„Shepop. Frauen. Macht. Musik“
Rock´n Popmuseum Gronau  > 01.03. – 08.09.2013

Ohne den Zusammenbruch der Textilindustrie gäbe es im westfälischen Gronau – in Randlage an der holländischen Grenze gelegen – kein Rock- und Popmuseum. Das Ende der traditionsreichen Van-Delden-Gruppe, die bis in die 1980er Jahre die ganze Breite der Textilverarbeitung bediente, bescherte der Stadt massive ökonomische Probleme, einen gravierenden Bedeutungsverlust sowie eine riesige innerstädtische Brachfläche, auf der nun das Museum steht.Gronau musste sich Gedanken über den Umgang mit dem textil-industriellen Erbe machen. Man erinnerte sich an den „Sohn der Stadt“, den Sänger Udo Lindenberg, und die Idee eines Museums der Rock- und Popmusik wurde geboren. Doch trotz der für ihn schmeichelhaften Adresse – „Udo-Lindenberg-Platz“ 1 – macht sich der Künstler rar. Die Betriebskosten des Hauses binden einen erheblichen Teil des städtischen Budgets, und die Zahl der Besucher bleibt hinter den Erwartungen zurück.

Seitenansicht des Rock´n Popmuseums. Foto © Rose Wagner

Seitenansicht des Rock´n Popmuseums. Foto © Rose Wagner

Mit „Shepop“, einer vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Sonderausstellung, die die Rolle der Frauen im System der Popmusik beleuchtet, hofft das Museum auf großen Besucherzuspruch.

Frauen in der Musikindustrie

Die Kuratorinnen – Monika Bloss und Sonja Eismann – wollen mit einem dezidiert feministischen Ansatz einen „alternativen Blick auf Popgeschichtsschreibung“ ermöglichen. Als Herausgeberin bzw. Redakteurin des feministischen Popkulturmagazins „Missy“ können sie vieles von dem, was dort zuvor veröffentlicht wurde, in der „Shepop“-Ausstellung weiter verwerten. Der hohe programmatische Anspruch manifestiert sich auch im Ausstellungsplakat.

ShePOP

Ausstellungsplakat © Rock´n Popmuseum

Frauen waren in der Musikindustrie immer präsent. Seit den 1990er Jahren gibt es mehr weibliche Superstars an der Spitze der Hitparaden als jemals zuvor. Für die Ausstellungsmacherinnen ist das allerdings kein Beleg für Chancengleichheit. Aus ihrer Sicht wird das Musikgeschäft nach wie vor „von Männern bestimmt“. Den Erfolg der weiblichen Stars führen sie auf deren „Hyperweiblichkeit und Sexualisierung“ zurück, die die „Grundbedingung für weiblichen Chartserfolg“ seien. Die nach wie vor vorhandene strukturelle Ungleichheit und den Sexismus im Musikgeschäft wollen sie mittels eines radikal subjektiven Zugangs entlarven. Sie lassen Musikerinnen, Songschreiberinnen, Fans und Groupies, Fotografinnen sowie eine Produzentin in Oral-History-Manier zu Wort kommen. Die Ausstellung ist geografisch auf den deutschsprachigen und angloamerikanischen Raum begrenzt.

Fashion Statements

Das Image von Popstars wird wesentlich durch Kleidung bestimmt – manchmal sogar noch nachhaltiger durch deren Abwesenheit. Die Ronettes prägten Anfang der 1960er Jahre mit dem üppigen Gebrauch von Mascara, hochtoupierten Haaren, Miniröcken und Go-Go-Girl-Bewegungen das Bild des „bösen Mädchens“. In den 1980er Jahren standen Tina Turners wilde Mähne, High Heels und das Beckenkreisen für sexuelle Befreiung. In den 1990er Jahren positionierte Madonna sich als Rebellin. Bei Lady Gaga hingegen wird kein bestimmtes Image mehr kreiert, sondern unbegrenzt plagiiert und gemixt, um ständig neue Masken hervorzubringen. Bühnenkostüme spielen mit dem semiotischen Potential der Mode. Auftritte sind ein komplexes Zusammenspiel von Musik, Effekten, Kleidung, Erscheinung und Bewegung.

Die deutschsprachige Musikszene ist in der Ausstellung mit Kostümen von Ina Deter, Doro Pesch und Lady Bitch Ray vertreten. Pesch gehört zu den wenigen erfolgreichen Heavy-Metal-Musikerinnen weltweit. Sie tritt in Kleidung auf, wie sie in dieser Szene harter Männer üblich ist: Stiefel, Nieten, Ketten und schwarzes Leder. Eigene modische Töne setzen Frauen im Hard Rock augenscheinlich nicht. Lady Bitch Ray, mit bürgerlichem Namen Reyhan Sahin, Begründerin des Labels „Vagina Style Records“ und als „Porno-Rapperin“ bekannt, wird viel Raum gegeben.

Rock- und Popmusik hat mit Sexualität zu tun: Rhythmus und Texte, Gesten, Bewegungen und Symbole – wozu auch Frisuren und Outfits gehören. Typisch für den bevorzugten minimalistischen Stil ist ein weißes Lederoberteil von Christina Aguilera. Madonna ist mit einer schwarzen Corsage mit Strapsen sowie einem weißen Brautkleid präsent, das in ihrer Show keineswegs unschuldig wirkt.

Es verwundert, dass ausgerechnet Janis Joplin (1943 – 1970), die wildeste Rocksängerin ihrer Zeit, durch eine brave Lederjacke repräsentiert wird. Andererseits wirkt dieses Kleidungsstück in dieser Umgebung geradezu eigenwillig. Man hätte gern mehr über die ausgestellten Kostüme erfahren. Zu welchen Gelegenheiten wurden sie getragen? Wer entwarf sie? Diese Informationen sind leider nicht zu bekommen.

Fans und Groupies

Die ausgestellten Fan-Artikel decken die gesamte Bandbreite des Star-Kultes ab, von der gehäkelten Lady-Gaga-Puppe, über Sammler-Barbie-Puppen, die Popstars nachempfunden sind, sowie Fan-T-Shirts. Hinter einem roten Plüschvorhang verbirgt sich ein „Séparee“ mit allerlei Schlüpfrigem. In einer Vitrine prangt der Gipsabdruck des Penis von Jimi Hendrix, den eines seiner Groupies aus der Erinnerung modellierte.

Groupie mit Gipsabdruck von Jimi Hendrix` Penis. Foto © Rose Wagner

Groupie mit Gipsabdruck
von Jimi Hendrix` Penis.
Foto © Rose Wagner

Was bleibt?

Eine alternative Popgeschichtsschreibung bietet die Ausstellung nur in Ansätzen. Sie zwingt allerdings dazu, den Begriff des Sexismus neu zu justieren. Vor allem bei der Draperie von Lady Bitch Ray fragt man sich, worum es eigentlich geht. Um strategische Selbstvermarktung? Um das Demaskieren von Männerphantasien? Um feministische Mehrdeutigkeit oder gar um Postfeminismus, der sich um alte Zuschreibungen nicht mehr schert?

Das Ganze ist nicht ohne Witz. Auch mein Begleiter hatte Spaß. Als Mediziner interessierte er sich insbesondere für das Genital von Jimi Hendrix und fand es beachtlich. Aber dafür extra nach Gronau fahren?

Begleitbuch zur Ausstellung: Shepop. Frauen. Macht. Musik! Herausgegeben vom Rock´n Popmuseum u.a. Münster, Telos Verlag, 2013.

Text © Rose Wagner
 Fotos, soweit nicht anders angegeben © Martin Brand und Rock´n Popmuseum
Überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung vom Mai 2013 in Modesearch.de