Filmkritik

In „Catching Fire“ wird die Idee des unentrinnbaren Wettbewerbs auf die Spitze getrieben, und das Zeichensystem Mode spielt eine zentrale Rolle. Mode dient der Unterdrückung und der Ablenkung von Problemen, doch sie kann auch ein subversives Potential entfalten.„Catching Fire“ ist die Filmadaption des gleichnamigen Romans von Suzanne Collins und mittlerer Teil ihrer Trilogie „Die Tribute von Panem“, einer erfolgreichen Jugendbuchserie. Der Film spielt in der Zukunft in dem fiktiven Staat Panem.

Ein totalitäres Regime zwingt nach einem verheerenden Bürgerkrieg alljährlich Jugendliche – Tribute genannt – aus den abtrünnigen Distrikten dazu, gegeneinander zu kämpfen. Sieger ist der letzte Überlebende. Das Abschlachten wird live im Fernsehen übertragen. Bevor die Kämpfe auf Leben und Tod beginnen, müssen die Tribute in Show-Veranstaltungen in der Hauptstadt Capitol auftreten. Ihnen werden persönliche Stylisten zur Seite gestellt, um sie für die Auftritte auszustatten. Es kommt darauf an, das modebewusste und sensationslüsterne Publikum für sich einzunehmen. Von dessen Sympathie hängt es ab, ob die Konditionen bei den tödlichen Spielen verbessert werden können.

Kleiderpolitik

Die soziale und politische Differenz zwischen den Distrikten und der Hauptstadt wird in der Kleidung deutlich. Bei den Unterdrückten dominieren Grautöne und Erdfarben, sie tragen Selbstgestricktes aus grob gesponnener Wolle, Arbeitsanzüge aus Sackleinen und fadenscheinige Kleider. In der Hauptstadt Capitol sind die Farben schrill, die Stoffe exquisit, und das Design ist extravagant. Die Hauptstädter leben im materiellen Überfluss. Politisch sind sie zwar entmündigt, doch für Unterhaltung ist gesorgt. Mode ist Exzess und stellt eine Möglichkeit dar, die Vorenthaltung von Freiheitsrechten lustvoll zu kompensieren.

Chiffonwolken

Chiffonwolken. Foto © Lionsgate / Studiocanal

Die PR-Beauftragte des Regimes, Effie Trinket (Elizabeth Banks), sticht mit ihrer exaltierten Garderobe alle aus. Sie komplettiert ihre Kleider mit farblich passenden Perücken. In ihren künstlichen Wimpern glitzern Swarowski-Kristalle. Sie hüllt sich schwelgerisch in Pelze und Federn. Sie trägt ein Kleid aus rotem Chiffon, das überbordet von Rüschen, dem Inbegriff von Weiblichkeit. Es ist aus einer Kollektion von Sarah Burton für Alexander McQueen. Doch feminine Weichheit erlaubt Effie sich nicht. Sie repräsentiert die Unterdrücker, und sie bewegt sich im frivolen Rüschenkleid wie in einem Armeepanzer. Die Umwertung aller Werte in Panem wird in Effies Kleidern und der Art, wie sie getragen werden, besonders deutlich.

Die Auslosung der Tribute – die für diese einem Todesurteil gleichkommt – nimmt sie in einem Kleid vor, das über und über mit gestickten Schmetterlingen bedeckt ist. Es wirkt auf den ersten Blick frühlingshaft leicht, auf den zweiten Blick ist erkennbar, dass es eigentlich nicht tragbar ist. Wegen seiner skulpturalen Form und des einzwängenden Schnitts ist ein Sitzen in diesem Kleid unmöglich. Auch dies ist ein Modell von Sarah Burton aus einer ihrer letzten Kollektionen. Das Groteske ihrer Kleidung steigert Effie noch durch die Wahl von Armadillo-Schuhen aus Alexander McQueens letzter Schau – der dystopischen Vision „Plato´s Atlantis“. Diese Schuhe gleichen Hufen und lassen an die Klauen eines prähistorischen Krustentieres denken. Effie balanciert auf ihren Fußspitzen wie eine überdrehte Ballerina. Für die Trägerin sind diese Schuhe zwar Folterinstrumente, doch gleichzeitig erhöhen sie und drücken Macht und Selbstdisziplin aus.

Die ausgelosten Tribute werden zum Kämpfen in hautenge Neopren-Anzüge gesteckt, die im Wasser und schwierigem Gelände von Vorteil sind und zudem voyeuristische Bedürfnisse des Fernsehpublikums bedienen. Mit diesen einheitlichen Unisex-Anzügen wird ästhetische Individualität unmöglich und das rein Funktionale betont. Für die großen Show-Auftritte in der Hauptstadt werden die Tribute dagegen von ihren Stylisten herausgeputzt wie Stars bei der Oscar-Verleihung und sind dann optisch nicht mehr von den modischen Hauptstädtern zu unterscheiden.

Neopren-Kampfanzüge. Foto © Lionsgate / Studiocanal

Neopren-Kampfanzüge. Foto © Lionsgate / Studiocanal

Die Protagonistin Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) war die Siegerin der vorherigen Spiele. Damals hatte der Stylist Cinna (Lenny Kravitz) ihr mit einem Aufsehen erregenden Design geholfen, die Sympathie des Publikums zu gewinnen. Das Kleid, das sie beim Einzug in die Arena trug, loderte in synthetischen Flammen. Diese sensationelle Kreation signalisierte Radikalität und Auflehnung, und Katniss wurde in aller Augen „das Mädchen, das in Flammen steht“. Doch als rebellische Ikone konnte sie für das Regime gefährlich werden, und Präsident Snow (Donald Sutherland) bestimmte, dass – gegen alle früheren Zusagen – nun die Sieger der vorangegangenen Spiele gegeneinander antreten müssen. Dass Katniss ein zweites Mal überlebt, ist unwahrscheinlich.

Zur entscheidenden Gala-Veranstaltung vor dem Beginn der neuen Spiele betritt sie in einem weißen Brautkleid die Bühne. Cinna hat es im Auftrag von Präsident Snow entwerfen müssen. Es ist weiß, aus zarten Organza-Schichten scheinen flaumige Federchen zu sprießen, und es vermittelt das Bild einer Braut, die zukünftiges Glück erwartet. Die ganze Perfidie des Regimes drückt sich in diesem Gewand aus: die junge Braut, der statt Freude ein grausamer Tod bestimmt ist. Doch etwas Unerwartetes geschieht. Bei einer schnellen Drehung von Katniss verwandelt sich die Robe in einer Art Morphing in das dunkle Federkleid des Spott-Tölpels (Mockingjay), des fiktiven Vogels, der für Rebellion steht. Cinna muss seine Subversion mit dem Leben büßen.

Brautkleid. Foto © Lionsgate / Studiocanal

Brautkleid. Foto © Lionsgate / Studiocanal

Katniss wird vom Regime zu einer Propagandatour durch die Distrikte gezwungen. Sie tritt in minimalistischer, meist dunkler Kleidung vor die herbeibeorderten Bewohner. Aus den Reihen dieser verarmten und unterdrückten Menschen kamen die Jugendlichen, die während der vorangegangenen Spiele ihr Leben verloren. Zur Garderobe von Katniss gehören jetzt Jumpsuits und schnörkellose gerade Kleider. Sie setzen einen visuellen Kontrapunkt zur schrillen Extravaganz von Effie, die die Tour begleitet.

Modischer Minimalismus. Foto © Lionsgate / Studiocanal

Modischer Minimalismus. Foto © Lionsgate / Studiocanal

Katniss Everdeen verkörpert einen neuen Typ in der modernen Popkultur: unabhängig und unerschrocken. Alles Gefallsüchtige ist ihr fremd. Wenn sie auch nicht völlig frei in der Wahl ihrer Kleidung ist, weiß sie doch innerhalb des gesteckten Rahmens geschickt ihre Möglichkeiten zu nutzen.

Fiktionale Realität

In ihrer Panem-Trilogie prangert die Autorin Suzanne Collins Konsumfixierung, Vergnügungssucht und voyeuristische Medienspektakel an. Der Film „Catching Fire“ setzt diese Anliegen in starke Bilder um. Die Kostüme sind nicht nur Verstärkung der Dramaturgie, sondern eigenständige Handlungsträger. Der Gegenwartsbezug des Films wird durch die Einbindung real existierender Kleider und Schuhe ‒ von Sarah Burton und Alexander McQueen ‒ in die Spielhandlung unterstrichen. Die schon im Film angelegte Auflösung der Grenzen zwischen Fiktion und Realität wird in der außerfilmischen Welt weitergetrieben.

Die Film-Produktionsfirma hat die Website „Capitol Couture“ eingerichtet, die sich Mode, Styling und Geschichten über die Filmfiguren und ihre Darsteller widmet (http://capitolcouture.pn/). Sie ist nicht auf Anhieb als kommerzielle Plattform zu erkennen. Neben realen kommen auch fiktionale Designer und Personen zu Wort. Die Aufmachung der Website ist anspruchsvoll. Das Ziel von „Capitol Couture“ ist die Erschließung neuer, junger Zielgruppen für hochpreisige Mode.

Für die Kostüme in „Catching Fire“ ist die vielfach ausgezeichnete Designerin Trish Summerville (www.trishsummerville.com/) verantwortlich. Im Jahr 2012 wurde sie für die Kostüme der Stieg-Larsson-Verfilmung „Verblendung“ gewürdigt. Die Protagonistin dieses Films ‒ Lisbeth Salander gespielt von Rooney Mara ‒ verkörpert einen ähnlichen Frauentyp wie Katniss Everdeen. Als Spin-Off der Filmkostüme entwarf Summerville seinerzeit für H&M eine Lisbeth-Salander-Kollektion, in der die gesellschaftliche Außenseiterin erfolgreich vermarktet wurde.

Das Gleiche geschieht jetzt mit Katniss Everdeen, allerdings auf einem höheren Preisniveau. Zum Start von „Catching Fire“ brachte Summerville bei „Net-a-Porter“ (www.net-a-porter.com), einem Online-Shop für Luxusmode, eine „Capitol Couture“-Kollektion heraus. Die Designerin beschreibt ihre Entwürfe als „tough feminin“, so wie es Katniss Everdeen verkörpert. Die modebewusste Konsumentin, die sich ein widerständiges Flair geben möchte, kann für 530 € ein schlichtes Seidenkleid erstehen. Es ist bedruckt mit dem Mockingjay-Motiv – dem Symbol der Rebellion.

Mode hat in der Fiktionalität des totalitären Staates Panem eine existenzielle Bedeutung, die sie in einer demokratischen Gesellschaft nicht entfalten kann. In unserer Realität kann jeder alles tragen, was er sich leisten kann. Jede kann jetzt Katniss sein.

 

Filmtitel: Catching Fire
Regisseur: Francis Lawrence
Drehbuch: Simon Beaufoy und Michael deBruyn
Kostüme: Trish Summerville
Verleih: Lionsgate / Studiocanal
Produktionsjahr: 2013
Text: © Rose Wagner
Fotos: © Lionsgate / Studiocanal
Titelbild:   Kinoplakat. Foto © Rose Wagner

Dank für anregende Diskussionen an Gert K., Hildegard Lena K., Yvonne M.