Buchbesprechung

„Sind da Wackersteine drin?“ fragte der Postbote, als er mir das schwergewichtige Paket aushändigte. Das großformatige Nachschlagewerk „Mode. 150 Jahre Couturiers, Designer, Marken“ von Charlotte Seeling wird vom Verlag als „Standardwerk zum Thema Mode“ angekündigt. Die Autorin war in führender Position bei verschiedenen Modezeitungen tätig und weiß, wovon sie spricht. Ihr Buch ist klar strukturiert und erzählt in zwölf Hauptkapiteln, beginnend mit dem Jahr 1900, chronologisch die – überwiegend europäische – Modegeschichte, Die 150 Jahre, die der Titel des Buches verspricht, werden allerdings nicht abgedeckt. Vier Kapitel, die nicht von der durchgehenden Zählung erfasst werden, behandeln den Einfluss japanischer und belgischer Designer, die Revitalisierung traditionsreicher Modemarken sowie den „Einfluss von Strippenziehern und Musen“.

Ensemble von Chanel im Auktionshaus Bukowskis, Stockholm. Foto © Rose Wagner

Ensemble von Chanel im Auktionshaus Bukowskis, Stockholm. Foto © Rose Wagner

Das Buch besticht durch die vielen Abbildungen und Fotos und flüssig geschriebene Texte. Auf unangestrengte Weise veranschaulicht die Autorin die elementare Bedeutung der Mode für die Kulturgeschichte und stellt Beziehungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen her. So wird beispielsweise die Bedeutung Coco Chanels für eine „emanzipatorische Mode“ dargelegt oder Stella McCartneys „grüne Mission“, mit der sie zur „Vorreiterin des Öko-Ethik-Trends“ wurde.

Wichtigen Designern wird jeweils ein Unterkapitel gewidmet, das prägnant betitelt ist und das Wesentliche hervorhebt. Die Textpassage über Coco Chanel ist treffend „Die Pragmatikerin“ überschrieben, die über Christian Dior mit „Der sanfte Diktatur“ und die über Azzedine Alaïa mit „Der Menschenmodellierer“.

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Schlauchkleider von Azzedine Alaïa, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Foto © Rose Wagner

Allerdings mag man nicht jede Einschätzung teilen. Beispielsweise wird Paul Poiret als „Der erste Designer“ gewürdigt. Diese Ehre kommt jedoch Charles Frederick Worth zu, der die französische Haute Couture begründete. Der amerikanische Modeschöpfer Charles James, dem das Metropolitan Museum of Art in New York gerade eine große Retrospektive widmet, wird allzu stiefmütterlich behandelt und mit wenigen Zeilen abgetan, dabei hat er wie kein Zweiter die Schnitttechnik revolutioniert. Seiner Corsagen-Technik sind die halterlosen Abendkleider zu verdanken, die noch heute auf jedem roten Teppich präsentiert werden.

Im Kapitel „Schweres Erbe. Alte Häuser – neue Namen“, das Claudia Teibler beisteuerte, wird die tiefgreifende Veränderung der Modewelt beschrieben. Es gibt so gut wie keinen Designer mehr, der noch im eigenen Namen für das von ihm selbst begründete Modehaus entwirft und an jedes Modell selbst Hand anlegt. Einer der letzten dieser Spezies war Yves Saint Laurent, der zunächst nach dem Tod von Christian Dior dessen Modehaus weiterführte, bevor er sein eigenes gründete. Das gigantische Wachstum des Luxusmarktes hat dazu geführt, dass die individuellen Modeschöpfer die weltweite Nachfrage nicht mehr bedienen konnten und dem Druck von Investoren nachgeben mussten, um dann unter quasi industriellen Bedingungen zu produzieren. Das Label wird dann unter dem eingeführten Markennamen weitergeführt, dem einzelnen Kreativen jedoch nur noch beschränkter Einfluss gewährt. Selbst prominente Designer sind heute Angestellte von global agierenden Unternehmensgruppen.

Lesenswert ist auch der Abschnitt über „Mode für die Massen – Lifestyle ist für alle da“, der den Aufstieg der Billigmarken beschreibt, die durch Entwürfe bekannter Designer noch aufgewertet werden. Jil Sander entwarf für Uniqlo, Karl Lagerfeld, Sonia Rykiel und das – einst – elitäre – Maison Martin Margiela lieferten Capsule-Kollektionen für H&M. Es scheint, als ob alle davon profitierten: die Unternehmen, die Designer und die Kunden. Nie schien Mode so demokratisiert wie heute.

Body von Maison Martin Margiela im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Foto © Rose Wagner

Body von Maison Martin Margiela im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Foto © Rose Wagner

Für die wissenschaftliche Arbeit scheidet die Publikation von Charlotte Seeling aus, denn es fehlen die Quellenangaben für die zahlreichen Zitate, die den Text so lebendig machen. Dem Vergnügen an der bildreich ausgebreiteten Modegeschichte tut das jedoch keinen Abbruch. Das Buch ist eine hübsche Mischung von leichter Plauderei über Modegrößen, präziser Analyse und modehistorischer Einordnung. Wenn es doch nur nicht so schwer und unhandlich wäre!

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Buchcover. Cocktail- und Abendkleid von Cristóbal Balenciaga, 1967.
Foto © Verlag H.F. Ullmann

Seeling, Charlotte: Mode. 150 Jahre Couturiers, Designer, Marken. Potsdam, Verlag H.F. Ullmann, 2013.

Titelbild: Mantel von Rei Kawakubu für Comme des Garçons, H/W 2012/2013