Figuren, haben anscheinend Seltenheitswert. Die schicken Schuhe sind meist zu schmal und zu fragil für den breiten Fuß, auf dem viel Gewicht ruht, die Strumpfhosen und Leggings sind zu eng, zu kurz und zu wenig verstärkt. Und auch Dessous sind ein heikles Thema. Die meisten Hersteller im Plus-Size-Segment produzieren nur bis Größe 58. Es kommt vor, dass sich üppige Frauen Herrenunterhosen in XXXL-Größe kaufen, weil sie passen und preisgünstig sind, wenn auch nicht reizvoll anzusehen. Was formt, stützt und gut sitzt, hat seinen Preis.

Auf den herkömmlichen Modemessen sind die „Dicken“ nicht gern gesehen, denn sie kratzen am schönen Schein. Doch auch Plus-Size-Frauen wollen sich modisch kleiden und nicht länger ausgegrenzt werden. Im Auftrag eines Großkunden stellte die Agentur Sonndesign mit „Curvy is Sexy“ eine eigene Veranstaltung auf die Beine.

Veranstalter Stephan Sonn und Tanja Helgert vor der Tafel mit den Namen der Aussteller. Foto © Rose Wagner

Veranstalter Stephan Sonn und Tanja Helgert vor der Tafel mit den Namen der Aussteller.
Foto © Rose Wagner

Sie traf einen Nerv, und so fand sie bereits zum dritten Mal in Berlin während der Modewoche statt.

Im Juli 2014 präsentierten auf der „Curvy“ mehr als 50 Aussteller 70 Labels. Mancher bietet mehrere Sortimente an, wie der Hersteller „Biggi M“ aus Albstadt, der mit „Seeyou“ Jüngere und mit „Seeyou silver“ Ältere anspricht, oder das holländische Label „Yoek“, das mit „Miss Yoek“ eine eigene Jugendlinie aufgelegt hat. Die Plus-Size-Mode wird zunehmend differenzierter und reagiert auf die Heterogenität der Zielgruppe. Das zeigt sich auch beim Preisniveau. Ein italienisches Label wirbt damit, dass es Modelle bis zur Größe 64 zu erschwinglichen Preisen liefert, beispielsweise 15 € für ein T-Shirt, doch bei den meisten Anbietern liegt das Preisniveau deutlich höher.

Shirt eines italienischen Herstellers in Größe 60. Foto © Rose Wagner

Shirt eines italienischen Herstellers
in Größe 60. Foto © Rose Wagner

Europäischer Marktführer bei den großen Größen ist „Ulla Popken“. Von Nicola Karmires, zuständig für Public Relations, war zu erfahren, dass die Marke 1987 gegründet wurde und heute mit über 300 Filialen in acht Ländern vertreten ist. In den 1960er Jahren war das Textilhaus Popken aus Rastede, das seit 1880 existiert, bekannt für die Linie „Mami und Baby“. Zur Verwunderung des Inhabers kauften auch solche Frauen Schwangerschaftskleidung, deren Kinder bereits das Licht der Welt erblickt hatten oder die längst aus dem gebärfähigen Alter heraus waren. Der Unternehmer erkannte seine Chance.

Haremshose bei „Ulla Popken“ aus GOTS-zertifiziertem Material. Foto © Rose Wagner

Haremshose bei „Ulla Popken“ aus GOTS-zertifiziertem Material.
Foto © Rose Wagner

Heute entwirft ein Team von 12 Designern bei „Ulla Popken“ Mode bis Größe 64. Seit zwei Jahren gibt es die Capsule Collection „Pure“ mit hochmodischer Kleidung, die zudem den Anforderungen des Global Organic Textile Standard (GOTS) genügt. Ein Modernisierungsschub war auch dringend nötig, denn das Image der Marke hatte Staub angesetzt.

Immer mehr etablierte Modefirmen gründen zusätzliche Plus-Size-Labels. „Gerry Weber“ war mit „Samoon“ vor zwanzig Jahren früh dabei. Im Sortiment finden sich jetzt auffallendere Elemente als in den letzten Jahren, beispielsweise Statement-Pullover. Solche Blickfänger befinden sich im Einklang mit der überall auf der „Curvy“ wahrnehmbaren Tendenz, dass Plus Size aus dem Schatten der lange Zeit gepflegten Nichtwahrnehmbarkeit heraustritt.

Wolfgang Kalk mit Statement-Pullover von „Samoon by Gerry Weber“. Foto © Rose Wagner

Wolfgang Kalk mit Statement-Pullover von „Samoon by Gerry Weber“.
Foto © Rose Wagner

Neu dabei ist „Triangle by S. Oliver“. Schülerinnen und Studentinnen kann man sich gut in den Biker-Jacken, durchsichtigen Plisseeröcken über schwarzen Leggings und Shirts mit witzig unverständlichen Aufdrucken vorstellen.

“Triangle by S. Oliver”.  Foto © Rose Wagner

“Triangle by S. Oliver”.
Foto © Rose Wagner

Skandinavische und niederländische Marken haben ein besonders fortschrittliches Image. Beispielhaft ist dafür „Zizzi“ aus Dänemark. Das Design spiegelt die allgemeinen modischen Trends wider: Denim in Destroyed-Optik, Kleider aus grafischen Prints, Crop-Tops aus netzartigem Gewebe sowie hautenge Hosen aus Scuba-Material, die wie Taucheranzüge glänzen, leicht und elastisch sind und nicht kneifen.

„Zizzi“-Modelle.  Foto © Rose Wagner

„Zizzi“-Modelle.
Foto © Rose Wagner

Die Capsule Collection „Wardrobe of Wonders“ für besonders Modemutige zeichnet sich durch nordisch leuchtende Farben, anspruchsvolle Materialien und unkonventionelle Schnitte aus. Frauen, die diese Mode tragen, verstecken sich nicht.

Henriette Skjøth Eriksen, Marketing-Leiterin von „Zizzi“ mit einem Modell der Capsule Collection.  Foto © Rose Wagner

Henriette Skjøth Eriksen, Marketing-Leiterin von „Zizzi“ mit einem Modell der Capsule Collection.
Foto © Rose Wagner

Das Label wurde im Jahr 1990 von einer dänischen Textilgruppe lanciert. Die Produktion ist – wie bei den meisten Marken – nach Ostasien ausgelagert. „Zizzi“ hält sich – nach Angaben der Marketing-Leiterin – an einen „Code of Conduct“, der Kinderarbeit ausschließt und akzeptable Arbeitsbedingungen garantiert.

Auch renommierte Designer springen auf den Zug auf. Anja Gockel aus Mainz, die bei der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin ihre reguläre Sommerkollektion vorstellte, hat mit „Woman I am“ eine neue Plus-Size-Linie im Portefolio. Guido Maria Kretschmer kündigte für Herbst 2014 eine Kollektion für große Größen an.

Die meisten Labels setzen beim Vertrieb auf eine Multi-Channel-Strategie und vermarkten ihre Produkte parallel im stationären Handel, über Print-Kataloge mit schriftlicher oder telefonischer Bestellung sowie in Online-Shops. „Sheego“, ein neues Label der Otto-Gruppe, konzentriert sich auf E-Commerce, wie bei einem klassischen Versandhändler auch nicht anders zu erwarten ist.

„Sheego“. Foto © Rose Wagner

„Sheego“. Foto © Rose Wagner

Das Internet erweist sich für füllige Frauen als Segen, für den stationären Handel jedoch als Fluch, der nicht unverdient ist. Korpulente fühlen sich in großen Konfektionsgeschäften mit kleiner Auswahl, desinteressierten Verkäuferinnen und engen Umkleidekabinen diskriminiert und schätzen die Anonymität und das große Angebot im Internet. Dabei benötigen aus Sicht von Boutique-Betreiberinnen gerade Plus-Size-Frauen eine intensive Beratung. Eine Händlerin deutet auf eine junge Frau, deren kurzer roter Plisseerock lustig über ihrer rückseitigen Wölbung wippt. „Den hätte ich ihr nie verkauft, mit einem engen, gerade Rock und einem kurzen Oberteil wäre sie besser bedient“.

Bloggerinnen.  Foto © Rose Wagner

Bloggerinnen.
Foto © Rose Wagner

Das neue Selbstbewusstsein von Frauen mit großen Größen demonstrierten Bloggerinnen in farbenfrohen Outfits. Viele kamen auf Einladung der Veranstalter und zur Freude der Hersteller, deren Produkte sie auf ihren Blogs würdigen. Auch Plus-Size-Models, die neue Aufträge suchten und fanden, setzten Farbtupfer.

Plus-Size-Model Christin Thomsen.  Foto © Rose Wagner

Plus-Size-Model Christin Thomsen.
Foto © Rose Wagner

Über das gesellschaftliche Phänomen des zunehmenden Übergewichtes wurde auf der Messe nicht diskutiert. „Ernährung ist hier kein Thema“, sagte Organisatorin Tanja Helgert von Sonndesign. An einem Stand im Foyer wurde köstliche Eiscreme ausgeteilt. Bei keiner anderen Messe der Fashion Week war die Stimmung so entspannt wie auf der „Curvy“.

Modemesse  „Curvy is Sexy“
Palazzo Italiano
Unter den Linden 10, 10117 Berlin
> 08. – 10.07. 2014

Fotos © Rose Wagner
Titelbild: Bloggerinnen auf der "Curvy"