Filmkritik

„Gravity“ spielt im Weltall, wo Leben unmöglich ist. Und doch halten sich 600 Kilometer über der Erde die Astronauten Matt Kowalski (George Clooney) und Ryan Stone (Sandra Bullock) auf, um am Hubble-Weltraum-Teleskop zu arbeiten.Clooney gibt den abgeklärten Weltraum-Cowboy, den nichts aus der Ruhe bringen kann. Sein Kowalski hat selbst noch in der größten Gefahr ein Auge für die Schönheit eines Sonnenaufganges. Bullocks Figur Stone ist zum ersten Mal im All, und Nervosität und Panikgefühle werden ihr zu schaffen machen.

Plötzlich kommt es zur Katastrophe. Ein entfernter Satellit explodiert und setzt eine fatale Kettenreaktion in Gang. Der Shuttle der Amerikaner wird zerstört. Von der Besatzung überleben nur Kowalski und Stone und trudeln nun hilflos in der Schwerelosigkeit und Unwirtlichkeit des Alls. Der Kontakt zur Bodenstation reißt ab, der Vorrat an Sauerstoff geht zu Ende. Ist Rettung möglich?

Beim nun einsetzenden Weltraum-Hopping – Internationale Raumstation ISS, verlassene russische und chinesische Stationen – geht alles schief, was nur schief gehen kann. Immer neue Probleme tauchen auf. Wie lässt sich der Sauerstoffvorrat strecken, wie eine Sojus-Kapsel ohne Treibstoff starten, wie die Armatur in der chinesischen Raumstation lesen?

Für „Gravity“ wurden hochkomplexe digitale und analoge Technologien entwickelt, um die im Grunde genommen einfache Geschichte einer Frau zu erzählen, die im Moment des äußersten Ausgeliefertseins ihre persönliche Tragödie überwindet und ihre Gebundenheit an die Erde erkennt. Das setzt ihren Überlebenswillen frei. Das Drehbuch hat der in Hollywood erfolgreiche mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón zusammen mit seinem Sohn Jonás geschrieben. Es ist nicht frei von Klischees. Die Brillanz des Films liegt nicht im Narrativen, sondern in der Bildästhetik, der Computertechnik und den Effekten. Mit langen Einstellungen unterstreicht die Kamera von Emmanuel Lubezki die Weite des Raumes, dann wieder schlüpft sie in den Helm von Stone und nimmt eine subjektive Sicht ein.

Selten sind Computergrafik und 3-D-Technik eindrucksvoller eingesetzt worden als in „Gravity“. Fotos und Filme, die die NASA zur Verfügung gestellt hat, werden nahtlos in die Spielhandlung integriert. Die altbekannten Bilder, die Astronauten seit dem Beginn der bemannten Raumfahrt von der Erde machten, wirken in „Gravity“ wieder so staunenswert wie beim ersten Mal. Wenn das Geschehen nicht gerade in einem Raumschiff stattfindet, ist im Hintergrund fast immer die ferne Erde zu sehen. Das Wirbeln und Kreiseln von Menschen und Gegenständen ist schwindelerregend. Schrott, Schrauben und Werkzeuge scheinen direkt auf den Zuschauer zuzurasen. Man erlebt, wie sich im Hintergrund des Geschehens ein Projektil löst und verfolgt seine Flugbahn bis zum Aufprall. Das verstärkt die Spannung und das Gefühl des Mittendrin-Seins. Für die spektakulären visuellen Effekte ist Tim Webber verantwortlich.

Die Filmkostüme von Jany Temine tragen entscheidend zur Simulation von Schwerelosigkeit bei. Beim Anblick der im Orbit trudelnden Gestalten in ihren voluminösen weißen Raumanzügen stellen sich Phantasien von fliegenden Weltraumelefanten mit gewickelten Beinen ein. NASA-Raumanzüge bestehen aus mehreren Schutzschichten und Systemen zur Temperaturregelung, und die Schauspieler mussten zusätzliche Restriktionsanzüge tragen, deren Röhren aufgepumpt wurden, um die Bewegungen zu erschweren und zu verlangsamen.

Für einen Film, der in einer geräuschlosen Welt spielt, ist „Gravity“ erstaunlich geräuschvoll. Die Soundregie zieht alle Register, jede Explosion, jeder Aufschlag wird durch laute Geräusche akzentuiert. Die Musik von Steven Price drängt sich hin und wieder stark vor. Als Stone ihre traurige Geschichte erzählt, werden die Klänge gefühlig und pathetisch. Die Sequenzen, in denen Stille herrscht, sind die intensivsten. „Gravity“ ist kein Dialogfilm, und doch wird in einigen Handlungssequenzen viel geredet. Kowalski erzählt launige Geschichten aus seinem Leben, Stone führt Selbstgespräche und setzt Blind-Meldungen ab. Die Astronauten versuchen auf diese Weise, die ewige Stille des Raums und ihre eigene Verletzlichkeit zu überspielen.

Der Film ist ein Erlebnis. Einen Oscar für das beste Drehbuch wird er nicht gewinnen, für Kamera, Computergrafik und Effekte hat er einen verdient.

Titelfoto © Warner Brothers Pictures

 

Filmtitel: Gravity
Produktionsjahr: 2013
Regie: Alfonso Cuarón
Drehbuch: Alfonso Cuarón and Jonás Cuarón
Kamera: Emmanuel Lubezki
Musik: Steven Price
Kostüme: Jany Temime
Visuelle Effekte: Tim Webber
Produzenten: Alfonso Cuarón and David Heyman
Verleih: Warner Brothers Pictures